Wikipedia und seine unsichtbaren Autoren
Menschen haben viele Fragen: Das Internet-Lexikon Wikipedia beantwortet sie fast alle. 7000 Autoren schreiben unentgeltlich für die Enzyklopädie. Doch wer sind "Der Hexer" oder "in dubio pro dubio"?
Als Uwe Gille vor sechs Jahren ein Quiz zusammenstellte für ein Abiturjubiläum, entdeckte er, dass Wikipedia zwar viele Informationen enthält, diverse Schlagworte jedoch noch ohne Eintrag waren. "Ein paar Lücken konnte ich aus dem Stegreif füllen und so bin ich da reingeschlittert", sagt der 49-jährige Tierarzt aus Halle. Seitdem hat Gille mehrere tausend Schlagwörter erstellt, über 100.000 Einträge gemacht und ist Mitglied der Medizinredaktion des Online-Wörterbuchs.
Es ist spannend die Leute hinter den Beiträgen kennenzulernen
Selbstredend geht er zu deren jährlichen Versammlungen und zu Regionaltreffen. "Da kommt eine illustre Truppe zusammen", sagt er und meint Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen von Straßenbahnen bis zur Zoologie. Gille findet es spannend, den Menschen hinter dem Wikipedia-Artikel kennenzulernen. Die meisten verstecken sich im Internet hinter Pseudonymen wie "Der Hexer", "in dubio pro dubio" oder "Taratonga". Bei den Stammtischen herrscht aber Offenheit. "Wir basteln Vorlagen, wie man die Artikel verbessern kann", berichtet Gille. Themen und Herangehensweisen würden diskutiert, bis es eine "Gruppenmeinung" gebe.
7000 aktive Wikipedia-Autoren
Rund zwei Dutzend Stammtische gibt es von Ostfriesland bis Basel. Das Online-Wörterbuch widmet ihnen natürlich einen Eintrag. Der erste Stammtisch fand im Oktober 2003 in München statt - nach Wikipedia-Angaben war es der erste Stammtisch weltweit. "Manche Dinge kann man besser persönlich besprechen", sagt Catrin Schoneville dazu. Laut der Sprecherin der deutschen Vertretung der Wikimedia-Stiftung, die hinter der Online-Enzyklopädie steht, gibt es derzeit rund 7000 aktive Wikipedia-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bei den Stammtischen werden Neulinge in die Regeln und Interna eingeführt oder alte Hasen diskutieren die neusten Gerüchte.
Vandalismus wird bekämpft
So wie die Internetplattform sind auch die Stammtische frei zugänglich: Die Treffen werden im Internet angekündigt und jeder, der will, kann kommen. Die Pflege der Online-Enzyklopädie braucht viele Hände, denn es ist nicht einmal ein Benutzerprofil notwendig, um Einträge zu manipulieren. Allerdings bleiben Spaßeinträge oder böswillige Verfälschungen nicht lange online. Mehrere hundert Wikipedia-Autoren haben sich der Vandalismus-Bekämpfung verschrieben.
Jürgen Lüdeke etwa löschte am Mittwoch einen "Gruß an die Omi: Hallo Omi" aus dem Artikel über den "Regenbogen", den ein Nutzer Minuten zuvor platziert hatte. Lüdeke ist seit mehr als vier Jahren Wikipedia-Autor. Damals entdeckte er einen Fehler, den er korrigierte. Inzwischen beschäftigt er sich jeden Tag "mindestens einmal" mit Einträgen, die nicht den Prinzipien des Online-Wörterbuchs entsprechen. Diese verlangen, dass die Artikel neutral sind, allgemeinverständlich, nachvollziehbar und belegbar.
Fehler sind unerwünscht
Besonders ärgerlich, berichtet Lüdeke, war der falsche "Wilhelm" in der Vornamenskette von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Diesen Fehler löschte aber nicht Lüdeke, sondern ein Kollege. Der 46-jährige Unternehmensberater besucht den Berliner Stammtisch, wann immer es seine Zeit erlaubt. Die Neugierde auf die anderen Autoren trieb ihn am Anfang, inzwischen ist es ein Besuch bei Freunden. "Wir reden über Privates, Klatsch und Tratsch, aber auch die Entwicklung von Wikipedia."
Die Stammtisch-Besucher seien zumeist männlich, die Altersspanne reiche von 18 bis 70 Jahren. Allen gemeinsam, sagt Lüdeke, sei der Stolz, ein Rädchen im Getriebe der großen Maschinerie zu sein. "Mittlerweile nutzt die Online-Enzyklopädie so gut wie jeder", berichtet er. Tierarzt Gille nennt als seine Motivation den Wunsch, Wissen zu teilen. Oft nutze er die Zeit vor der Sprechstunde, um noch schnell einen Artikel zu schreiben. Viele seiner Beiträge tragen ein Sternchen als besonders "empfehlenswert". Die Stammtische sind Teil seines Alltags geworden, denn dort habe er Freunde gefunden, "Mediziner und Nicht-Mediziner". "Und die möchte ich jetzt nicht mehr missen."
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