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01.10.13, 10:34
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Super Moderatorin
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Washington erleidet Finanz-Infarkt Bankrott zur Geisterstunde
Zitat:
Der geplatzte Haushaltskompromiss zwischen Demokraten und Republikanern zwingt nicht nur die US-Regierung zum Verwaltungsstillstand. Er markiert auch die Pleite der gerühmten amerikanischen Demokratie.
Punkt Mitternacht (Ortszeit) ist die Uhr im Washingtoner Haushaltsdrama endgültig abgelaufen. Kurz zuvor hat das US-Repräsentantenhaus noch einmal einen Anlauf genommen und einen Entwurf zur Staatsfinanzierung verabschiedet. Der US-Senat lehnte ihn erneut ab. Es ist ein polittaktisches Ping-Pong-Spiel, das sich in den vergangenen Tagen und Stunden bereits mehrfach wiederholt hat.
In Washington könnte es bald ordentlich stinken
Jetzt muss die Supermacht USA ihre Verwaltung schließen. Als erstes soll es die Nationalparks und Monumente treffen: von der Freiheitsstatue in New York über den Grand Canyon in Arizona bis hin zum Fort Clatsop Denkmal am Pazifik. Etwa 800 000 Beamten droht der Zwangsurlaub ohne Bezahlung. In der US-Hauptstadt Washington muss wahrscheinlich die Müllabfuhr eingestellt werden. Für die ist nämlich der Bund zuständig.
Allerdings soll weiterverhandelt werden. Wenn möglich, schon am heutigen Dienstag. „Vielleicht können wir den Schalter ja bald wieder öffnen“, meint ein optimistischer Kongressmitarbeiter. Hoffnung gilt im Moment jedoch als eine Art politische „seltene Erde“ auf dem Kapitolshügel.
Obamas letzter Appell verhallt
Alles wurde versucht und doch nichts erreicht. Sogar US-Präsident Barack Obama schaltete sich am Montagabend noch einmal persönlich mit einem letzten Appell ein. „Die Verfassung hat dem Kongress zwei relativ simple Verpflichtungen übertragen. Er muss den Haushalt verabschieden und Amerikas Rechnungen bezahlen“, forderte er fast schon verzweifelt. „Doch wenn er diese Verpflichtungen nicht erfüllt, bleibt uns nichts anderes übrig als dichtzumachen.“
Die Konsequenzen seien dramatisch, klagte Obama weiter. Bürogebäude müssten geschlossen werden, Lohnzahlungen würden sich verzögern, ebenso wichtige staatliche Hilfen für Senioren, Veteranen, Frauen, Kinder und Unternehmen. Die Folgen für die noch immer fragile US-Konjunktur seien unabsehbar: „Die Menschen werden die wirtschaftlichen Auswirkungen voll zu spüren bekommen.“ Für den Präsidenten ist dies „der Höhepunkt der Verantwortungslosigkeit“.
US-Vorzeigedemokratie an die Wand gefahren
Was die USA in dieser Nacht zum Dienstag zur Geisterstunde erleben, ist ein doppelter Bankrott: Nicht nur die Regierung ist bis auf weitere Pleite, sondern auch ihr politisches System: Amerikas berühmte Vorzeige-Demokratie, die seit mehr als zwei Jahrhunderten Vorbildcharakter geniest, wurde mit voller Wucht an die Wand gefahren.
Die US-Verfassungsväter hatten ihrer künftigen Regierung in ihrem 1787 verfassten Werk eine strikte Gewaltenteilung verordnet. Dabei ging es ihnen nicht um die gegenwärtige Blockadepolitik, sie wollten vielmehr sicherstellen, dass sich etwa Präsident und Kongress gegenseitig kontrollieren in ihrer Macht ausbalancieren. Keine Seite sollte allein die Überhand gewinnen.
Doch dieses System der so genannten „Checks and Balances“ funktioniert nur, solange alle Beteiligten wenigstens minimal miteinander kooperieren. Und genau diese Kooperationsbereitschaft fehlt im hochpolarisierten Washington des 21. Jahrhunderts.
Die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse in der US-Hauptstadt verschärfen die Situation nur noch: Im Weißen Haus regiert der Demokrat Barack Obama. Im Repräsentantenhaus geben die Republikaner den Ton an. Im Senat haben zwar Obamas Demokraten eine knappe Mehrheit, aber die ist reicht nicht, um republikanische Verzögerungsmanöver, wie etwa einen Filibuster (Dauerrede) zu stoppen, mit dem Abstimmungen über wichtige Gesetze verhindert werden können.
Republikaner torpedieren Obamas Wahlversprechen
Die Folge ist eine Totalblockade, bei der sich Demokraten und Republikaner gegenseitig knebeln. Seit Obama im Oval Office an der 1600 Pennsylvania Avenue eingezogen ist, versuchen ihn seine politischen Gegner mit allen Kräften auszuhebeln: Seine Wahlversprechen – von der Erneuerung der maroden Infrastruktur bis zur großen Energiewende – scheiterten am Widerstand der Republikaner.
Lediglich für seine Gesundheitsreform bekam er nach langem Ringen den Segen des Kongresses: und auch das nur, weil er von seinem ursprünglichen Plan starke Abstriche machte und damals noch in beiden Kammern die Demokraten dominierten.
Hinter Obamacare-Gegner steht die Gesundheitslobby
Die Reform soll sämtlichen Amerikanern eine erschwingliche Krankenversicherung garantieren und sie zugleich davor schützen, dass sie wegen bereits bestehender Vorerkrankungen oder chronischer Leiden ausgeschlossen oder gar nicht erst aufgenommen werden. Sie ist längst Gesetz. Ihre Verfassungsmäßigkeit wurde inzwischen sogar vom obersten US-Gerichtshof bestätigt. Dennoch hat sie einer Gruppe ultra-konservativer Republikaner jetzt zum Dreh- und Angelpunkt des gegenwärtigen Haushaltsstreits erklärt.
Die Reformgegner wollen Obamas Budget nur dann absegnen, wenn er das Inkrafttreten seiner Gesundheitsreform um ein Jahr verschiebt. Hinter der Forderung steht das letzte Aufbäumen von Amerikas mächtiger Gesundheitslobby. Die Krankenversicherer wollen das für sie potenziell kostspielige Gesetz verhindern. Sie wissen jedoch, dass es sich nicht mehr so einfach abschaffen lässt. Also versuchen sie es nun mit Hilfe einiger verbündeter Republikaner im Kongress zu verzögern, solange es nur geht.
Ein Kompromiss, wie ihn gemäßigte Konservative um den Präsidenten des Repräsentantenhauses, John Boehner, mit Obama suchen, gilt für Cruz und Konsortenals Verrat an der eigenen Parteidoktrin. Sie seien nur dann bereit, einem neuen Haushalt zuzustimmen, wenn die Finanzierung der Gesundheitsreform bis 2015 ausgesetzt werde, tönen sie. Die „Grand Old Party“ steht inmitten einer Zerreißprobe.
Noch haben der Texaner Cruz und seine „Tea Party“-Alliierten die Mehrheit des Volkes hinter sich. In einer CNN-Umfrage sind 57 Prozent gegen Obamas Gesundheitsreform. Dieses Ergebnis gibt auch moderaten Republikanern zu denken, die sich um ihre Senatoren- und Abgeordnetenposten sorgen.
Doch die Zahl verzerrt die Wirklichkeit. Sie ist nicht zuletzt das Resultat einer ausgefeilten Lobby-Kampagne der US-Gesundheitsindustrie gegen die so genannte Obamacare. Sobald die Demoskopen den Namen Obama weglassen, und die Amerikaner lediglich danach fragen, ob sie sich eine bezahlbare Krankenversicherung wünschen, aus der sie nicht so ohne weiteres wieder rausgeschmissen werden können, ist die breite Mehrheit plötzlich dafür.
Republikaner zieht Nazi-Vergleich
Das ist auch dem Präsidenten klar. Er setzt darauf, dass die skeptische Stimmung in der Öffentlichkeit schnell zugunsten seiner Gesundheitsreform umschwenken wird, sobald diese erst einmal in Kraft getreten ist und die Bevölkerung deren Vorteile zu spüren bekommt. Deshalb sperrt sich Obama auch gegen alle Verzögerungsversuche. „Es wird keine weiteren Verhandlungen geben“, stellt er klar. Cruz’ Forderung nennt er eine Erpressung und kontert: „Wir zahlen kein Lösegeld!“
Aber auch die „Tea Party“-Republikaner bleiben hart. Man werde nicht einen einzigen Millimeter nachgeben, betonen sie. Cruz vergleicht in einer mehr als gewagten historischen Betrachtung Obamas Gesundheitsreform gar mit dem Nazi-Regime in Deutschland. Damals hätten Politiker wie Neville Chamberlain ihr Volk dazu aufgerufen, Hitler zu akzeptieren. Dieses dunkle Kapitel der Geschichte dürfe sich jetzt nicht wiederholen, appelliert er: „Deshalb müssen wir uns jetzt gemeinsam gegen die Gesundheitsreform erheben.“
Krankenversicherung für alle als Nazi-Teufelei? So weit ist es also im amerikanischen Haushaltsstreit mittlerweile gekommen. So extrem und verbittert sind die Fronten, dass ein rationaler politischer Diskurs unmöglich erscheint. Politik, Diplomatie, ja sogar das Gewissen haben zumindest bei einem Teil der gewählten Volksvertreter versagt. Washington ist in vielfacher Hinsicht gelähmt.
Auch Clinton musste Verwaltung stilllegen
Fast 18 Jahre ist es her, seit die US-Regierung zur Jahreswende 1995/96 das letzte Mal wegen eines Haushaltsstreits schließen musste. Damals hieß der US-Präsident Bill Clinton und war wie Obama ein von den Republikanern abgrundtief gehasster Demokrat. Sein republikanischer Gegenspieler im US-Repräsentantenhaus war Newt Gingrich.
Die Bevölkerung gab seinerzeit den Republikanern die Schuld an der Haushaltskrise. Clinton wurde im November 1996 mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. Auch im kommenden Jahr stehen Wahlen an; zwar nicht zum Weißen Haus aber immerhin zum Kongress. Die nächsten Wochen und Monate dürften zeigen, wer davon profitieren wird.
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