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Engagement im Alter: Die Stadt der Alten

 
 
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pauli8
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Standard Engagement im Alter: Die Stadt der Alten

Zitat:
Engagement im Alter
Die Stadt der Alten


In ganz Deutschland gehen die Babyboomer in Rente. In Lüchow leben schon heute viele alte Menschen. Eine Belastung?
Im Gegenteil: Ohne sie ginge nichts.


Eine Reportage von Parvin Sadigh, Lüchow

16. März 2019, 18:38 Uhr


Nach dem Mittagessen im Mehrgenerationenhaus in Lüchow sitzen die Menschen noch lange beieinander. © Parvin Sadigh

Jeden Dienstagmittag parken an der Fensterfront des Allerlüd in Lüchow die Rollatoren. Heute gibt es Fischfilet mit Möhren in Senfsauce für vier Euro, alle Tische im Saal des Mehrgenerationenhauses sind gedeckt. Wer sich nicht rechtzeitig anmeldet, landet auf einer Warteliste, denn es bleibt selten ein Platz frei. Noch lange, nachdem abgeräumt ist, sitzen kleine Grüppchen beieinander, reden über die Sprüche der Enkel oder darüber, wie es werden soll, wenn der Bornemann seine Praxis aufgibt. Dann gibt es hier nämlich keinen Augenarzt mehr. Doch die Alten von Lüchow werden sich wahrscheinlich zu helfen wissen. So wie sie für fast alle Probleme eine Lösung finden.

Der Kreis Lüchow-Dannenberg hat jetzt schon eine Altersstruktur, die demnächst viele ländliche Orte in Deutschland prägen wird: 27 Prozent der Menschen hier waren laut Statistischem Landesamt bereits 2017 über 65 Jahre alt. Zum Vergleich: 1970 waren es 18 Prozent. Wenn die Babyboomer, die vielen Menschen, die zwischen Mitte der Fünfziger- bis Ende der Sechzigerjahre geboren sind, in Rente gehen, werden die Alten hier weit mehr als ein Drittel der Bevölkerung stellen.

Aber obwohl der Augenarzt wohl keinen Nachfolger findet und die Volksbank ihre Filialen auf den Dörfern schließt, ist die Region alles andere als trostlos. In Lüchow und den dazugehörigen Dörfern mit den knapp 9.500 Einwohnern lässt sich sehen, wie die Gesellschaft der Zukunft gelingen könnte: mit den Alten gemeinsam. Sie kümmern sich selbst um andere Senioren, um die Lokalpolitik, um Kultur, Umwelt, Bildung oder Sport.

Länger arbeiten, wenn es Spaß macht

Eine Forsa-Umfrage zu den Babyboomern im Auftrag der Körber-Stiftung zeigt, dass viele der heute 50- bis 75-Jährigen noch viel anbieten wollen: ihr Fachwissen etwa, ihre Menschenkenntnis und ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen. Fast 70 Prozent der Befragten können sich vorstellen, länger zu arbeiten, über 40 Prozent wollen sich engagieren oder tun es ohnehin schon. Hinzu kommt, dass die heute 65-Jährigen gebildeter und gesünder sind als frühere Generationen. Sie haben noch viel Energie. Viele glauben laut Umfrage, ihr Potenzial werde unterschätzt. Aber, auch das sagt die Studie: Ihr Engagement muss ihnen Spaß machen.

Um sich einzubringen, müssen die engagierten Menschen auf Politiker treffen, die sie zu schätzen wissen. Es braucht Orte wie das Allerlüd in Lüchow. "2013 wurde das Haus mit viel Geld aufwendig umgebaut", erzählt Bürgermeister Manfred Liebhaber stolz, der selbst schon 68 ist und beim Mittagessen mit Hallo und Umarmungen empfangen wird. Wer will, kann im Mehrgenerationenhaus einfach nur plaudern, zur Gymnastik oder zum Yoga gehen. Es gibt aber auch eine Werkstatt und ein Bücherzimmer, in dem Freiwillige Kindern vorlesen. Und wer eigene Ideen hat, kann auch selbst etwas anbieten.

Wie die 74-jährige Undine Stiwich. Für ihre wendländische Tanzgruppe nutzt sie einen der großen Mehrzweckräume im Allerlüd. Hier bringt sie Jungen und Alten gemeinsam die schweißtreibenden Tänze bei. Die Frauen mit rotem Kopftuch, die Männer mit schwarzem Hut und einem Stab mit bunten Bändern: In ihrer Tracht treten sie in ganz Europa auf. Das ist aber nur eine von Stiwichs ehrenamtlichen Tätigkeiten. Die zierliche Frau mit den blonden langen Haaren erzählt beispielsweise im Seniorenheimen Märchen und organisiert Kunstausstellungen im historischen Lüchower Amtsturm und im Dannenberger Waldemarturm.
Und sie ist immer noch berufstätig, leitet mit 20 Stunden in der Woche das Stadtarchiv. In Dannenberg ist sie in dieser Funktion zwar mit 60 schon in Rente gegangen. Im Nachbarort Lüchow hat sie aber mit 61 wieder angefangen, zu arbeiten, denn hier wurde eine ausgebildete Archivarin dringend gebraucht.

Neues Lernen, Sinnvolles tun
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Manfred Liebhaber (links) ist Bürgermeister von Lüchow. Undine Stiwich (rechts) ist die Stadtarchivarin. © Parvin Sadigh

Stiwich empfängt einige Mitstreiter in ihrem Archiv. Der moderne rote Ziegelbau steht direkt neben der freiwilligen Feuerwehr, zwischen Industriegebiet und Jobcenter. Den Bürgermeister Liebhaber hat Stiwich eingeladen und den 78-jährigen Gründer des Museums Wustrow, Rolf Meyer mit dem großen Schnurrbart, der in seinem Heimatdorf wechselnde Ausstellungen zur Geschichte des Wendlands konzipiert und Bücher dazu verfasst.
Gekommen ist auch die Ex-Berlinerin Barbara Kirchner, 76. Sie ist schon 1977 zu den ersten Demonstrationen gegen das nahe gelegene Atommülllager Gorleben ins Wendland gereist, aber erst nach der Pensionierung nach Jameln gezogen, ein Dorf zwischen Lüchow und Dannenberg. Sie managt ein Seniorenkolleg, das regelmäßig Vorträge und Lesungen anbietet. Außerdem betreibt sie eine Bücherstube, ein Seniorenfrühstück und einen Fahrdienst für die Alten, die selbst nicht mehr mit dem Auto zum Arzt oder auf den Markt kommen.

Liebhaber ist ein gebürtiger Wendländer, er wohnt noch immer in dem Dorf Plate, in dem er auch aufgewachsen ist. "Ich war schon in der Schule Klassensprecher, dann ging es immer so weiter: im Schützenverein, schließlich in der SPD." Er könne gar nicht anders. Stiwich sagt, er sei einer, der sich kümmert, der wirklich für die Leute da ist. Den Museumsgründer Rolf Meyer treibt hingegen an, sich nun ganz in sein Thema vertiefen zu können, die Geschichte der Region. Er sagt: "Mein Traum ist es, hier im Archiv mein Feldbett aufzustellen." Und Barbara Kirchner lacht nur spöttisch, wenn man sie nach dem Ruhestand fragt. "Ich und nichts tun?" Sie fasst zusammen, was sie alle antreibt: Sie tun es aus Leidenschaft für ihre Sache, weil sie gerne Neues lernen, mit Menschen im Austausch sind – und nicht zuletzt, weil sie etwas Sinnvolles tun wollen.

So sei es oft, sagt Karin Haist, die bei Körber-Stiftung bundesweite Demografieprojekte leitet: Ehrenamtliche haben meist schon vor der Rente ein engagiertes Leben geführt. Allerdings: Die älteren Menschen müssen von Städten und Landkreisen ernst genommen werden, sowohl in dem, was sie können, als auch in dem, was sie wollen. Es komme immer wieder vor, dass engagierte Menschen wieder abgeschreckt würden. "Sie dürfen dann die Brote für die Flüchtlinge schmieren, sollen aber nicht am Konzept des Projekts mitarbeiten." In Lüchow scheint das zu klappen. Keiner der Senioren, die sich im Archiv treffen, hat erlebt, milde belächelt zu werden.

Anlaufstellen für die Engagierten

Neben den Mehrgenerationenhäusern gibt es laut Haist noch weitere kluge Ideen, um Anlaufstellen zu schaffen. Vielerorts mischt sich ein Seniorenbeirat in die Politik ein, wie auch hier in Lüchow. Bewährt hätten sich in manchen Städten außerdem Freiwilligenagenturen oder Engagementmessen. Denn manche Senioren brauchen Tipps und Kontakte, um etwas Passendes für sich zu finden. Andere haben zwar schon ein konkretes Projekt, suchen dafür aber einen Raum, Mitstreiter oder Geld. Manche Städte schaffen sogar eine eigene Stelle, um Geld von Sponsoren zu akquirieren oder EU-Gelder zu beantragen.

Dass es im Wendland so selbstverständlich ist, dass sich die Menschen umeinander kümmern, liege allerdings auch an Gorleben, erzählt Bürgermeister Liebhaber. Der gemeinsame Protest hat die Leute zusammengeschweißt. Kamen die Demonstranten gegen die Castor-Transporte, wurden die auch versorgt. "Der Zusammenhalt ist einfach gut eingeübt." Aus den Protesten habe sich auch die Kulturelle Landpartie entwickelt, die das Wendland jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten veranstaltet. In der gesamten Region öffnen die Menschen ihre Höfe und Räume, bieten Kunst, Kunsthandwerk und Speisen an. Touristen radeln von Dorf zu Dorf.


Eine Kölnerin im Wendland. Sie kommt fast immer dienstags ins Mehrgenerationenhaus.© Parvin Sadigh

Die gute Stimmung lockt viele Menschen nach der Pensionierung hierher, manche sind hier aufgewachsen und kommen wieder, andere erfüllen sich erstmals den Traum vom Leben auf dem Land. So erzählt eine 75-jährige Kölnerin, die im Allerlüd zu Mittag isst, dass sie mit ihrem Mann erst vor einigen Jahren in das Rundlingsdorf Marlin gezogen ist, zwölf Kilometer von Lüchow entfernt. Sie hatten dort aber schon lange ein Ferienhaus. Die Neuen sind offen. Sie kommen schnell miteinander in Kontakt. Eine Hamburgerin sagt, sie wollte eigentlich nicht in der "Walachei" leben. Sie suchte mit ihrem pflegebedürftigen Mann eine Unterkunft mit betreutem Wohnen. In Hamburg war das nicht nur teuer, sie hätte nach seinem Tod auch wieder ausziehen müssen, weil der Wohnraum dort so knapp und begehrt ist.

Die Stadt hat sich auf die Alten eingestellt: Es gibt Seniorenresidenzen, viele Gebäude, die zum gemeinsamen Wohnen geeignet sind und fünf Wohnblöcke, in denen betreutes Wohnen angeboten wird. Wer hier einzieht, kann später dazubuchen, was er braucht: einen Notfallknopf, ein Mittagessen oder irgendwann die Pflege.

Firmen ziehen nach. Der Rewe macht sonntags für ein günstiges Frühstück auf – auch ein beliebter Treffpunkt für die alten Leute. Das Rote Kreuz hat vor Kurzem viele Arbeitsplätze für Pfleger und Pflegerinnen geschaffen. Immobilienmakler bieten barrierefreie Eigentumswohnungen an, die nicht nur von Hamburgern oder Berlinern, sondern auch von den Leuten gekauft werden, denen die Höfe in den umliegenden Dörfern zu groß geworden sind und das Autofahren zu beschwerlich. Im Zentrum fallen große Läden für Sanitätsbedarf und Pflegedienste auf.

Ehrenamtliche können nicht alle Probleme lösen

Einige Probleme lassen sich jedoch trotz des Engagements der Einzelnen und der Stadt nur mit viel Improvisation mildern. Wer kein Auto hat oder nicht mehr fahren kann, kommt von den Dörfern kaum mehr weg. Busse gibt es nur für die Schüler, morgens in die Stadt, nachmittags zurück. Es leben zu wenige Menschen hier, um regelmäßig Busse einsetzen zu können. Liebhaber versucht, eine Car-Sharing-Firma in die Gegend zu locken. Ansonsten geht es halt nur mit Nachbarschaftshilfe, etwa der von Barbara Kirchner, die einen Fahrdienst anbietet.

Mit anderen Demografiefolgen müssen die eingemeindeten Dörfer um Lüchow einfach leben. Läden, Bankfilialen und Firmen schließen, weil sich keine Nachfolger finden oder das Geschäft sich für die wenigen Menschen nicht mehr lohnt. "Für 20 bis 25 Schüler können wir auch eine Schule in kleinen Orten nicht halten", sagt Liebhaber. Der Landkreis will immerhin für schnelles Internet sorgen, damit wieder mehr junge Familien hier leben können. Die Eltern könnten im Homeoffice arbeiten.

Was ist aber mit den fehlenden Fachärzten? Mit den Pflegestellen, die Leute abweisen müssen, weil es schließlich überall zu wenig Pflegerinnen und Pfleger gibt? Ohne staatliche Eingriffe, höhere Löhne für Pflegeberufe etwa, wird es nicht gehen. Ehrenamtliche tun schließlich, was sie können und was ihnen Spaß macht. Sie können nicht einfach da eingesetzt werden, wo in Wirklichkeit Fachkräfte gebraucht werden.

Und so aktiv die Alten hier sind, sie werden noch älter. Sie können schwer vorausplanen, wann sie keine Kraft mehr haben werden. Manches Angebot wird deshalb sicher einfach wieder verschwinden. Barbara Kirchner ist selbst zwar noch fit, muss aber trotzdem kürzertreten. Ihr Mann ist krank geworden und pflegebedürftig. Aber es sei alles organisiert, sagt sie. Um das Seniorenkolleg kümmern sich ihre Mitstreiter. Und es kommen neue Leute hinzu, die mithelfen wollen. Gerade sei ein Hamburger neu eingestiegen beim Lesekreis und Fahrdienst. Er bringe lauter gute Ideen ein. Ganz aufhören wird sie sowieso nicht: "Es macht einfach Spaß", sagt sie. Samstags fährt Kirchner selbst zum Einkaufen, da kann sie auch jemanden mitnehmen. So tauscht man Informationen und geht auch mal einen Kaffee trinken.

Stiwich hat auch eine Nachfolgerin für ihr Archiv. Sie arbeitet die junge Kollegin gerade ein. Bis die so weit ist, macht sie weiter – bestimmt noch ein Jahr, sagt sie. Auch für ihr Tanzprojekt und die Museumsarbeit hat sie theoretisch schon Nachfolger. Sie hat sich selbst ein Limit gesetzt: "Wenn ich den Waldemarturm in Dannenberg mit den 127 Stufen nicht mehr hochkomme, dann höre ich auf."
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