Die US-Justiz ist erfolgreich auf dem Vormarsch zum obersten Gerichtshof der ganzen Welt. Auf Anordnung von Justizministerin Loretta Lynch nahm die Schweizer Polizei am Mittwoch in Zürich sieben Funktionäre des Weltfußballverbands FIFA fest. Sie gehören alle dem kontinentalen amerikanischen Fußballverband CONCACAF an, nur einer von ihnen besitzt die Staatsbürgerschaft der USA. Insgesamt ermittelt das US-amerikanische Justizministerium nach eigenen Angaben gegen 14 FIFA-Funktionäre wegen angeblicher Schmiergeldzahlungen und Geldwäsche. Unter anderem geht es um Zahlungen, die angeblich getätigt worden sein sollen, um Katar zur Weltmeisterschaft 2022 zu verhelfen. Den jetzt Verhafteten droht bei einem Prozess in den USA eine Höchststrafe von 20 Jahren Gefängnis.
Die Entscheidung für Katar war in einer Abstimmung des Exekutivkomitees der FIFA am 2. Dezember 2010 gefallen. Das arabische Fürstentum setzte sich mit 14 zu 8 Stimmen gegen den Konkurrenten USA durch, der jetzt zu einer späten Rache auszuholen scheint. Zusammen mit Expräsident William Clinton war auch der damalige Justizminister Eric Holder, Lynchs direkter Vorgänger, zur Abstimmung nach Zürich geflogen, um – wie es offiziell hieß – »für die amerikanische Kandidatur zu werben«. Clinton hat es mit Dienstleistungen dieses Typs nach Ende seiner Amtszeit als Präsident zum vielfachen Millionär gebracht. Was ein Justizminister bei einer sportlichen Entscheidung zu tun hatte, ist unklar. Im Licht der aktuellen Ereignisse scheint nicht ausgeschlossen, dass Holder damals schon »unter vier Augen« Drohungen gegen einzelne FIFA-Funktionäre ausgesprochen hat, falls die Abstimmung nicht zugunsten der USA verlaufen würde.
Die Ermittlungen der US-Justiz in Sachen FIFA wurden jedenfalls schon im Jahr 2010 aufgenommen. Geleitet wurden sie von einer für den Bezirk East New York zuständigen Staatsanwältin: genau jener Loretta Lynch, die seit April Justizministerin der USA ist. Presseberichten zufolge hatte Lynch die Anklage, die am Mittwoch zu den Verhaftungen in Zürich führte, schon seit Monaten abgeschlossen. Das Timing war offensichtlich auf die Tatsache abgestimmt, dass in der Schweizer Stadt am nächsten Tag der Jahreskongress der FIFA begann, auf dem es unter anderem um die Wiederwahl von Verbandspräsident Joseph Blatter geht. Er hat sich den Hass der Regierung in Washington und maßgeblicher politischer Kreise der USA zugezogen, weil er allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz die Durchführung der nächsten Fußballweltmeisterschaft in Russland verteidigt. Bei der Abstimmung, die am Freitag nach Redaktionsschluss stattfand, wollten die USA und ihre Verbündeten im europäischen Fußballverband UEFA für Blatters einzigen Gegenkandidaten, den jordanischen Prinzen Ali Bin Hussein, stimmen. Er ist ein Sohn des früheren Königs Hussein und ein Halbbruder des regierenden Monarchen Abdullah II, dessen Leibwache er neun Jahre lang leitete. Der heute 39jährige ist seit 15 Jahren Präsident des jordanischen Fußballverbands.
Korruptionsvorwürfe gegen hohe Funktionäre der FIFA werden seit vielen Jahren erhoben. Es fehlt ihnen grundsätzlich nicht an Plausibilität, vor allem, was die Vergabe von Fußballweltmeisterschaften angeht. Gerade darum sind sorgfältig geführte, auf Vorrat angelegte Ermittlungsakten, die zum passenden Zeitpunkt in Haftbefehle und Skandale umgewandelt werden, ein gutes Instrument zur Förderung politischer Interessen und Ziele.
Im Vordergrund des gegenwärtigen Angriffs der US-Justiz auf die FIFA-Spitze steht anscheinend die Fußballweltmeisterschaft in Russland, die vom 14. Juni bis zum 15. Juli 2018 stattfinden soll. Am Dienstag, also einen Tag vor den Verhaftungen in Zürich, richteten zwei führende Hardliner im US-Senat, der Demokrat Robert Menendez und der Republikaner John McCain, einen offenen Brief an den bevorstehenden FIFA-Kongress. Darin riefen sie dazu auf, an Stelle Blatters einen neuen Verbandspräsidenten zu wählen, »der darauf hinarbeitet, dem Putin-Regime das Privileg zu entziehen, Gastgeber des World-Cup zu sein«.
Nach Bekanntwerden der Korruptionsanschuldigungen des US-Justizministeriums erklärte Menendez am Mittwoch, dass dadurch seine Bedenken gegen die Durchführung der WM in Russland noch verstärkt worden seien. Die Logik dieser Aussage erschließt sich nicht, da die Entscheidung der FIFA für Russland, die unter anderem auch vom Deutschen Fußballverband (DFB) mitgetragen wurde, bisher nicht unter Bestechungsverdacht steht. Das heftige moralische Engagement von Menendez, der vermutlich der rechteste Politiker der Demokraten im ganzen Kongress ist, hat einen ironischen Reiz: Anfang April wurde gegen ihn selbst Anklage wegen Korruption erhoben. Ihm wird vorgeworfen, sein Senatsamt missbraucht zu haben, um einem guten Freund gefällig zu sein, und dafür Belohnungen entgegengenommen zu haben.
In deutschen Medien, vor allem in
Bild und bei
Spiegel online, hat der Vorstoß der US-Justiz, ihre Zuständigkeit auf die ganze Welt auszuweiten, große Begeisterung hervorgerufen.
Spiegel-Korrespondent Marc Pitzke lobte am Freitag, dass »die Amerikaner für so etwas die besten Gesetze, die beste Erfahrung und den längsten Atem« hätten. Nebenbei behauptete der Autor, dass das FBI und die US-amerikanische Steuerfahndung dem FIFA-Präsidenten Blatter schon 2011 ein »Ultimatum« gestellt hätten, »das ihm keine Wahl ließ«: »Wir können Sie in Handschellen abführen – oder Sie können kooperieren.« Das habe Blatter tatsächlich getan und sei 2013 sogar »zum V-Mann der US-Staatsanwaltschaft« geworden, »der die FIFA-Kollegen mit einem Minimikrophon im Schlüsselanhänger bespitzelte«. Blatters »Insiderwissen« sei eine wesentliche Grundlage der jetzt öffentlich gewordenen Anklageschrift. Aus allgemein zugänglichen, nachprüfbaren Quellen stammen Pitzkes Behauptungen wahrscheinlich nicht. Daher ist nicht auszuschließen, dass sie Teil der Kampagne zur Demontage von Blatter sind.
FIFA hat mit Blatter keine Zukunft
»Joseph Blatter ist als oberster FIFA-Saubermann, zu dem er sich selbst zu stilisieren versucht, denkbar ungeeignet. Die FIFA hat mit Blatter an der Spitze keine Zukunft. Die Korruption ist im Weltfußballverband unter seiner Präsidentschaft regelrecht aufgeblüht. Er trägt die Verantwortung für den massiven Glaubwürdigkeitsverlust durch eine lange Reihe von Skandalen. Das muss Konsequenzen haben«, forderte am Freitag der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, Dietmar Bartsch, anlässlich des FIFA-Kongresses in Zürich.
Bartsch weiter: »Da Blatter nicht selbst gewillt ist, Konsequenzen zu ziehen, muss der europäische und der deutsche Fußball dies tun. Ziel muss es sein, die FIFA-Strukturen so zu verändern, dass der Fußball und nicht die hemmungslose Geschäftemacherei wieder in den Mittelpunkt rückt. Dafür ist eine rückhaltlose Aufklärung aller Korruptionsfälle die entscheidende Voraussetzung. Der DFB sollte sich für eine unabhängige Kommission stark machen. Eine Spaltung des Weltfußballs sollte vermieden werden – schon weil ja auch im Frauenfußball und im Nachwuchs das weltweite Kräftemessen organisiert werden muss und die Fußballerinnen und Fußballer nicht zu Leidtragenden der FIFA-Machenschaften werden dürfen. Eine Zusammenarbeit mit Blatter kann es allerdings nicht geben. Blatter sollte dem Weltfußball einen Dienst erweisen und seinen Stuhl freimachen für einen wirklichen Neuanfang.«
[Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...]