„Werden nicht klein beigeben“
Der Messerangriff mit drei Toten in einer Kirche im südfranzösischen Nizza hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Attacke am Donnerstag als „islamistischen Terroranschlag“. Zugleich betonte er, Frankreich werde im Streit um seine Werte „nicht klein beigeben“. Die EU-Staats- und Regierungschefs zeigten sich „schockiert“ über den Anschlag.
Bei dem Angriff wurden in der Kirche Notre-Dame de l’Assomption im Zentrum Nizzas drei Menschen getötet, sechs weitere verletzt. Die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen, es geht um den Vorwurf des Mordes in Verbindung mit einem terroristischen Vorhaben. Die Regierung kündigte an, am Freitag in einer Krisensitzung über die Lage zu beraten.
Der mutmaßliche Attentäter von Nizza wurde mittlerweile identifiziert. Es handelt sich nach Angaben der Ermittler um einen 21-jährigen Tunesier. Der Mann sei Ende September über die italienische Insel Lampedusa in die EU gelangt und anschließend nach Frankreich gekommen.
Der Festgenommene soll kein Asyl in Frankreich beantragt haben. Nach seiner Ankunft auf Lampedusa hätten ihn die italienischen Behörden laut italienischen Agenturberichten zunächst nach Bari gebracht, dort soll er dann abgetaucht sein. Aus Quellen im Innenministerium in Rom hieß es, dem Tunesier sei am 9. Oktober ein Ablehnungsdekret für einen Verbleib geschickt worden. Er sei aufgefordert worden, Italien innerhalb von sieben Tagen zu verlassen.
Staatsanwalt nennt Details zu Angriff
Im Zuge der Attacke verletzte der Angreifer die Opfer an der Kehle. Einer 60-jährigen Frau sei tief die Kehle durchgeschnitten worden, sagte Anti-Terror-Staatsanwalt Jean-Francois Ricard am Donnerstagabend. Er sprach von einer Art Enthauptung. Auch der getötete Mesner wurde schwer an der Kehle verletzt. Ein drittes schwer verletztes Opfer sei noch geflüchtet. Die 44-Jährige sei dann außerhalb der Kirche ihren Verletzungen erlegen.
Der Angreifer habe gegen 8.30 Uhr die Kirche im Zentrum von Nizza betreten und sich dort dann etwa eine halbe Stunde aufgehalten und die Opfer angegriffen. Gegen 9.00 Uhr habe die Polizei eingegriffen, den mutmaßlichen Angreifer verletzt und festgenommen. „Die Beamten haben zweifellos ein noch dramatischeres Ergebnis vermieden“, sagte Ricard. Der Angreifer sei schwer verletzt und schwebe in Lebensgefahr.
17 Zentimeter langes Messer als Mordwaffe
Die Einsatzkräfte hätten einen Koran und Telefone gefunden. Außerdem habe man in der Nähe des Angreifers die Mordwaffe, ein rund 17 Zentimeter langes Messer, entdeckt. Ebenfalls seien zwei unbenutzte Messer gefunden worden, so Ricard. Der Angreifer habe ein Dokument des Italienischen Roten Kreuzes bei sich getragen, das auf einen 1999 geborenen tunesischen Staatsbürger ausgestellt gewesen sei.
In der Innenstadt von Nizza waren zum Zeitpunkt des Angriffs zahlreiche Menschen zum Einkaufen unterwegs. Die Attacke erfolgte nur kurz nach der brutalen Ermordung des Lehrers Samuel Paty nahe Paris. Laut Bürgermeister Estrosi passt die Art und Weise „ohne Zweifel“ zu der Tat. Die Opfer seien auf „entsetzliche Art“ getötet worden.
Am Freitag wurde ein weiterer Verdächtiger in Gewahrsam genommen. Der 47-Jährige werde verdächtigt, am Tag vor der Tat mit dem mutmaßlichen Täter in Kontakt gestanden zu sein, hieß es aus französischen Justizkreisen.
Rechtsparteien kritisieren Italiens Innenministerin
Nach der Messerattacke gerät auch die italienische Regierung innenpolitisch unter Druck. Weil der mutmaßliche Täter als im September auf der italienischen Insel Lampedusa eingetroffener Tunesier identifiziert wurde, kritisierten Rechtsparteien die Einwanderungspolitik der Regierung von Premier Giuseppe Conte und verlangten Erklärungen von Innenministerin Luciana Lamorgese.
Italien sei zur „Terrorroute“ geworden, kritisierte die Rechtsaußen-Parlamentspartei Fratelli d’Italia (FdI, Brüder Italiens). „Die Regierung Conte muss erklären, wie es möglich ist, dass ein Fundamentalist ungestört auf Lampedusa eintrifft und nach Frankreich reist“, so FdI-Chefin Giorgia Meloni.
Der Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, forderte den Rücktritt der Innenministerin. Er kritisierte, dass die Regierung Conte die strengen Einwanderungsgesetze aufgehoben habe, die seine Partei in ihrer Regierungszeit 2018 und 2019 im Parlament durchgesetzt hatte. „Die italienische Regierung hat hier eine klare politische Verantwortung, die man nicht verschweigen darf“, protestierte Anna Maria Bernini, Senatorin der rechtskonservativen Forza Italia von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi.
Tunesien nahm Ermittlungen auf
Die tunesische Staatsanwaltschaft nahm nach Bekanntwerden erster Informationen über die Identität Ermittlungen auf. Für den Fall, dass die Justizbehörden um Zusammenarbeit bitten, stehe man zur Verfügung, so der stellvertretender Staatsanwalt und Gerichtssprecher in Tunis, Mohsen Dali, am Donnerstagabend.
Das tunesische Anti-Terror-Gesetz schreibe die Strafverfolgung jedes Tunesiers vor, der an einer terroristischen Handlung innerhalb oder außerhalb des Landes beteiligt war, sagte Dali. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur TAP bestätigte er zudem, dass der mutmaßliche Angreifer nach ersten Ermittlungskenntnissen ein Tunesier war.
Tunesien verurteile „den terroristischen Vorfall in Nizza“ aufs Schärfste, hieß es nach Angaben der Nachrichtenagentur TAP aus dem Außenministerium. In einer Erklärung habe das nordafrikanische Land auch seine „völlige Ablehnung aller Formen von Terrorismus, Extremismus und Gewalt“ bekräftigt und den Familien der Opfer sein Beileid ausgesprochen.
Italiens Behörden gaben unterdessen an, von Tunesien nicht vor dem Gewalttäter von Nizza gewarnt worden zu sein. Auch aus „nachrichtendienstlichen Kanälen“ sei er nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit genannt worden.
Angriffe auch in Avignon und Saudi-Arabien
Offen ist noch, ob auch ein Angriff auf Passanten in der südfranzösischen Stadt Avignon ein islamistisches Motiv hatte. Ein Mann habe in dem Ort Montfavet mehrere Menschen mit einer Pistole bedroht, teilte die Polizei am Donnerstag mit und bestätigte entsprechende Medienberichte. Die Polizei habe den Mann erschossen.
Der Hörfunksender Europe 1 meldete, auch in dem Fall habe der Angreifer „Allahu akbar“ gerufen. Andere Medien berichteten, dass der Mann eine Jacke der rechts*******n Identitären getragen hatte. Man ermittle in alle Richtungen, hieß es seitens der französischen Polizei, dem Vernehmen nach habe sich aber bisher kein islamistisches Motiv gezeigt.
Zur selben Zeit wurde ein Wachmann des französischen Konsulats im saudi-arabischen Dschidda bei einem Messerangriff verletzt. Der einheimische Angreifer sei festgenommen worden, wie die französische Botschaft in dem Land bekanntgab. Der Wachmann sei ins Krankenhaus gebracht worden, er sei aber nicht in Lebensgefahr. Der Angreifer sei um die 40 Jahre alt und habe den Wächter mit einem „scharfen Werkzeug“ angegriffen, sagte Polizeisprecher Mohammed al-Ghamdi. Die genauen Hintergründe der Tat sind unklar.
Die französische Botschaft in Riad sprach in einer Mitteilung von einer „Messerattacke“. Der verletzte Wachmann sei bei einer Sicherheitsfirma angestellt, erklärte die Botschaft, ohne dessen Staatsangehörigkeit zu nennen. Saudische Sicherheitskräfte hätten den Täter unmittelbar nach dem Angriff überwältigt. Die Botschaft verurteilte die Attacke scharf. Man habe das Vertrauen in saudische Behörden, die französische Gemeinde im Land zu schützen. Franzosen in Saudi-Arabien wurden zugleich zu „höchster Wachsamkeit“ aufgerufen. Ob die Attacken in Verbindung zu Nizza stehen, blieb offen.
Infolge der drei Vorfälle rief die französische Regierung am Donnerstag die höchste Terrorwarnstufe aus. Sie wird landesweit gelten. Die Antwort der Regierung auf die Anschläge werde „hart und unerbittlich“ sein, sagte Premierminister Jean Castex vor der Nationalversammlung.
Festnahmen vermeldet
Vermeldet wurden zudem mehrere Festnahmen in Frankreich. So wurde in Lyon ein mit einem Messer bewaffneter Mann festgenommen. Zeugen hatten zuvor die Polizei benachrichtigt, wie Polizeikreise am Donnerstag mitteilten. Der Mann sei den Sicherheitsdiensten bekannt, hieß es weiter. Niemand wurde verletzt. Es gab keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit der tödlichen Attacke in Nizza.
Die Zeitung „Le Parisien“ berichtete außerdem von einer Festnahme in Sartrouville in der Nähe von Paris. Ein Mann soll seinem Vater anvertraut haben, nach der Attacke in Nizza einen Anschlag verüben zu wollen, und habe ein Messer dabeigehabt, so die Zeitung weiter. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür nicht.
Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin hatte mehrfach von einer hohen Terrorgefahr im Land gewarnt. Nizza war bereits 2016 von einem Terroranschlag erschüttert worden, dabei starben 86 Menschen.
Präsident Macron sagte, das Land werde im Streit mit muslimischen Ländern um seine Werte „nicht klein beigeben“. Zugleich kündigte der Staatschef den Einsatz von 7.000 Anti-Terror-Kräften der Armee an, das sind mehr als doppelt so viele wie bisher. Schulen und Kirchen sollen besser geschützt werden. Macron sieht sich derzeit mit einer Protestwelle in vielen arabischen Ländern konfrontiert. Nach dem Mord an dem Lehrer nahe Paris hatte Macron schärfere Maßnahmen gegen Islamismus in Frankreich angekündigt.
Konflikt mit Türkei
Eine Reihe islamischer Länder – allen voran die Türkei – kritisiert wegen „antimuslimischer Maßnahmen“ seit Wochen die französische Regierung. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan griff Macron persönlich an und rief zu einem Boykott französischer Waren auf. Es kam zu vielen antifranzösischen Protesten. Erst am Mittwoch eskalierte der Konflikt zwischen der Türkei und Frankreich weiter, nachdem das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ eine Karikatur Erdogans veröffentlicht hatte.
Die Attacke in Nizza verurteile die Türkei: Es gebe nichts, was Gewalt und das Töten von Menschen rechtfertige, teilte das türkische Außenministerium mit. Menschen, die derartig brutale Angriffe an einem solch heiligen Ort verübten, hätten keine religiösen, humanitären oder moralischen Werte. Man stehe solidarisch mit den Menschen in Frankreich gegen Terror und Gewalt, hieß es.
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