Zitat:
Twitter-Käufer und Milliardär
Der unerträgliche Optimismus des Elon Musk
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Elon Musk will Twitter kaufen und glaubt offenbar, dass er auch dort erfolgreich sein kann. Was aber wäre ein Erfolg? Und wie kommt Musk darauf, dass er einen liefern könnte?
01.05.2022, 12.20 Uhr
Elon Musk
Foto: Maja Hitij / Getty Images
Elon Musk hat über die Jahre so viele bösartige, lächerliche oder aggressive Dinge gesagt und getan, dass man gar nicht weiß, wo man bei einer Auflistung anfangen sollte.
Versuchen wir es zur Einstimmung deswegen lediglich mit ein paar Beispielen.
Musks erste Ehefrau war eine kanadische Schriftstellerin, die bis heute seinen Nachnamen trägt und die Mutter von fünf seiner Kinder ist. Justine Musk hat nach der Scheidung im Jahr 2008, bei der sie finanziell nicht gut wegkam, über Musk erzählt
, dass er während ihrer Ehe öfter mal zu ihr gesagt habe: »Wenn du für mich arbeiten würdest, würde ich dich feuern.«
Geplanter Amoklauf vorgetäuscht
Als ein Whistleblower namens Martin Tripp einem US-Medium Details über die Produktionsprobleme einer Tesla-Batteriefabrik steckte, setzte Musk nicht nur eine Truppe von Ermittlern ein, um den Verräter aufzuspüren, und verklagte ihn dann auf 167 Millionen Dollar Schadensersatz. Ein anonymer Anrufer schickte Tripp auch ein Polizeikommando nach Hause : Der Mann plane einen Amoklauf in der »Gigafactory« und sei bewaffnet.
Christian Stöcker
Foto: SPIEGEL ONLINE
Jahrgang 1973, ist Kognitions¬psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.
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Wenn es um ihn selbst oder seine Unternehmen geht, legt Musk auf »free speech« eben nicht ganz so viel Wert. Den Twitter-Account eines Fans, der die Bewegungen von Musks Privatjet verfolgt und veröffentlicht, versuchte Musk zuerst zu kaufen, dann blockierte er ihn . Kurz darauf begann er, in großem Stil Twitter-Aktien zu erwerben.
Als Musk bei einem sogenannten Earnings Call mit Wall-Street-Analysten nach dem künftigen Kapitalbedarf von Tesla gefragt wurde, bügelte der Unternehmensgründer den Fragesteller mit den Worten »Entschuldigung, der Nächste. Langweilige Holzkopffragen sind nicht cool« ab und erteilte dann einem Tesla-Fan-YouTuber das Wort.
Hitler, Tits und Mutti
Was Musk selbst unter schützenswerter Meinungsfreiheit versteht, kann man auf seinem Twitteraccount schon seit Jahren live mitverfolgen. Da verglich er schon mal Kanadas Premierminister Justin Trudeau mit Hitler , überlegte öffentlich, eine Universität zu gründen, deren Anfangsbuchstaben auf T-Shirts und Pullis das Wort »Tits« ergeben würden , beschimpfte einen britischen Taucher, der thailändische Jugendliche aus einer Höhle retten wollte, als »Pädo-Typ« und die demokratische Senatorin Elizabeth Warren als »Wütende Mutti« (wegen ihrer für Musk offenbar unattraktiven Steuerpläne).
Im März 2020, als die Pandemie gerade so richtig Fahrt aufnahm, nannte Musk Coronasorgen »Panik« und »dumm«, ein paar Wochen später behauptete er, es werde »bis Ende April« 2020 vermutlich »praktisch keine Fälle mehr geben in den USA«. Ein Jahr später redete er dann Impfskeptikern das Wort.
All das mit einer Reichweite von über 80 Millionen Twitter-Followern.
Musks Begeisterung für die Freiheit des Worts endet erst dort, wo sie mit seinen eigenen Interessen kollidiert. Dazu kommt, dass er selbst nicht so ganz genau zu wissen scheint, was er mit »free speech«, insbesondere auf einer algorithmisch kuratierten Plattform, eigentlich meint: In einem Interview sagte er kürzlich : »Wenn etwas zum Beispiel starke Kontroversen auslöst, dann würde man diesen Tweet vielleicht nicht unbedingt noch fördern wollen. Ich sage nicht, dass ich auf alles Antworten habe.«
Problem Unterbevölkerung?
Die Fakten sind da allerdings mittlerweile glasklar: Algorithmisch kuratierte Systeme fördern vor allem Inhalte, die »starke Kontroversen auslösen«, denn Kontroversen ergeben Engagement. Und Engagement ist das, wofür Social-Media-Plattformen optimiert werden. Engagement, zu Deutsch am besten mit »viel Interaktion« übersetzt, ist nämlich ein gutes Pi-mal-Daumen-Maß für das, was die Plattformen zu Geld machen: die Aufmerksamkeit und Zeit, die ihr Publikum in sie investiert.
Die Interaktion von menschlicher Psychologie und lernenden Häppchen-Servier-Maschinen im Internet erzeugt deshalb zwangsläufig immer mehr Wut, immer mehr Polarisierung, immer mehr Streit. Das ist wissenschaftlich bestens belegt , und das könnte jemand, der 44 Milliarden für ein neues Spielzeug ausgeben will, eigentlich auch wissen. Genau deswegen ist Moderation auf solchen Plattformen unerlässlich: Sie werden sonst immer toxischer. Und das ist dann auch schlecht fürs Geschäft.
Problematischer Turbo-Optimismus
Musk aber ist eben ein unverbesserlicher Optimist. Das sieht man an vielen Dingen, die er im Lauf der Zeit so von sich gegeben hat. Besonders aber an seinen bizarrsten Äußerungen. Etwa als er erklärte, das Problem der Menschheit sei nicht Über-, sondern Unterbevölkerung . Die Vorhersagen der Uno seien »totaler Nonsens«.
Diesen Prognosen zufolge wächst die Weltbevölkerung noch bis 2100 und beginnt dann bei über 11 Milliarden wieder zurückzugehen. Andere Prognosen kommen zu dem Ergebnis, dass die Weltbevölkerung nur bis kurz nach der Mitte des Jahrhunderts auf knapp 10 Milliarden anwachsen und danach langsam zu schrumpfen beginnen wird.
So oder so gilt: Vorerst wächst die Weltbevölkerung weiter, wenn auch – zum Glück! – immer langsamer. Das wird uns noch vor große Probleme stellen, denn 10 Milliarden zu ernähren, ohne den Planeten zugrunde zu richten, ist eine Herausforderung. Wir leben schon jetzt über unsere Verhältnisse.
Jetzt muss der Rest doch von allein gehen
Die größten Probleme der Menschheit sind Klimawandel und Artensterben, ganz sicher nicht ein Mangel an Menschen. Aber, und deshalb illustriert dieser Tweet Musks unerträglichen, höchst problematischen Turbo-Optimismus so gut: Musk hält diese anderen, ungleich drängenderen, größeren Probleme offenbar für gelöst. Er selbst hat doch immerhin mit Tesla bewiesen, dass man konkurrenzfähige Elektroautos bauen kann. Da muss der Rest doch jetzt von allein gehen.
Musk ergänzte den Tweet zum vermeintlich drohenden »Bevölkerungskollaps« übrigens mit dem Hinweis, dass nicht genügend Menschen da seien, um den Mars zu besiedeln.
Zu links, zu »woke«, zu wohltätig
Im Lauf der Jahre muss der Mann den Eindruck gewonnen haben, dass sein immenses Ego voll und ganz gerechtfertigt ist, dass er nichts falsch machen kann und alles, was er anfasst, zu Gold wird. Immerhin hat er mit PayPal, Tesla und SpaceX gleich dreimal gewaltige Wetten gegen scheinbar übermächtige Gegner – die Bankenindustrie, die Automobilbranche und alle staatlichen Weltraumprogramme – gewonnen. Die Demokratie selbst, die Musk mit seiner Twitter-Akquise angeblich retten will, ist aber eben kein Ingenieurproblem. Und sie wird auch nicht von mangelnder Redefreiheit bedroht.
Musk selbst scheint sich in seinen politischen Ansichten immer stärker den Haltungen seiner größten und meist auch aggressivsten Fans anzunähern: von Cryptowährungen besessenen, nerdigen, tendenziell frauenfeindlichen jungen Männern mit einer Vorliebe für Provokationen und einer Abneigung gegen alles, was sie selbst »links«, »woke« oder allzu wohltätig finden.
Hass, Desinformation und Aggression als Hobby
»Free speech« ist für diese Leute sehr wichtig – weil sie die Verbreitung von Hass, Desinformation und Aggression selbst so schätzen. Musk, der Über-Optimist, würde das vermutlich anders formulieren: Möglichst unmoderierte Plattformen sind das Beste, die Leute kriegen das dann schon hin. Man kann das menschenfreundlich finden – oder aber blauäugig und realitätsfern. Einzelne Menschen sollten nicht so viel unkontrollierte Macht haben wie er, ganz einfach.
Diese Woche twitterte Musk einen Strichmännchen-Cartoon, die die verzerrte Weltsicht vieler seiner Fans perfekt einfängt: In der Mitte steht ein Strichmännchen mit der Beschriftung »Ich«, rechts daneben ist die gesellschaftliche »Mitte« markiert, rechts und links außen stehen ein »Konservativer« und »ein Liberaler wie ich«. Dann rennt der »Liberale wie ich?« nach links davon, die Mitte rutscht weiter nach links, und am Ende stehen der Konservative und das »Ich«-Strichmännchen an der gleichen Stelle, ganz links steht ein »woker Progressiver« – die gesamte Achse aber hat sich so weit verzerrt, dass die beiden Stehengebliebenen nun weit rechts der Mitte stehen.
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So scheint sich Musk zu fühlen, und viele seiner Fans stimmen ihm da enthusiastisch zu: die »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«-Fraktion, die sich von den »woken« Linken gegängelt fühlt. Die Fakten liegen genau umgekehrt: Die US-Rechte ist in den vergangenen dreißig Jahren immer weiter nach rechts gerückt , nicht die Demokraten nach links. Die republikanische Rhetorik ähnelt der rechtspopulistischer Parteien wie Fidesz in Ungarn , und die gewählten Volksvertreter driften immer weiter nach rechts . In Europa wären die Republikaner rechtsradikal , irgendwo zwischen FPÖ und AfD.
Tatsächlich ist die These, dass die antidemokratischen Bestrebungen von Donald Trumps Partei lediglich eine Reaktion auf einen vermeintlichen Linksrutsch der Gesellschaft seien, eine – erfolgreiche – rechte Propagandabehauptung. Ebenso wie die These, Internetplattformen seien auf dem linken Auge blind, und Rechte litten auf unfaire Weise unter der Durchsetzung der Community-Richtlinien. Weil das Silicon Valley nun einmal »links« sei.
Systematische Verzerrung ja, aber wovon?
Korrekt ist dagegen: Eine der beiden politischen Richtungen in den USA deckt und feiert Mörder und Rassisten, verbreitet (oft medizinisch relevante) Desinformation, stellt demokratische Wahlen infrage, ruft zu Gewalt auf, lügt und verdreht. Die Ergebnisse waren am 6. Januar 2021 in Washington zu besichtigen – und zeigen sich auch in den Corona-Opferzahlen überwiegend republikanischer US-Staaten .
Die – oftmals nach wie vor völlig unzulänglichen – Eingriffe Twitters in das, was auf der Plattform publiziert werden kann, reflektieren keine systematische Verzerrung gegen rechts. Sie reflektieren, wenn überhaupt, die systematische Verzerrung der amerikanischen Öffentlichkeit. Die eine Seite lügt, betrügt, hetzt und manipuliert – die andere tut das nicht oder zumindest weit seltener.
Unglücklicherweise scheint Elon Musk, der künftige Besitzer von Twitter, sich der ersteren Gruppe verbunden zu fühlen.
Quelle (mit Querverweisen) und Mehr zum Thema:
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