Moin,
Zitat:
Zitat von Loewe1860
@Melvin van Horne
Wir hatten damals wohl alle ein bischen falsche Vorstellungen von dem was da auf uns zukam.
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Es war allen klar die darüber nachdenken wollten das es so nicht weitergehen konnte. Die wirtschaftliche Schwäche war ja der Hauptgrund das die DDR untergegangen ist. Aber was da genau auf uns zukam haben wohl wenige geahnt.
Geboren und aufgewachsen in einem Land in dem die "Wir stellen ein" Tafel an jedem Betrieb hing war es für viele schlicht und ergreifend unvorstellbar das man Millionen ausgebildete Arbeitskräfte nicht mehr brauchen würde.
Wie auch? Es gab keine parallelen an denen man sich hätte orientieren können wie es abläuft wenn ein Land in einem anderen aufgeht. Es gab damals Vorstellungen die von "Wir werden in einem halben Jahr von goldenen Tellern essen" bis zu der Angst vor Zuständen wie in afrikanischen Elendsvierteln.
Viele haben geglaubt (wohl eher gehofft) es würde nach einer gewissen Anlaufzeit so sein wie im Westen. Die Betriebe werden modernisiert, wir arbeiten dann in den modernen Betrieben weiter und in ein paar Jahren ist es in ganz Deutschland gleich.
Ich wusste das nicht jeder seinen Arbeitsplatz behalten würde. aber warum hätte ich den wenigen "Wessis" nicht glauben sollen die mir schon seit Jahren "Wer arbeiten will der findet auch was. Und wer wirklich nichts findet der lebt vom Arbeitslosengeld auch nicht schlecht"
Es kam aber dann die Erkenntnis das wir zwar als Konsumenten willkommen, als Produzenten aber grösstenteils überflüssig waren.
Ich habe auch gewusst das unsere Fabrik auf ihrem technischen Stand nicht weiter existieren konnte. Aber als sofort nach der Wende unser Werk vom einem westdeutschen Konzern gekauft und im grossen Stil renoviert wurde dachte ich mir das es zumindest für uns so kommt wie oben beschrieben. Und als ich 1993 100 % Westtarif bekam war ich mir sehr sicher Glück gehabt zu haben. 1994 kamen die ersten Zweifel. Kurzarbeit (wenn auch mit Lohnausgleich bis 95 %) war auf einmal angesagt. Und das obwohl ich wusste das die Sachen die wir bis dahin gemacht haben nun im Stammwerk im Westen gemacht wurden die dafür Sonderschichten fuhren ...
Ende 1995 war dann alles vorbei. Die neuen Anlagen wurden in den Westen transportiert und unser Werk hat zugemacht.
Während der Räumung der Fabrik sind mir Unterlagen "in die Hände gefallen" (genauer gesagt von meinem frustrierten Chef gegeben worden "Anstatt mich zu fragen warum und wieso? Lies das!) aus denen einiges hervorging. Es gab um unser Werk mehrere Bewerber aus halb Europa. Speziell eine 3 Jahre vor der Wende angeschaffte hochmoderne Anlage aus Westdeutschland war ein Kaufanreiz. Um den Zuschlag zu bekommen mussten Zugeständnisse gemacht werden die auf 5 Jahre befristet waren. Die betrafen Anzahl der Arbeitskräfte und wohl auch deren Bezahlung. Das war der Grund so grosszügig Kurzarbeit zu entlohnen anstatt die Leute zu entlassen. Und als die 5 Jahre vorbei waren ...
Und es ging den Käufern beim Kauf unserer Fabrik auch nicht um die Arbeitsplätze oder einen neuen Standort. Es ging darum den Konkurrenten keinen Einstieg in den deutschen Markt zu ermöglichen.
Nur so nebenbei. Die Sachen die wir damals produziert haben werden von unserem ehemaligen Käufer heute noch im Ruhrgebiet produziert und an die Firma geliefert an die sie schon immer gegangen sind. Aber nicht mehr an das Werk an das wir 30 Jahre lang geliefert haben sondern an deren Stammwerk im Westen.
Und das soll keine Klage sein. Soetwas ist in dem Gesellschaftssystem für das wir uns damals entschieden haben ein übliches Verhalten. Das gab es in der BRD in die wir übernommen wurden schon immer. Und das wusste auch jeder.
Ich denke das es zu dem was geschehen ist keine Alternative gab. Dir DDR war wirtschaftlich am Ende. Und glaube nicht das es noch lange gedauert hätte bis lebenswichtigere Dinge als Autos und Telefon aus dem Angebot verschwunden wären.
Aber ich bin froh das ich nicht herausfinden musste was und wann das gewesen wäre.