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Maja Göpel "Während alle auf das Virus starren, läuft eine Umverteilungsmaschine"

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pauli8
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Standard Maja Göpel "Während alle auf das Virus starren, läuft eine Umverteilungsmaschine"

Zitat:
Maja Göpel

"Während alle auf das Virus starren, läuft eine Umverteilungsmaschine"


Die Sozialwissenschaftlerin Maja Göpel sagt, Corona könne auch eine Chance sein: für neue Solidarität und neues Wirtschaften.

Interview: Elisabeth von Thadden

19. Dezember 2020, 20:00 Uhr



"In der Suche nach dem, was in der Krise wirklich wichtig ist, nehmen wir uns wieder als biologische und soziale Lebewesen war", sagt Maja Göpel. © Rita Vicari/unsplash.com

Wir wollen die Virologen mit der Deutung der Lage nicht allein lassen. Deshalb fragen wir in der Serie "Worüber denken Sie gerade nach?" führende Forscherinnen und Forscher der Geistes- und Sozialwissenschaften, was sie in der Krise zu bedenken geben und worüber sie sich nun den Kopf zerbrechen.

Die Fragen stellt Elisabeth von Thadden.

Die Sozialwissenschaftlerin Maja Göpel, 44, ist Wissenschaftliche Direktorin an der Denkfabrik The New Institute in Hamburg. Von ihr erschien zuletzt der Bestseller "Unsere Welt neu denken" (2020).


ZEIT ONLINE: Worüber denken Sie gerade nach, Maja Göpel?

Maja Göpel: Schon vor der Corona-Zeit haben sich drei tiefgreifende Fragen gestellt, die immer weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt waren, und nun denke ich viel darüber nach, ob wir sie ausreichend ernsthaft anschauen und was folgt, wenn nicht.

ZEIT ONLINE: Welche drei sind das?

Göpel: Sie heißen "Werden wir genug haben?", "Werden wir genug teilen?" und schließlich "Wer ist eigentlich 'Wir'?".

ZEIT ONLINE: Die erste zuerst: Sie sind eine Kritikerin des materiellen Wachstums, jener Wirtschaftsdynamik, nach der wir immer mehr von allem, was wir uns wünschen, bekommen. Ihre Sorge galt dem Zuviel. Jetzt aber sorgen Sie sich umgekehrt, ob wir genug haben werden?

Göpel: Auf einem begrenzten Planeten spiegelt ein Zuviel an einem Ort der Welt ja ein Zuwenig an einem anderen. Und mit der Fridays-For-Future-Bewegung war meines Erachtens bei vielen die Perspektive gekippt: von einer Verweigerung, planetare Grenzen anzuerkennen, in eine Sorge darüber, dass diese Grenzen ja wirklich existieren könnten.

Und im ersten Corona-Lockdown mit den leeren Supermarktregalen war eine solche Erfahrung von Begrenzung zum ersten Mal real. Damit drängelte sich die zweite Frage, ob wir genug teilen werden, in die erste hinein und sorgt für zusätzliche Unruhe. Ging es vorher um gerechtere Umverteilung des Zuwachses, geht es nun um den gerechten Zugang zu einem relativ stabilen Bestand, wie in der Krankenversorgung, und auch zu den Rettungsfonds.

Es wird darum gerungen, ob sie alte Strukturen stützen oder doch den schon vorher deklarierten Strukturwandel, der auch mit Verweis auf Geldmangel immer wieder verschleppt wurde.

ZEIT ONLINE: Was besorgt Sie?

Göpel: Ich erlebe nun, dass die Diskussionen die Sachebene verlassen, weil diejenigen, die es im gegenwärtigen System geschafft hatten, sich mit ihren Interessen zu positionieren, diese Privilegien verteidigen wollen.

Es geht um Identitätsfragen: darum, was man erreicht hat und worauf man stolz ist, und um Status, an den man sich gewöhnt hat. Das besorgt mich. Corona hat die vorherigen Trends der Ungleichheit in Bildung, Jobsicherheit, sektoralen Lohnunterschieden, geografischen Vor- und Nachteilen, Vermögensverteilung und die Entkopplung des Finanzmarktes von der Realwirtschaft nicht nur wie im Brennglas sichtbar gemacht – viele Maßnahmen haben sie noch einmal verstärkt.
Während alle auf das Virus starren, läuft eine gewaltige Umverteilungsmaschine. Wenn die Pandemie abflaut, wird die Frage, ob wir genug teilen, umso virulenter werden.

Zitat:

Maja Göpel © Jelka von Langen
ZEIT ONLINE: Und wer ist nun eigentlich "Wir"?

Göpel: Im Moment teilt sich das Land in zwei Lager. Das eine sagt, die Probleme müssten global gelöst werden und alle Menschen berücksichtigen. Das andere meint, die eigene Verantwortung sei lokal oder national begrenzt. Ich frage mich, wie wir es hinbekommen, dass wir offen miteinander reden können, ohne in eins dieser beiden Lager gepresst zu werden.

Denn erst so könnte ein "Wir" entstehen, das einer erneuerten Gemeinwohlorientierung in der Gesellschaft zugrunde liegen kann. Interessant finde ich das neue Format des deutschen Bürgerrats, dessen Mitglieder ausgelost werden. Der Bundestag hat sich das Thema "Deutschlands Rolle in der Welt" ausgesucht. Darüber wird der Rat ab Januar sprechen, Experten anhören und Empfehlungen formulieren.

Das kann ein Forum sein, die Identitätsfrage nicht populistisch zu stellen, um Ab- und Ausgrenzungen vorzunehmen, sondern die Frage der kulturellen und politischen Verankerung in der Welt so zu klären, dass Gemeinsamkeiten und Verbindungen in den Vordergrund rücken.

ZEIT ONLINE: Nun haben Sie zum zweiten Mal betont, dass es darauf ankomme, positiv nachzudenken. Der Verdacht liegt nahe, jetzt gehe es in der dunklen Jahreszeit um die Optimierung des Wohlfühlfaktors.

Göpel: Im Gegenteil. Erinnern Sie sich an die Berichte über das buddhistische Königreich Bhutan und das dortige Wohlstandsmaß des Bruttonationalglücks? In dieser asiatischen Kultur wird Wohlergehen nicht als Glücklichsein im westlichen Sinne eines Dauergrinsens verstanden, das immer nur sagen soll: "Ich bin gut drauf!" Es wird eher als Zuversicht verstanden, als eine Haltung, die widerstandsfähig macht.

Als ein glückliches Leben gilt dort nicht eines, das ohne Schmerz oder Not verläuft, sondern beschreibt eine Weise, der Welt zu begegnen und mit ihr vernetzt zu sein, durch die ich mich gewappnet fühle, mit den Dingen umzugehen, die auf mich zukommen.

Zu solcher Zuversicht gehört kulturelle Vitalität, und zunächst eine Selbstbesinnung: Wer sind wir, was verbindet uns, wer wollen wir sein, was wollen wir beitragen?

"Der nahende Bundestagswahlkampf darf kein Spalterwahlkampf sein"

ZEIT ONLINE: Man muss nicht nur nach Asien schauen, auch in Europa gibt es in den Philosophien des guten Lebens solche Ansätze.

Göpel: Die aristotelische Version des glücklichen Lebens, die Eudämonie und die Rolle der Tugend und Dankbarkeit darin, ist dem ähnlich. All diesen systemischen Blickwinkeln auf die Welt ist gemein, dass die einzelne Person immer Teil ihrer sozialen, kulturellen und institutionellen Umstände ist, also eingebettet.

Um diese Einbettung oder kulturelle Vitalität zu erfahren, brauchen wir persönliche, soziale, politische Räume der Begegnung. Gerade in Zeiten der starken Veränderung und Verunsicherung. In Südafrika zum Beispiel wurden, um das Ende der Apartheid möglichst kooperativ zu gestalten, "community fora" eingerichtet, also Veranstaltungen, die explizit Menschen zusammengeführt haben, die eigentlich nichts miteinander verbindet außer die Überzeugung, dass die andere Seite ihnen nur Schlechtes will.

Ich bin auf der Suche nach solchen Orten, Formen, Formaten, in denen die tieferen Gründe von Angst und Ablehnung thematisiert werden können; in denen Informationen über die Wege nach vorne glaubwürdig vermittelt und diskutiert werden können; in denen das Gemeinwohl der Fluchtpunkt ist. Transformationszeiten sind immer hoch politisch, und aufgrund der Pandemie und ihrer Effekte werden wir den Fokus auf die Schicksalsgemeinschaft umso dringender brauchen. Erinnern Sie sich noch, das war ein zentraler Begriff beim ersten Lockdown im März und April.

ZEIT ONLINE: Es hilft nichts, der Einwand lautet: Die Räume der Begegnung sind bis auf Weiteres digital. Kann so Gemeinwohl gedeihen?

Göpel: Der Hype der Digitalisierung wurde im Pandemie-Frühjahr noch gefeiert. Aber fast alle, mit denen ich spreche, sagen inzwischen, dass sie sich wie hinter einem digitalen Vorhang fühlen. In Japan ist dieser Begriff geläufig. Er besagt, dass uns die Digitalisierung nur eine vermittelte Erfahrung der Welt ermöglicht und damit Lebendigkeit und Resonanz reduziert. Damit sinkt auch die empfundene Verbindung – aller Vernetzung zum Trotz.

Auf lebendige Ansprache, die uns berührt, sind Lebewesen angewiesen. Wir wissen heute ja, wie wichtig es für das Sicherheitsgefühl der Menschen ist, einen wohlgesonnenen lebendigen Anderen in der Nähe zu haben.

Insofern bedeutet Corona auch eine Chance: In der Suche nach dem, was in der Krise wirklich wichtig ist, nehmen wir uns wieder als biologische und soziale Lebewesen war. Wenn wir das nicht als Schwächen, sondern als Prioritäten ins Gespräch bringen, liegt darin etwas Verbindendes. Auch deshalb darf der nahende Bundestagswahlkampf kein Spalterwahlkampf sein.

Ich erwarte von der nächsten Bundesregierung, dass sie mit der Gesellschaft einen neuen Gesellschaftsvertrag aushandelt. Der Vergleich zwischen Corona und dem Zweiten Weltkrieg wurde so oft gezogen, also sollten wir auch das wichtige Prinzip des Lastenausgleichs nach dem Krieg nicht vergessen. Er war ein Grundstein für den Start in die soziale Marktwirtschaft oder eben ein Zeichen der Solidarität.

ZEIT ONLINE: Wessen Solidarität meinen Sie, und wer wäre mit wem solidarisch?

Göpel: Alle sprechen nur noch über ein Weihnachten mit den Großeltern, was ist das für eine traurige Verengung der Solidargemeinschaft? Warum fehlen auf den öffentlichen Podien und in den Talkshows mit ihren Vertretern aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften diejenigen, die über die Notlagen in der Pflege, Krankenhäusern und in den Schulen sprechen? Warum müssen diese Menschen in den sozialen Medien über ihre Erfahrung klagen, es zähle in dieser Gesellschaft nur, wer der Leistungsbilanz hohe Werte beschere, also im Büro arbeite oder irgendetwas mit Autos und Finanzen mache, während im Gesundheitssystem die Erschöpfung unerträglich ist und die Kollegen sterben?

Unsere Gesellschaft versteht Produktivität und Wertschöpfung heute rein monetär. Damit riskieren wird den zivilisatorischen Fortschritt preiszugeben, den gute Bildung, Pflege und Kultur bedeuten. Fragt man nach den Motiven der Studienwahl, dann ist die Motivation des Geldverdienens unter jungen Juristen und Ökonomen am höchsten – die wiederum in Zukunft eben diese Regeln der Gesellschaft festlegen.

Dieser Interessenkonflikt zeigt sich auch darin, dass keine Diskussion darüber aufkommt, warum die Gesellschaft heute noch eine private Krankenversicherung für verbeamtete Bürokraten in bequemen Jobs finanziert. Das gesellschaftliche Gespräch über Wertschöpfung, Wertschätzung und soziale Gerechtigkeit in einer rasant veränderten Welt steht erst am Anfang.

ZEIT ONLINE: Zurück zum Anfang unseres Gesprächs: Werden wir genug haben?

Göpel: Die ehrliche Antwort lautet im Sinne von Antonio Gramsci: Es gibt den Pessimismus des Intellekts und den Optimismus des Willens. Menschen haben unglaubliche Dinge geschafft, wenn sie es wollten. Das will ich nie ausschließen.

ZEIT ONLINE: Und was gibt Ihnen, angesichts des Pessimismus des Verstandes, die Zuversicht, von der Sie sprachen?

Göpel: Mein Reichtum sind die Menschen in meinem persönlichen Umfeld und in meinen Netzwerken. Die Bereitschaft, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Liebe und Großzügigkeit zu zeigen, ist tatsächlich beglückend in diesem Sinne. Vielleicht liegt genau darin auch der Schlüssel, um die drei Fragen positiv zu beantworten. Das Gute ist: Diesen Schlüssel tragen wir alle in uns.
Quelle:

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