An dieser Stelle ein paar Beispiele, wie das Leben in einem richtig konstruierten Wirtschaftssystem auschaut:
Lebensumstände...
Die große Zahl kirchlicher Feiertage mag ebenfalls dazu beigetragen haben, das
ganze Leben in eine Atmosphäre von heiterem Lebensgenuß und religiöser Innigkeit zu
tauchen. So schreibt auch Sacheverell Sitwell in seiner "Studie des mittelalterlichen
Lebens": "Niemals in der Geschichte war vor- oder nachher. . . etwas Derartiges wie
jenes Zeitalter. Es zeigte einen echten und lebendigen Wetteifer in einem noch nie
dagewesenen Maße. Das Leben war zur Poesie geworden; es hatte sich in ein
wirkliches Paradies verwandelt, worin es sich lohnte, sowohl seine Gefahren zu
wagen als auch sich seiner Vergnügen zu erfreuen" (s. Dr. H. R. Fack: "Das Geld der
Gotik"). Ebenso schreibt Professor Rene Thevenin, ein französischer Forscher, von
dieser Zeit, sie sei "eine der größten Perioden der Kunst und des Glaubens in der
Geschichte der Menschheit, begleitet vom Bau wunderbarer Kathedralen, die mit den
größten Meisterwerken aller Zeiten und Länder rivalisieren." Und auch dieser Autor
sagt: "Diese herrliche Entwicklung führte die Menschen zu Höhen, wie sie nicht oft in
der Geschichte erreicht wurden!" (s. Dr. H. R. Fack: "Das Geld der Gotik").
Wie anders wollte man sich aber das Ergebnis erklären, als eben nur so, daß diese
Zeit, ohne bewußt rationalistisch zu denken, ihre Produktivität voll und ganz ohne den
Leerlauf überflüssiger sozialer Organisation und ohne die Belastung mit zehrender
Arbeitslosigkeit anzusetzen vermochte? - Die Wirtschaftsblüte dieser Jahrhunderte, die
das ganze Gestrüpp moderner Probleme noch nicht kannte, war so selbstverständlich
wie ein Naturvorgang. Wiederum können wir auch auf zeitgeschichtliche Zeugnisse für
diese mittelalterliche Wirtschaftsblüte zurückgreifen. Am treffendsten und schönsten hat
vielleicht der schon an anderer Stelle zitierte gelehrte Kardinal Silvio de Piccolomini
anno 1457 sein Lob der Stadt Nürnberg in die Worte gefaßt: "Wenn man aus Nieder-
franken kommt und diese herrliche Stadt aus der Ferne erblickt, zeigt sie sich in
wahrhaft majestätischem Glanze, der sich beim Eintritt in ihre Tore durch die Schönheit
ihrer Straßen und die Sauberkeit ihrer Häuser bewahrheitet. Die Kirchen zu St. Sebald
und St. Lorenz sind ehrwürdig und prachtvoll, die kaiserliche Burg blickt fest und stolz
herab und die Bürgerhäuser erscheinen wie für Fürsten erbaut."
Arbeitzeit & Lohn...
Was die Arbeitszeit anbelangt, ist zunächst daran zu erinnern, daß das christliche
Mittelalter neben den Sonntagen sehr viele kirchliche Feiertage hatte; Adolf Damaschke
schreibt in seinem Werk "Geschichte der Nationalökonomie", daß von den
Handwerksgesellen vielfach noch die Freigabe des blauen Montags verlangt und
erreicht wurde. "In Amberg setzten die Zünfte den ,allgemeinen guten Montag` auf alle
14 Tage fest." (s. a. a. O. S. 48/49) "Wer an Sonnabenden oder an Vorabenden
hoher Feste nach dem Vesper-Läuten noch arbeitete oder arbeiten ließ, wurde in Strafe
genommen. Da die Zahl der streng eingehaltenen Feiertage mindestens 90 betrug, so
brauchten die Handwerksgesellen, wenn sie auch noch die Freiheit des Montags
erkämpft hatten, in der Woche durchschnittlich nur v i e r volle Tage zu arbeiten, und
auch an diesen Tagen war für geregelte Arbeit gesorgt." (s. a. a. O. S. 49) Als
bemerkenswert - und als Zeichen dafür, daß der blaue Montag nicht nur in vereinzelten
Fällen durchgesetzt wurde - verdient hervorgehaben zu werden, daß die Handwerks-
gesellen in den mittelalterlichen Städten diesen Tag vielfach forderten, um am
Badeleben teilnehmen zu können. "In Meißen mußten jedem Maurergesellen
wöchentlich 5 Groschen Badegeld gegeben werden, in einer Zeit, in der ein ganzer
Scheffel Korn nur 6 Groschen und 5 Pfennige kostete." Der sächsische Scheffel faßte
103,8 Liter! - Noch am Ausgang dieses Zeitalters, um 1450, konnte Erzbischof Antonin
von Florenz in seiner Summa sacrae Theologiae es als selbstverständlich bezeichnen,
daß für die Gewinnung des notwendigen Lebensunterhaltes eine kurze Arbeitszeit
genüge und daß nur derjenige lange und viel arbeiten müsse, der nach Reichtum und
Überfluß strebe. (s. a. a. O. S. 50) Und 1465, als sich die große Zeit ihrem Ende
zu neigte, wollten die Herzöge von Sachsen die Schicht ihrer Bergwerksknappen in
Freiburg i. S. von 6 Stunden - was bis dahin die gültige Arbeitszeit war! - auf 8 Stunden
erhöhen. Die Bergknappen widersetzten sich jedoch und forderten eine Lohnerhöhung;
die Einigung darüber erfolgte indessen erst nach 14 Jahren, anno 1479 und betraf eine
Neufestsetzung der Arbeitszeit auf 7 Stunden bei gleichzeitiger Lohnerhöhung. (s. a. a.
O. S. 49) Wir werden an zahlreichen sonstigen Berichten und Schilderungen vom
Leben und Treiben dieser Zeit noch feststellen können, daß von einer
Menschenplagerei im Handwerk und städtischen Gewerbe, von einer drückenden Inan-
spruchnahme der Arbeitskraft, durch welche sich spätere Zeiten bis auf die Gegenwart
auszeichneten und noch auszeichnen, damals nirgends die Rede sein konnte.
Essen & Trinken...
Dem allgemeinen Wohlstand und dem Reichtum der Gewerbetreibenden und Kaufleute
entsprach eine Lebenshaltung, die nach unseren heutigen Begriffen unglaubwürdig
wäre, wenn nicht auch dafür ausreichende Zeugnisse aus allen Gegenden vorliegen
würden. Johannes Butzbach berichtet in seinem "Wanderbüchlein aus Böhmen": "Das
gewöhnliche Volk hat selten bei der Mittags- oder Abendmahlzeit weniger als 4
Gerichte, zur Sommerszeit überdies noch morgens als Frühstück Klöße mit in Butter
gebackenen Eiern und Käse; obendrein nehmen sie außer dem Mittagsmahl noch
des Nachmittags als Vesperbrot sowie zum Nachtessen Käse, Brot und Milch" (s. Adolf
Damaschke: Geschichte d. Nationalökonomie, S. 47). Johannes Scherr schildert die
Lebenshaltung der höfisch-ritterlichen Gesellschaft, die ja im wesentlichen die Schicht
der Lehensträger und Territorialherren darstellte und die in ihrer Lebenshaltung etwa
dem Standard des reichen Bürgers gemäß verfuhr. "An gewöhnlichen Tagen",
so schreibt Scherr (s. S.115) "waren die Speisen sehr einfach zubereitet und bestanden
zumeist aus gesalzenem und geräuchertem Fleisch, Hülsenfrüchten und Kohl; bei
festlichen Anlässen dagegen . . . bogen sich die Tafeln unter stark gewürzten
Leckerbissen und vielartig gemengten Brühen, unter künstlich geformtem Backwerk
und allerhand Eingemachtem.
Geselligkeit & Kleiderluxus
Begreiflich ist, daß Hochzeiten von jeher mit einem besonderen Aufwand gefeiert
wurden. Das wird ja auch heute noch so gehalten, wo immer es möglich ist. Dennoch
übersteigt der Aufwand, den sich die damalige Zeit bei solchen Anlässen leistete,
unsere Fassungskraft und wir würden die Berichte stark bezweifeln, wenn sich
nicht aus den verschiedensten Gegenden das gleiche Bild ergeben würde.
Bauernhochzeiten, die eine Woche dauerten, an denen das ganze Dorf teilnahm, bei
denen es nicht selten so hoch herging, daß das Völkchen sich in die Haare ge-
riet, wonach es noch blutige Köpfe gab, sind gar nicht selten. In feinerer Art wurde in
den Städten mit festlichen Gelagen gefeiert, zu denen in Anbetracht der großen Zahl
der Gäste oftmals das Tafelsilber von den Rats- und Zunftgenossen zusammengeliehen
wurde. Von Augsburg ist vom Ausgang dieser lebensfrohen Zeit überliefert, wie der
Bäckermeister Veit Gundlinger anno 1493 die Hochzeit seiner Tochter ausrichtete. Da
wurde an nicht weniger als sechzig Tischen gespeist; an jedem Tisch saßen zwölf
Gäste, Männer, Junggesellen, Frauen und Jungfrauen, zusammen 720 Hochzeitsgäste.
Die Feier dauerte 8 Tage. Es wurde so gegessen, getrunken, getanzt, geneckt und
gebuhlt, daß am siebenten Tag viele wie tot hinfielen (s. Scherr a. a. O., S. 293).
Auch in anderer Hinsicht zeigte sich, daß man im Wohlleben, im Essen und Trinken,
wie überhaupt in jeglichem Genuß des Daseins vor lauter Übermut das rechte Maß
allmählich zu verlieren begann. Nicht genug, daß der Feierabend, der Sonntag und die
vielen Feiertage zur Erholung, Entspannung und zum Genuß des Daseins da waren,
veranstaltete man auch besonders gern Schützenfeste, Jahrmärkte mit allerlei Unterhal-
tungen und dergleichen. Natürlich wurden kirchliche Veranstaltungen immer auch
zugleich Anlaß, mancherlei Volksbelustigungen, Pferderennen, Turniere und ähnliches
auszurichten, da bei solchen Gelegenheiten viel Fremde zusammenkamen. Die Kirche
selbst war es, die dem Bedürfnis nach Schau-Veranstaltungen entgegenkam und die
sogenannten "Mysterien-Spiele" pflegte, aus denen sich auch die weltliche
Schauspielkunst entwickelte.
In einer Zeit, in der man im Essen und Trinken, in Lustbarkeit und Unterhaltung trotz
aller Frömmigkeit kaum eine Hemmung kannte - zumal der allgemeine Wohlstand alles
erlaubte - war natürlich auch die Kleidung diesen Verhältnissen angepaßt. Männer und
Frauen waren gleicherweise bestrebt, in farbenprächtigen und kostbaren Stoffen, daran
es eine reiche Auswahl gab, zu erscheinen. Der hansische Handel hatte namentlich im
12. und 13. Jahrhundert viel Fremdartiges aus Italien, aus Byzanz, dem Orient und aus
Spanien nach der Heimat gebracht. Die Kleidungsstoffe waren Leinewand, deren
feinste, sehr hochgeschätzte Sorte Saben aus byzantinischen Webstätten kam; ferner
Wollenzeuge, Barragan, Buckeram, Brunat, Diasper, Fritschal, Kamelott, Serge,
Scharlach, Sei, sowie Seidenstoffe von mancherlei Art und Farbe, die oft mit Gold- und
Silberfäden durchwoben waren, und endlich Pelze verschiedener Gattungen, Hermelin,
Marder, Biber, Zobel usw. Hinzu kamen noch Metallstoffe und köstliches Steinwerk, zu
Geschmeide wie zu Waffenzierat verarbeitet (S. J. Scherr: D. Kult.- u. Sitt.- Gesch.,
S.117 ff). Beide Geschlechter liebten das Farbenspiel, an einem und demselben
Kleidungsstück den einen Ärmel grün, den anderen blau, ein Bein gelb, das andere rot;
alles das jedoch nicht nach Willkür, sondern mit symbolischer Bedeutung abgestimmt.
Die Mode war allezeit ein bevorzugtes Mittel, durch welches der Mensch sein
Geltungsbedürfnis gegenüber der Mitwelt offenbarte. So haben auch die Frauen
beispielsweise um das Jahr 1220 zum Kirchgang eine lange Schleppe hinter sich
hergezogen und der vorgenannte Verfasser schreibt hierzu: ". . . sie machten sich
wenig daraus, daß die Priester gegen diesen Pfauenschweif eiferten und behaupteten,
dies sei der Tanzplatz der Teufelchen, und Gott würde, falls die Frauen solcher
Schweife bedurft hätten, sie wohl mit etwas Derartigem versehen haben", - womit der
Mutterwitz der Kleriker durchaus einleuchtend argumentiert haben dürfte; aber was
nutzen schon solche Argumente gegen die Eitelkeit der Frauen und gegen den Spaß,
den der Aufwand machte? Die Obrigkeit hat sich in diesen Zeiten öfters bemüht,
"Kleiderordnungen" festzulegen, um den unerhörten Luxus, den sich die Menschen
doch offensichtlich leisten konnten, einigermaßen einzudämmen. Dabei ging es, was
immerhin für die wirtschaftliche Lage der niedrigen Volksschichten bezeichnend sein
dürfte, darum, gerade diesen Volksschichten das Tragen besonders kostbarer Stoffe,
wie Samt, Seide und Brokate oder kostbares Pelzwerk zu untersagen. Man hätte sonst
die Stände nicht mehr voneinander unterscheiden können!
Auszüge aus [
Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Kapitel „Die Brakteaten“