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Rassismus: Das weiße Hören
Zitat:
Rassismus
Das weiße Hören
Es heißt nach Hanau, man solle denen mehr Aufmerksamkeit widmen, die von Rassismus betroffen sind. Aber das endet nicht, sobald die betroffene Person den Mund zumacht.
Von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
1. März 2020, 14:59 Uhr 56 Kommentare

Trauernde in Hanau: Was bedeutet es, ihnen zuzuhören? © Patrick Hertzog/AFP/Getty Images
Dieser Artikel ist erschienen auf unserer Schriftstellerplattform "Freitext". [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Eigentlich sollte an diesem Tag an dieser Stelle ein anderer Text von mir erscheinen. Es sollte um Kinderbuchheldinnen gehen und um Feminismus. Mir ist aber wichtig, dass dieser Text hier nach [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] Ich weiß, so wichtig bin ich nicht, dass das irgendwer da draußen merkt, aber ich merke es und eine falsche Reihenfolge würde mich fertig machen und mir den Schlaf rauben.
Denn wenn es nun heißt "Was kann ich konkret gegen Rassismus tun?", ist eine der lautesten Forderungen an die Politik, aber auch an die Zivilgesellschaft, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Zuallererst den Angehörigen der Mordopfer, den Verletzten, ihren Communities. An nächster Stelle denen, die mit den Morden auch gemeint waren.
Ich war gemeint, meine Familie, meine Freundinnen und Freunde waren gemeint. Wir Menschen mit den merkwürdigen Namen und dem vorteilhaften Teint, wir sind gemeint. Wir sollen nicht existieren. Das ist die Botschaft und sie kam an. Und ich habe etwas dazu zu sagen. Also rede ich jetzt.
Denn ich [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] Und ich merke: Es ist heilsam, in diesen Zeiten Namen von Menschen, die wie ich von Rassismus betroffen sind, an prominenten Stellen in verschiedenen Zeitungen, Medien, Programmen, sozialen Netzwerken zu sehen und ihre klugen Gedanken, Analysen, Feststellungen, und ihrer Wut und ihrer Trauer zu folgen. Sie tun mir in meiner Trauer, meiner Wut und meinen eigenen Gedanken endlos gut und sie leisten hilfreiche Aufklärungsarbeit. Sie leisten die Arbeit, Dinge zu erklären und zum einhundertsten Mal politische Forderungen zu formulieren.
Was sagen wir aber, wenn man uns zuhört? Wovon reden wir eigentlich die ganze Zeit? Weil es mir gerade weniger um das Sprechen, sondern vielmehr um das Hören, das weiße Hören geht, möchte ich nicht den Service übernehmen, Inhalte zusammenzufassen. Vereine und Initiativen, Hashtags, Reden, Essays, Anthologien und Einzelpersonen, die gut formulierte Forderungen und Einblicke in ihre Analysen gestatten, findet man nämlich ganz einfach selbst, wenn man sich bemüht. Sie sind seit Jahren sichtbar und keine Geheimtipps mehr, für die man Teil einer Undergroundszene sein muss.
Wenn ihr euch die Einblicke in diese Forderungen von nicht-weißen Personen verschafft habt, stellt ihr fest, dass der Rassismus, gegen den sie antreten, immer dem gleichen Muster folgt. Rassismus hat verschiedene Gesichter, werdet ihr erfahren, nicht nur das mordende, sondern auch das institutionelle, das strukturelle, das persönliche, aber der Mechanismus bleibt derselbe. Ihr wisst nicht, was das heißt, struktureller Rassismus? Das macht nichts. Ich wusste auch mal nicht, was das heißt. Deswegen reden die Betroffenen ja immer wieder davon. Sie erklären es immer und immer wieder. Und wenn man es vergessen hat, kann man immer und immer wieder nachfragen, denn Betroffene haben eine absurde Ausdauer darin, sich zu wiederholen.
Wenn die Betroffenen sich aber ihren eigentlichen Aufgaben zuwenden und gerade mal nicht zur Verfügung stehen, benutzt man wie sonst auch das Internet. Ihnen zuzuhören heißt nämlich auch, sich selbst darum zu kümmern, ihre Begriffe kennenzulernen. Es ist nicht schwer, in seine Suchmaschine "struktureller Rassismus" einzugeben und von einem zum nächsten Artikel zu gelangen. Wenn ihr akademisch unterwegs seid, umso besser, die Forschung boomt, los, geht zur Bibliothek. Ist das nicht toll? Ihr könnt lesen und das Aktivismus nennen.
Was euch die Bibliothek nicht erzählen wird, ist, wie Rassismus sich auf das stinknormale alltägliche Leben auswirkt. Dafür braucht ihr sie dann wieder, die Betroffenen, die erzählen. Sie schreiben darüber auch Bücher, das stimmt. Sachbücher, Romane, Essaysammlungen, insofern seid ihr in der Bibliothek doch nicht so falsch. Wertvoller aber sind vielleicht Gespräche mit ihnen.
Zuhören bedeutet, nicht sofort zu antworten
Hierbei dürft ihr mit Recht vorsichtig sein: Menschen, die von Rassismus betroffen sind, in diesen Zeiten nicht zu fragen, wie es ihnen geht, ist Ignoranz. Von ihnen aber zu verlangen, dass sie diesbezüglich Rede und Antwort stehen, ist grenzüberschreitend. Dazwischen befindet sich ein schmaler Grat, den ihr kennt, denn ihr seid soziale Wesen und soziales Miteinander ist immer durchzogen von schmalen Graten, auch unabhängig von Rassismus.
Also verschluckt euch nicht, weil ich angedeutet habe, dass es schwierig wird. Ich zum Beispiel habe weiße Freundinnen, die reden mit mir nicht über ihre familiären Traumata und ich gehe davon aus, dass sie dafür gute Gründe haben und mir, falls es ihnen wichtig ist, davon erzählen werden. Bis dahin frage ich sie, wie es ihnen geht, und halte ansonsten die Klappe. Sie entscheiden, was sie antworten.
Wenn ihr das Glück habt, dass sich eure Freunde euch anvertrauen, von ihren Gefühlen reden, von ihrem Alltag in einem Land wie diesem, kommt endlich der springende Punkt: Hört zu! Fangt nicht sofort davon an, dass IHR aber selber keine Hautfarbe seht, dass WIR ja vielleicht gerade zu Recht sehr aufgebracht sind, dass man aber besonders jetzt ganz rational statt emotional sein muss und zu euch übrigens auch schon mal jemand ganz gemein war.
Weil ihr Freundinnen seid, wusstet ihr vielleicht auch ohne meinen Hinweis, dass Zuhören wichtig ist. Was ihr aber vielleicht nicht wusstet: Eure Freunde haben auch vor Hanau von ihren [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] gesprochen. Manchmal explizit, sodass es euch jetzt sofort wieder einfällt. Vielleicht erinnert ihr euch an unangenehme Diskussionen mit euren nicht-weißen Freundinnen aus der Vergangenheit. Daran, dass ihr anderer Meinung wart, Dinge nicht so eng gesehen habt, von Übertreibungen ausgegangen seid. Vielleicht würdet ihr das heute nicht mehr so sagen. Aber, daran erinnert ihr euch jetzt, ihr habt es mal gesagt. Scheut euch nicht, eure Versäumnisse nachzuholen! Auch ein "Du hattest Recht", das Jahre später kommt, ist wichtig. Ist ein Zeichen, dass man die andere Person und ihre Expertise wertschätzt.
Manchmal haben wir euch vor Hanau aber auch implizit von Rassismus erzählt, als sprächen wir über jemand anderen. Das ist eine Strategie, die Menschen manchmal wählen, wenn ihnen Dinge unangenehm sind. Und davon zu sprechen, dass man persönlich von Rassismus betroffen ist, ist immer unangenehm, auch weil man damit das weiße Gegenüber als nicht-betroffen markiert und also ausschließt.
Selbst wenn ihr selbst euch gar nicht an diese impliziten Gespräche erinnert, seid euch sicher: Eure nicht-weißen Freundinnen erinnern sich daran. Sie erinnern sich auch an eure Reaktion. Sie erinnern sich an das Gefühl, das ihr ihnen dabei gegeben habt.
Vielleicht führt ihr nun die alten Diskussionen wieder, vielleicht sogar die impliziten offener. Vielleicht werdet ihr wieder im ersten Moment denken, dass man die Dinge nicht so eng sehen muss, dass das Gegenüber übertreibt, dass ihr nun einmal anderer Meinung seid, Punkt. Wenn das so ist, denkt vor eurer Reaktion trotzdem darüber nach, dass ihr nicht von Rassismus betroffen seid. Was das heißt in Bezug darauf, was ihr denkt. Dass es vielleicht ein paar Denkschritte mehr braucht, als ihr es sonst gewohnt seid, um zu verstehen. Dass ihr bei diesem Thema vielleicht länger darüber nachdenken müsst, bevor ihr euch eine Meinung bilden könnt.
"Zuhören" bedeutet nicht, in dem Moment, in dem jemand redet, die Klappe zu halten. Zuhören bedeutet, auch in den Sekunden danach die Klappe zu halten, den inneren weißen Widerstand, der sofort Abwehrmechanismen parat hat, leise zu stellen. Am Ende kann man immer noch zu dem Schluss kommen, dass das Gegenüber übertreibt. Vielleicht tut es das ja. Aber man hat ihm durch simples Innehalten gezeigt, dass man es sieht. Dass es einem in diesem Thema ein paar Punkte voraus ist. Dass es einen Wert hat.
Es geht um den Wert von Menschen
Apropos Wert. Wir Betroffenen reden immer wieder von Repräsentanz. Wir wollen repräsentiert werden. Wir wollen kein Heimatministerium, das aus weißen Männern besteht. Wir wollen keine Talkshowrunden, in denen man über uns redet, aber niemanden von uns eingeladen hat. Wir wollen repräsentiert werden. Warum eigentlich?
Die Berichterstattung von Hanau hat zum einhundertsten Mal gezeigt, warum. Weil wir, wenn wir Bericht erstatten, von Rassismus sprechen und nicht von Fremdenfeindlichkeit. Wir sind keine Fremden. Wir brauchen keinen ganzen Tag, bis wir uns in unserer Berichterstattung korrigieren (danke trotzdem für die Korrekturen). Wir müssen nicht erst sensibilisiert werden, wir sind schon sensibel. Das ist der eine Grund.
Der andere Grund aber ist der der Wertschätzung und der Wertigkeit. Was sagt das aus, wenn ich eine Gedenkveranstaltung zu einem rassistischen Mord veranstalte, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] Es sagt vieles, es sagt aber auch: Eure Meinung ist nicht so viel wert, sie ist es gerade nicht wert, gehört zu werden.
Eure Expertise, euer Wissen, eure Perspektive ist schön und gut und wir wissen, dass es sie gibt und sie ist auch wirklich ganz toll, diese persönliche Betroffenheit, aber andere Expertisen und Stimmen sind gerade wichtiger, Repräsentanten und Expertinnen, deren Nicht-Betroffenheit wir als Objektivität verklären können, auch und gerade bei "eurem" Thema.
Klar, sagen wir dann, sind solche Stimmen auch wichtig. Doch wer nach rassistischen Morden denen, die Rassismus nur aus der Außenperspektive kennen, mehr Raum gibt als den Angehörigen der Opfer, zahlt einen Preis. Der Preis ist der, Menschen wie mir zu sagen, dass unsere Stimme weniger wert ist, dass wir nicht einmal dann im Mittelpunkt stehen, wenn wir im Mittelpunkt stehen.
Bei Rassismus geht es wirklich um diese simple Rechnung. Es geht um den Wert von Menschen. Es geht immer, in allen Abstufungen darum, uns allen einzutrichtern, es gebe eine unterschiedliche Wertigkeit zwischen weißen Menschen und allen anderen. Ein wertvolles Leben und ein weniger wertvolles Leben. Eine wertvolle Menschenwürde und eine weniger wertvolle Menschenwürde. Eine Gruppe, die mitreden darf, und eine, über die gesprochen wird.
Wir als Gesellschaft haben das schon so sehr verinnerlicht, dass wir es nicht einmal merken. Wir sind so naiv im Umgang mit unserer Redefreiheit, dass wir sie mit allen teilen wollen, auch mit Menschen, die die Wertigkeit von Menschen in Frage stellen. Dabei ist es genau das, was niemals passieren darf, niemals, in keinem persönlichen Gespräch, erst recht nicht in der Politik, nicht im Bundestag, nicht mit meinen Steuergeldern. Denn das ist die Vorstufe der Rassenideologie, von der alle behaupten, sie hinter sich gelassen zu haben.
Aber es passiert. Es passiert Tag für Tag. Wir reden zwar darüber, wie man mit der AfD umgeht, wie man mit rechten Verlagen auf Buchmessen umgeht, wie man mit Polizeipräsenz Moscheen und Synagogen schützt. Aber wir sagen nicht, dass es ein absolutes Unding ist, dass es die AfD überhaupt gibt, dass es rechte Verlage überhaupt gibt, dass Menschen in unserer Gesellschaft überhaupt unter buchstäblichem Beschuss stehen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Menschen etwas als Meinung verkaufen, was der blanke irrationale Hass ist. Wir erstellen keinen Masterplan, damit all das einfach nicht mehr zu unserer Realität gehören muss. Das ist kein Plädoyer, Parteien und Verlage zu verbieten. Das ist ein Plädoyer dafür, sich zu fragen, in was für einer Gesellschaft wir leben, in der die Meinungsfreiheit zu solchen Auswüchsen führt. Was für Kinder wir da großgezogen haben, was für Nachbarinnen wir da zu lange ertragen haben, was für Diskutanten wir den Raum gegeben haben, welche Leute wir da eigentlich wählen.
Sind es Leute, die nach Geschwafel und Argumentationen und Rumgeeiere am Ende unterschiedliche Wertigkeiten zwischen Menschen vornehmen? Dann muss man ihnen entgegentreten, widersprechen, ihnen das Mikrofon abdrehen, buhen, weggehen. Nun sind diese Leute ja meistens clever und verstecken die Ideologie der unterschiedlichen Wertigkeit eben hinter Geschwafel und Argumentationen und Rumgeeiere. Wie kann man lernen, das zu dekodieren?
Damit sind wir wieder am Anfang: Hört den Betroffenen zu, wenn sie sich die Mühe machen, es zu erklären. Sie kennen die Codes, denn sie werden direkt von ihnen getroffen. Sie merken auch in Zwischentönen, wenn sie nicht als gleichwertig anerkannt werden. Mit etwas Zuhören und Verinnerlichen erkennt man Rassismus und kategorisiert ihn nicht mehr als merkwürdige, aber berechtigte Meinung. Man kategorisiert ihn als das mörderische Werkzeug, das tötet. Das seit Jahren tötet und, wenn sich nichts ändert, auch weiter töten wird, mehr töten wird. Wir können diesen Kampf nur gewinnen, wenn wir den Fokus auf die Betroffenen richten und ihnen ihren Wert und ihre Würde zurückgeben. Das ist meine innigste Hoffnung, dass das der Ausgang dieser gruseligen Geschichte des derzeitigen Deutschlands ist.
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"Mitleid und Erbarmen hielten Bilbos Hand zurück. Viele, die leben, verdienen den Tod und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben, Frodo? Dann sei nicht so rasch mit einem Todesurteil bei der Hand. Selbst die ganz Weisen erkennen nicht alle Absichten. Mein Herz sagt mir, dass Gollum noch eine Rolle zu spielen hat, zum Guten oder zum Bösen, ehe das Ende kommt." (Gandalf zu Frodo)
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