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Der Irrtum mit dem Intensivbett

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Ungelesen 30.12.21, 23:15   #1
Avantasia
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Standard Der Irrtum mit dem Intensivbett

Zitat:
Der Irrtum mit dem Intensivbett – oder warum die Einlieferung der «schlimmste Tag Ihres Lebens» sein kann

Das Intensivbett ist eigentlich kein Bett. Es ist eine Werkbank, auf der Sie nie liegen wollen.


Manchmal wirkt es so, als ob sie miteinander kommunizieren würden. Ein heller Pieps, da, hinten, am Ende des Traktes, sofort ein dunkler Pieps hier vorne, dann irgendwo dazwischen erklingt ein weiterer Ton, etwas langgezogener, abrupt endend, Pause, Stille, bis, plötzlich, da, ein Pieps, wieder eines der Intensivbetten zu reden beginnt.

Es ist früh am Morgen, ein Tag Ende November, in einem Spital im Kanton Zürich, das wir, so wie auch die Personen, unbenannt lassen, weil sich das, was hier geschieht, zeitgleich an anderen Orten ähnlich abspielt. Es ist Visite auf der Intensivstation, und wir, das heisst, drei Ärzte und eine Pflegerin und ich, stehen bei einer Patientin, deren Herz in der Nacht immer wieder wild den Rhythmus gewechselt hat. Die Ärzte beunruhigt das nicht, wird sich wohl einpendeln, hoffen sie zumindest.

Sie stehen noch vor dem Computer, geben die Dosierung von Medikamenten ein, die über Nacht verabreicht wurden und in den kommenden Stunden verabreicht werden, haken einzelne Schritte im Protokoll ab und wollen dann zum zweiten Patienten wechseln, doch am Ende des Ganges taucht eine in einen grünen Übermantel gehüllte Gestalt auf:

Pflegerin A: «Könnt ihr das überspringen und euch zuerst den einen Patienten hier bei uns anschauen?»

«Hier bei uns», das ist ein Raum, abgetrennt vom Rest des Traktes: die Covid-Intensivstation.

Es hat hier drei Intensivbetten mit drei Patienten, von denen in wenigen Stunden einer das Bett verlassen, einer seinen Tiefschlaf fortgesetzt haben und einer womöglich nicht mehr selber atmen können wird.

Das Bett, das Bett, das Bett!

Seit Beginn der Pandemie redet man über Impfungen, über Varianten, Inzidenzen – vor allem aber redet man die ganze Zeit über Intensivbetten.

Wieso haben wir nicht genug? Wo sind die alle hin? Wieso wurden sie abgebaut, sogar jetzt noch, während der Pandemie? Bauen wir sie doch einfach wieder auf!

Es ist eine Art wirres Selbstgespräch. Ein Teil des Landes verhandelt etwas, das er kaum kennt. Die Ärzte und Pflegerinnen melden sich zwar immer wieder mal mit Videobotschaften und klingen dabei so, als ob um sie herum die Patienten wie Fliegen sterben würden. Aber ihre Worte verhallen, nicht ungehört, aber irgendwie doch unverstanden.

Stattdessen fordert man einfach mehr. Mehr Intensivbetten. Als ob das die Lösung wäre. Irgendetwas muss man diesem unsichtbaren Feind entgegenhalten.

Aber was ist überhaupt ein Intensivbett? Und wieso, ja, wieso ist es mit diesen Betten so kompliziert?

Es gibt viele merkwürdige Vorstellungen über das Intensivbett. Zum Beispiel, dass wir nur mehr davon brauchten – dann käme es schon gut.

Es ist nur einer von vielen Irrtümern.

Im Wald

Die Ärzte stehen jetzt am Bett von Patient 1, zu dem sie Pflegerin A gerufen hat. Etwas ist hier in der Covid-Intensivstation anders. Es piepst auch, wie im normalen Trakt, aber dann ist da noch ein Rauschen, wie ein Wind, der durch einen Wald bläst. Aber es piepsen keine Vögel, und es weht kein Wind, sondern es melden sich Infusionsgeräte, sogenannte Perfusoren, deren Inhalt zur Neige geht, und es rauscht der Sauerstoff aus einem Schlauch vor die Nase von Patient 1.

Patient 1 atmet selbständig – noch. Er ist um die 60 Jahre alt, «mitten im Leben», sagt der Arzt, keine Vorerkrankungen, vor allem aber doppelt geimpft, «der erste solche Fall», es wird auch Wochen später der einzige geblieben sein auf dieser Intensivstation, abgesehen von einem Patienten, der auch noch an Leukämie leidet und deswegen keine Antikörper bilden kann.

Über den Schlauch erhält Patient 1 mehr Sauerstoff, die Sättigung in seinem Blut ist trotzdem tief, die Ärzte studieren die Kurve: «Vielleicht müssen wir ihn bald intubieren. So in einer halben Stunde.»

Die Pflegerin hält dagegen: «Abwarten, er ist eigentlich fit. Wir probieren ihn nachher wieder auf den Bauch zu legen.»

Die Intubation ist die letzte Stufe, der letzte Schritt, den man eigentlich vermeiden möchte. Vorher schöpft man alle anderen Mittel aus, die die moderne Medizintechnik zur Verfügung hat. Sogenannte nichtinvasive Beatmungshilfen, eben ein Schlauch, der mit Sauerstoff angereicherte Luft zur Nase bläst. Über diese Nasenbrille erhält man Luft, die mehr Sauerstoff enthält, 45 Prozent statt 21. Reicht das nicht, kommt eine Maske drauf, damit lässt sich der Sauerstoffgehalt, das Volumen und der Luftdruck weiter erhöhen. Ist das alles aufgedreht, «befinden sie sich praktisch wie auf einem Rennvelo im Gegenwind», vergleicht das einer der Ärzte. Mehr geht nicht.

Patient 1 erhält zahlreiche Medikamente, aber er muss noch längst nicht so intensiv betreut werden wie ein intubierter. Man muss ihn permanent überwachen und umlagern; um sich selber zu bewegen, reicht ihm die Kraft nicht mehr. Als er, später am Morgen, pinkeln muss, helfen ihm zwei Pflegerinnen sich aufzusetzen, bringen ein Gefäss, in das er Wasser lassen kann. Seine Sauerstoffwerte rasseln dabei beunruhigend in die Tiefe.

Auch Patient 1 ist deswegen betreuungsintensiv. Eine Pflegerin beobachtet seine Werte laufend. Nun versucht sie ihn mit einer Kollegin in die Bauchlage zu bringen. Dafür ist das Leintuch da. Es hilft, den Patienten umzulagern. Das ist grobe Mechanik, am Patienten, einem hilflosen Stück Fleisch und Knochen, wird geschoben und gezogen, der Kittel verrutscht dabei auch mal so, dass er fast nackt daliegt. Ein Arzt erzählt, dass die Patienten in der gegenwärtigen Welle deutlich übergewichtiger seien. «In den früheren Wellen brauchten wir drei Leute, um jemanden umzulagern. Jetzt brauchen wir drei starke Leute.»

Auf dem Bauch liegend, fällt das Atmen leichter, so die Theorie. Beim Umlagern verliert Patient 1 eine Sonde, die Werte auf dem Kontrollmonitor fallen komplett aus, statt Kurven erscheint eine gerade Linie. Die Ärzte lachen. Zu offensichtlich, dass Patient 1 nicht in diesem Moment gestorben sein kann, dafür röchelt er zu laut. Schnell die Sonde justiert und auch den Sauerstoffschlauch wieder richtig positioniert. Doch nach kurzer Zeit ist klar: Auch die Bauchlage bringt kaum was.

Der Arzt tritt ans Bett von Patient 1. «Wie geht es? Können Sie mich hören? Also, schauen Sie, Sie machen das super. Wirklich. Aber wir sind jetzt dann an der Grenze dessen, was wir mit diesen Mitteln an Sauerstoff geben können. Mehr geht kaum. Wenn die Werte nicht besser werden, kann es gut sein, dass wir bald intubieren müssen. Wir haben gestern ja darüber geredet. Dass wir Sie also ins künstliche Koma versetzen müssen und die Röhre legen. Damit Sie überleben. Oder die Chance haben zu überleben.»

Patient 1 nickt.

Ein Gipfeli

Durch eine dünne Glaswand von Patient 1 abgetrennt liegt Patient 2.

Der Arzt tritt an ihn heran. «Wie geht es uns? Sie haben es geschafft. Heute geht es auf die normale Covid-Station.»

Patient 2, ungeimpft, hat die schlimmsten Tage hinter sich. Er musste nicht intubiert werden, aber die Krankheit hat an ihm gezehrt. Manche Patienten verlieren mehr als zehn Prozent ihrer Muskelmasse. Patient 2 ist so schwach, dass seine Stimme nur ein heiseres Krächzen ist.

«Ich habe heute», sagt er, dann muss er einatmen, Kraft holen, «zum ersten Mal seit drei Wochen», wieder eine Pause, die der Arzt geduldig abwartet, «wieder etwas gegessen». Pause. «Ein Gipfeli.» Pause, aber nicht wegen der Luft, sondern weil Patient 2 Tränen über die Backe kullern, «mit Konfi».

Das Intensivbett von Patient 2 piepst kaum mehr. Die letzten Schläuche werden in diesen Minuten abgehängt, eine Pflegerin sucht eine Tasche, in welcher der Patient seine Schuhe vermutet. Er war von einem grösseren Spital hierherverlegt worden, weil sie dort keinen Platz mehr gehabt hatten. Die Tasche ist gerade nicht mehr auffindbar, aber das spielt nun wirklich keine Rolle. Schliesslich rollt da ein normales Spitalbett heran, zu viert wird Patient 2 in das gewöhnliche Bett umgelagert und abtransportiert.

Das Bett ist jetzt leer, es sieht verwüstet aus, mit den Leintüchern und Kissen, aber es bleibt keine Sekunde so liegen, das Bettmaterial wird abgezogen, und dann liegt es da, dieses Bettgestell, nackt, bereit zum Abtransport, in den Keller, wo es komplett desinfiziert wird, wie ein Flugzeug, das in den Hangar wandert, damit Schrauben angezogen, Dellen ausgebessert werden können.

Die Matratze? Kein Schaumstoff, sondern Druckluftkammern, jede unterschiedlich stark aufpumpbar, was die Gefahr mindert, dass die Patienten wund liegen. Und lässt sich einfach reinigen.

Die Werte von Patient 1 schwanken immer noch stark. Die Ärzte haben inzwischen eine Intubationsanatomie gemacht: den Rachen studiert, so dass eine Intubation sofort durchgeführt werden könnte. Weitere Infusionen sind bereits gelegt, man will den Körper in dem Moment nicht zusätzlich schwächen.

Die Pflegerin kämpft immer noch für Patient 1. Plädiert dafür, ihn nicht zu intubieren, er schaffe das selber.

Ein Körper, mehr nicht

Ein Vorhang trennt Leben vom Kampf auf Leben und Tod, Patient 2, der es geschafft hat, von Patient 3, der intubiert auf dem Bett liegt.

Der Kampf auf Leben und Tod sieht friedlich aus. Denn Patient 3, ungeimpft, schläft tief. Er befindet sich in einem künstlichen Koma, über seinem Mund ist ein Rohr fixiert, durch das er beatmet wird, eine Sonde liefert Nahrung, an der einen Seite des Bettes hängen Beutel, in denen sich Urin und Kot sammeln. Zahlreiche Schläuche leiten Medikamente in Patient 3, über einen Schlauch wird fortwährend der Blutdruck gemessen.

Das Intensivbett ist eigentlich kein Bett. Es ist eine Art Werkbank in einer Werkstatt. Und diese Werkstatt verfügt über fast jedes medizinische Werkzeug, das es erlaubt, den Körper zu ersetzen. Der Mensch liegt da wie ein Auto, dessen Motor überbrückt werden muss. Man hält ihn am Laufen, bis er wieder anspringt. Ein Arzt sagt: «Die Intensivmedizin ist eine Brücke zum Leben, eine Brücke zur Transplantation, eine Brücke zur Erholung.»

Natürlich, in der Mitte, im Zentrum dessen, was man alles zum Intensivbett zählen muss, steht eine Bettstatt, aber auch dieser Begriff ist unzureichend. Ein Intensivbettgestell ist ein technisch hochkomplexes Objekt. Es lässt sich verstellen, vorne, hinten, in der Mitte, es lässt sich von der Seite röntgen, manche Intensivbettgestelle lassen sich so weit aufrichten, dass der Patient, wenn er festgezurrt wäre, aufrecht stehen könnte. Dann sieht man, was das Intensivbettgestell wirklich ist: eine Hebebühne, auf der der zu reparierende Körper liegt.

Oberhalb des Bettes spreizen sich zwei dicke Arme, an denen Geräte angehängt sind und die das Bettgestell einrahmen. Links von Patient 3 stapeln sich die Infusionsdosiergeräte, eingespannt sind Kochsalzlösung, Schmerzmittel, Schlafmittel, Insulin, etwas für den Blutdruck, Muskelrelaxanzien.

Auf der rechten Seite steht die Beatmungsmaschine inklusive eines Monitors, auch alles, was es für die künstliche Ernährung braucht, findet sich hier drüben. Es liessen sich weitere Geräte hinzuziehen und anschliessen. Natürlich ein mobiler Ultraschall, es hat eine Gassteckdose und Dialysegeräte. 12 Steckdosen sind mindestens notwendig für ein Intensivbett, aber wenn man all die Kabel und Maschinen sieht, scheint die Zahl viel zu klein.

In Spitälern, die auf Herzmedizin spezialisiert sind, findet sich noch eine Herz-Lungen-Maschine. Damit liessen sich sowohl das Herz als auch die Lunge komplett ersetzen, zumindest für eine Weile.

«Wie lange ist er schon intubiert? 10 oder 12 Tage?», fragt der Arzt.

«Nein, sechs», sagt die Pflegerin.

«Ach ja, sechs oder sieben.»

Wie viele Tage das sind, spielt kaum eine Rolle. Normalerweise bleibt ein Patient 3,6 Tage auf der Intensivstation. Bei Covid sind es zwei bis drei Wochen. Einer der Ärzte erzählt: «Auch nach sechs Wochen dürfen sie die Flinte noch nicht ins Korn werfen. Die Verläufe können sich lange hinziehen, ohne dass sie sich verschlechtern – man muss ihnen die Zeit geben. Die Frage ist, ob man die Betten hat.»

Eine neue Krankheit ist für Ärzte immer auch eine Entdeckung. «Es ist wie ein neuer Kontinent. Wo finde ich Wasser, wo Nahrung, welche Gefahren lauern wo?», so beschreibt es ein Intensivmediziner. Bei den Covid-Patienten wussten die Ärzte am Anfang nicht: Wie beatmet man, mit welchem Druck, wie lange, in welchen Abständen? Wie viele Medikamente brauchen die Patienten, und wie schnell verändert sich ihr Zustand?

Der Arzt erzählt, dass sie die Bilder von Bergamo, damals zu Beginn der Pandemie, auch schockiert hätten. Es sei beeindruckend gewesen; egal, was man gemacht habe, die Patienten seien gestorben. Viel zu viele. Es dauerte, bis man verstand, was die Covid-Patienten besonders macht: Sie haben ein höheres Risiko einer Lungenembolie, und ihre Körper wehren sich stärker als die anderer Patienten gegen Schlafmittel und Muskelrelaxanzien. Sie brauchen viel mehr Medikamente.

Das klingt nach einer banalen Erkenntnis, aber sie rettet Leben. Denn Covid-Patienten atmen sehr unregelmässig. Ein Intensivchefarzt formuliert es so: «Die schnaufen Ihnen ein Gheu zäme, das ist kaum auszuhalten.» Das wiederum macht die Beatmung mit Hilfsmitteln schwierig, ja gefährlich. Wenn die Lunge gegen die Luft atmet, mit der man den Patienten unterstützt, kann es diese zerreissen. Also muss man ihn so weit sedieren, dass die Lunge ihre Arbeit eigentlich einstellt und man diese mit der Beatmungsmaschine komplett übernehmen kann. Gibt man zu wenig Muskelrelaxanzien, zu wenig Schlafmittel, geht das schief.

Aber auch die Intubation ist gefährlich, jede Beatmung schadet der Lunge. Der Schlauch ist ein Infektionsrisiko. Und vor allem: Wer intubiert werden muss, dessen Lunge ist bereits stark angegriffen. Die Überlebenschancen sind, kommt es zur Intubation, bereits gesunken.

Patient 3, intubiert, künstlich beatmet, Kot und Urin in Beutel ausscheidend, Blutdruck und Blutzucker mittels Medikamenten reguliert, ist hier, im Intensivbett, reduziert auf das Wesentliche. Ein Herz, das schlägt, ein Hirn, das schläft. Ein Immunsystem, das gegen das Virus kämpft.

Es ist der vielleicht grösste Irrglaube in der ganzen Diskussion um Intensivbetten: dass man, wenn man denn schwer erkranken würde, schon gerettet wäre, solange es genug Intensivbetten hätte.

Es gibt noch kein Medikament, das dieses Virus erledigt. Wer intubiert auf der Intensivstation liegt, der kann nur hoffen, dass sein Immunsystem genug stark ist, so dass es den Kampf gegen das Virus gewinnt. Ein Arzt sagt: «Der Körper muss sich selber regenerieren, die Entzündung abräumen, die Lunge flicken und im Kampf gegen das Virus so viel Lungengewebe zurücklassen, dass sie wieder atmen können.»

Bei Patient 3 versuchen die Ärzte heute, die Beatmung etwas zu reduzieren, zumindest den Druck. Sie reduzieren diesen nur ganz sanft. Trial and Error. So läuft das in der Medizin.

Mehr gibt es hier für die Ärzte gerade kaum zu tun – sie müssen nochmals nach Patient 1 schauen, dessen Werte immer noch schwanken. Intubieren oder nicht intubieren?

Die Pflegerin widmet sich jetzt Patient 3. Drei Mal pro Schicht versucht sie ihn umzulagern, damit er nicht wund liegt. Auch die zahlreichen Schläuche und Sonden müssen laufend umplatziert werden. Liegt der eine Schlauch zu lange am Mundwinkel, ist der Intubationsschlauch zu lange auf dieselbe Art festgezurrt, fehlt auch dort dem Gewebe die Durchblutung. Natürlich muss man Patient 3 waschen, die Zähne putzen, den Mund auswaschen, spülen, die Beutel mit Kot und Urin wechseln. Dann stinkt es auf der Intensivstation.

Patient 3, künstlich beatmet, künstlich ernährt, künstlich entleert, ist hier, im Intensivbett, nicht mehr viel Mensch, sondern ein Körper, den man wartet. Wie viel er von den Wartungsarbeiten in seinem Tiefschlaf mitbekommt, weiss die Pflegerin nicht. Sie redet mit ihm, als ob er bei Bewusstsein wäre.

Später kommt seine Frau zu Besuch. Sie setzt sich an seine Seite, dann nimmt sie seine Hand. Sein Herzrhythmus verändert sich, die Werte auf dem Monitor zeigen an, dass er nun etwas weniger tief schläft.

«Ich glaube schon, dass er spürt, dass ich hier bin», sagt sie.

«Das kann gut sein», sagt die Pflegerin. Sie erzählt später, dass sie in einem anderen Spital einmal ehemalige Patienten befragt habe, ob sie sich an etwas aus ihrer Zeit im Koma erinnern könnten. «Einer erzählte, dass er das Geräusch vom Absaugen gehört habe, er habe nicht gewusst, was es sei, aber es sei jeweils ein unangenehmes Gefühl gefolgt. Ein anderer erinnerte sich daran, dass jemand sagte, es werde schon gut.»

Drei Wochen später

Patient 1 schaffte es ohne Intubation. Und Patient 3 ist wieder aufgewacht. Es sterben weniger Patienten als in den früheren Wellen. Etwa 10 Prozent. Also doch gar nicht so schlimm? Einfach mehr Intensivbetten aufstellen, und das Problem ist gelöst?

Der Chef der Intensivstation sagt: «Kann man machen, aber dann betreuen wir halt mit demselben Personal einfach mehr Patienten. Dann liegt mal jemand wund, haben sie eine Infektion. Vielleicht geht das gut. Vielleicht auch nicht.»

Die Pflegerin sagt: «Wer bei uns landet, ist sehr krank. Er braucht intensive Betreuung, materiell, medizinisch, technisch – aber nachher auch psychisch. Viele sind traumatisiert. Man plant das nicht. Viele Operationen plant man – den Aufenthalt im Intensivbett plant man nie. Für viele ist der Tag, an dem sie auf die Intensivstation kommen, der schlimmste in ihrem Leben.»
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