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„Deutschland scheitert in kleinen Schritten“

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Ungelesen 02.06.21, 07:32   #1
Draalz
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Standard „Deutschland scheitert in kleinen Schritten“

Zitat:
„Deutschland scheitert in kleinen Schritten“

Rafael Laguna de la Vera soll für die Bundesregierung bahnbrechende Erfindungen fördern. Hier erzählt er, was passiert, wenn Innovation auf Bürokratie trifft.


Rafael Laguna de la Vera, 56: Er ist Geschäftsführer der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Bild: Sprind

Herr Laguna, Sie sollen Deutschland große Erfindungen bescheren. Wie läuft’s denn so?
Wir sind die Bundesagentur für Sprunginnovationen, kurz Sprind. Wir sollen Erfindungen fördern, die die Welt verändern. Aber wir werden immer wieder durch die Mechanismen der Verwaltung zurückgehalten. Das hat die Kanzlerin erkannt und gerade öffentlich angemahnt. Anscheinend ist sie schon so verzweifelt, dass sie die Öffentlichkeit sucht.

Das müssen Sie noch mal genauer erzählen. Was ist die Agentur für Sprunginnovationen?
Sprunginnovationen sind Erfindungen, die die Welt in ein Davor und Danach teilen. Vor 120 Jahren hatten wir die in Deutschland, haben die chemische Industrie entwickelt und sind zur Apotheke der Welt geworden. Nach dem Krieg hatten wir viel schrittweise Innovation und viel tolle Wissenschaft, aber wir haben den volkswirtschaftlichen Nutzen unserer großen Erfindungen nicht mehr geerntet.

Was ist uns da entgangen?
MP3 zum Beispiel. Apples iPod, der tragbare Musikplayer, konnte nur entstehen, weil in Deutschland MP3 erfunden worden war. Aber das Produkt hat Apple daraus gemacht – und nicht etwa Grundig oder Telefunken. Diese Unternehmen gibt es jetzt nicht mehr. Ein anderes Beispiel: Die modernen Apple-Geräte mit 5-Nanometer-Chips gibt es nur, weil Trumpf und Zeiss zusammen mit der Firma ASML in Holland die Anlagen bauen, auf denen man so etwas herstellen kann. Diese Unternehmen kriegen aber nur einen Promille-Anteil des Umsatzes der Chipindustrie. Da muss man sich schon fragen: Was machen wir falsch?

Nämlich was?
Zwischen Grundlagenforschung und fertigem Produkt liegt ein Tal des Todes. Um das bei Innovationen zu überbrücken, die neue, komplexe Technologien beinhalten, braucht man viel Geld für lange Zeit. In Deutschland fehlt es daran. Unsere Agentur ist Ende 2019 gegründet worden und soll dazu beitragen, das zu ändern. Damit die fantastischen Erfindungen der Wissenschaftlerinnen aus Deutschland zu Produkten führen, die hier dauerhaft Arbeit und Wohlstand stiften.

Zitat:

Im F.A.S.- Gespräch: „Wir beschäftigen uns mit den großen Fragen der Zeit“, sagt Rafael Laguna de la Vera. dpa
Gibt es dafür Vorbilder anderswo?
Die amerikanische Forschungsagentur Darpa. Wir idealisieren ja die USA immer als ideales kapitalistisches System, in dem der Markt alles regelt. Viele Sprunginnovationen der vergangenen 70 Jahre sind aber nicht auf dem Markt entstanden, sondern wurden von staatlichen Institutionen finanziert. Die Darpa hat zum Beispiel das Internet erfunden, das hieß früher mal Arpanet. Präsident Eisenhower hat die Darpa gegründet, weil ihm klar war, dass die Ministerien in Silos stecken und wenig kooperieren. Er wollte eine Agentur, die übergreifend funktionieren kann.

An welchen Projekten arbeiten Sie?
Wir beschäftigen uns mit den großen Fragen der Zeit. Wir wollen zum Beispiel die Entwicklung von Wirkstoffen zur Bekämpfung von viralen Infektionen vorantreiben. Dazu haben wir jetzt einen Wettbewerb ausgeschrieben.

Wettbewerbe sind schon lange eines der wichtigsten Instrumente der Amerikaner. Warum ist das in Deutschland so schwer?
Da wird ja der gleiche Auftrag mehrfach vergeben, nicht jeder kann durchkommen. Der Reflex der Verwaltung ist aber, ein Scheitern schon im Vorfeld zu vermeiden. Wir hingegen planen das Scheitern ein: Wir wollen mehreren Teams Geld geben, sie laufen lassen und später schauen, wer am weitesten gekommen ist. Dann dürfen die besten Teams weiterlaufen – und so weiter. Zum Glück gibt es inzwischen ein Finanzierungsinstrument namens „vorkommerzielle Auftragsvergabe“, das uns erlaubt, mehreren Teams Geld zu geben.

Der deutsche Industriepolitiker denkt traditionell anders: Er wählt von vornherein mit großer Sorgfalt nur ein Konsortium aus, damit nichts umsonst bezahlt wird.
Das Problem an so einer klassischen Vergabe ist ja: Sobald die Entscheidung gefallen ist, ist der Wettbewerb vorbei. Der Bund hat praktisch keine Sanktionsmittel mehr. Das führt häufig dazu, dass solche Projekte nicht im Zeitplan und im Budget abgewickelt werden. Deshalb möchte ich lieber den Wettbewerb länger laufen lassen. So arbeitet auch die amerikanische Agentur Darpa. Die mRNA-Impfstofferfinder BioNTech, CureVac und Moderna sind in den Genuss so eines Wettbewerbs gekommen. Zehn Firmen sind angetreten, nur drei sind durchgekommen.

Dann sind sieben Firmen umsonst gefördert worden.
Genau so denkt Deutschland: Wir versuchen, nicht zu scheitern – und dann scheitern wir stattdessen in kleinen Schritten. Wir brauchen zu viel Zeit und zu viel Geld, um einen Flughafen oder eine U-Bahn zu bauen. Das geht anders besser. Natürlich gibt es in so einem Wettbewerb Projekte, die scheitern. Aber das ist am Ende viel billiger als die Verfahren, die wir jetzt haben. Sie wissen ja vorher nicht, was Erfolg haben wird. Wenn man davon nicht viele Kandidaten auf den Weg bringt, wird nicht viel passieren. Wenn bei Sprind ein Projekt funktioniert, kann das für alle gescheiterten Projekte mitbezahlen.

Die Bundeskanzlerin hat Probleme mit dem Bundesrechnungshof angesprochen. Was ist da los?
Grundsätzlich ist das alles vollkommen korrekt: Wir geben staatliches Geld aus, das muss überwacht werden. Aber es hat sich ein System der Entmenschlichung entwickelt: Wir schaffen so kleinteilige Prozesse, dass fast jeder Schritt maschinell entschieden werden kann. Jegliche Erfahrung wird ausgeschaltet, jegliches Bauchgefühl, alle langjährigen Partnerschaften. Dabei sind es diese Dinge, die in der Wirtschaft Erfolg bringen.

Für diese Regeln gibt es ja einen Grund: Willkür verbieten . . .
. . . und Vetternwirtschaft vermeiden. Aber es ist ein bisschen so, als würde man sich Desinfektionsmittel gegen Corona spritzen: So tötet man vielleicht das Virus, aber ganz sicher den Wirt. Wenn wir es dem Staat nicht erlauben, Netzwerke aufzubauen und Partnerschaften zu entwickeln, dann fangen wir jedes Mal bei null an. So scheitern Projekte. Wenn Sie mit Handwerkern zu tun haben, dann arbeiten Sie nach ein paar Jahren mit den Leuten, auf die Sie sich verlassen können. Da nehmen Sie nicht den billigsten Handwerker, der hinterher zehnmal nachbessern muss. So ist es aber in Deutschland.

Bekommen Sie denn gutes Personal direkt in die Agentur?
Wir brauchen hoch qualifizierte Leute. Einige davon müssten wir eigentlich außertariflich bezahlen. Aber es gibt ein sogenanntes „Besserstellungsverbot“, das so etwas verhindert. Eigentlich war das nicht so gedacht. Unsere Agentur ist extra als GmbH gegründet worden, damit sie besser bezahlen kann. Das fand aber der Bundesrechnungshof schlecht, und jetzt unterliegen wir doch dem Besserstellungsverbot. Das ist schon schwierig für uns, wenn wir beispielsweise Innovationsmanager suchen.

Da kommen Sie mit dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes nicht weit.
Das Gute ist: Viele dieser erfahrenen Leute sind komplett unabhängig und arbeiten nicht in erster Linie wegen des Gehalts für uns. Aber es geht nicht nur um das Personal der Agentur selbst. Auch viele Projekte unterliegen diesen Regeln. Für diese brauchen wir unter anderem Chipdesigner und Mikroelek*troniker, für die auf dem Markt wirklich viel Geld bezahlt wird. Die können auch mal 100 000 oder 200 000 Euro im Jahr verdienen. Und wir haben nur den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und können nicht mal Aktienoptionen vergeben. Damit sollen wir eine Wissenschaftlerin aus einem Institut holen und ihr einen Zeitvertrag in einer Firma anbieten, die in zwei Jahren vielleicht gar nicht mehr existiert. Diese Regel ist kein Besserstellungsverbot, die ist ein Schlechterstellungsgebot.

Ist der Rechnungshof Ihr einziges Problem?
Nein. Die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien kommt dazu. Das hat mit dem Haushaltsrecht des Parlaments zu tun: Der Bundestag verteilt die Budgets der Ministerien und steuert so die Politik. Die Abgeordneten sehen es darum nicht gerne, wenn die Ministerien zusammenarbeiten. Aber jetzt inter*essieren Quantencomputer vielleicht das Innenministerium, das Forschungsministerium und das Wirtschaftsministerium. Da könnte man sagen: Lasst uns die Besten der Besten aus allen Bereichen zusammenholen, und wir machen ein Team daraus. Aber das passiert nicht. Stattdessen unterhält man sich erst mal darüber, welches Ressort wie viel von dem Kuchen abkriegt. Das dauert ein Jahr, mit Expertengremien und Arbeitskreisen. Dann hat man eine Aufteilung, und jeder gibt sein Geld aus, anstatt zusammenzuarbeiten.

Können nicht Sie als Agentur Ihre Projekte bezahlen?
Wir haben leider kein mehrjähriges Budget, wie im Kabinettsbeschluss gefordert, bekommen. Größere Mittelflüsse müssen wir pro Projekt einzeln genehmigen lassen, aber das heißt noch lange nicht, dass dann auch schnell Geld fließt oder gar langfristig zugesagt werden kann. Unsere Projekte sind ja in der Natur mehrjährig und nicht richtig auf ein Jahr abgrenzbar. Hier müssen wir noch einiges verbessern – dahin, wie es ursprünglich gedacht war. Aber schon unsere Gründung war schwierig.

Inwiefern?
Mir ist zum Beispiel schnell aufgefallen, dass niemand die Internetadresse für uns reserviert hatte. Das muss man aber erledigen, bevor man den Namen endgültig festlegt. Also habe ich das schnell gemacht. Als ich die Adresse später an die Agentur übergeben wollte, war das ein riesiger Akt. Ich hatte ja 27,50 Euro oder so was für die Registrierung bezahlt, und der Bund darf sich nicht so einfach etwas schenken lassen.

Aber den Projekten, die Sie fördern, denen dürfen Sie schon Geld geben.
Das ist auch nicht so leicht. Wenn wir mit unserem Auswahlprozess fertig sind, dann haben wir die Projekte ein Jahr gegrillt und würden ihnen gerne das Geld geben. Aber dazu brauchen wir eigentlich erst mal eine öffentliche Ausschreibung. Das geht aber nicht immer, denn manchmal bekommen wir geheime Projekte vorgeschlagen, die wir wirklich nicht ans Rathaus hängen wollen. Wir gründen für unsere Projekte hundertprozentige Tochtergesellschaften. Aber wenn wir das tun, haben wir wieder das Besserstellungsverbot, müssen nach Tarifen des öffentlichen Dienstes bezahlen und können die Mitarbeiter nicht von Anfang an am Unternehmenserfolg beteiligen. All das hat die Kanzlerin dazu gebracht, dass sie sagt: Wir müssen neue Regeln schaffen, damit diese Agentur gut arbeiten kann.

Warum passiert da nichts?
Gute Frage. Wir haben jetzt unsere Erfahrungen gemacht, und ich habe Hoffnung, dass Frau Merkel noch etwas macht und dass wir im nächsten Koalitionsvertrag stehen.

Da sind so viele unterschiedliche Probleme – wäre es nicht einfacher, wenn man das Thema doch dem Markt überließe und privates Risikokapital anlockte?
Nein, denn Risikokapital will und muss in erster Linie Renditeziele erreichen. So funktioniert auch der bundeseigene Hightech-Gründerfonds. Der hat ein Medikament gegen Hepatitis D finanziert und an ein amerikanisches Unternehmen verkauft, weil das eben am meisten geboten hat. Jetzt haben wir Steuergeld vermehrt, aber die Technologie ist weg. Auch CureVac und BioNTech sind in Amerika an die Börse gegangen.

Ist das so schlimm? Ansehen, Arbeitsplätze und Impfstoff bekommen wir ja trotzdem.
Diese Firmen sind große Erfolge. Aber warum können wir nicht auch die Aktionäre in Europa halten, damit die Gewinne hierbleiben?

Ist das überhaupt in Ordnung, wenn Privatleute damit reich werden – obwohl die Firmen so viel Geld vom Staat bekommen haben?
Das große Geld bei BioNTech und CureVac kam fast 20 Jahre lang nicht vom Staat, sondern von Privatinvestoren. Die Firmengründer selbst standen in all den Jahren immer wieder mal kurz vor der Insolvenz. Der Staat ist ja erst eingestiegen, als Corona vor der Tür stand.

Die Gründer waren vorher schon jahrelang an der Universität.
Klar, die Grundlagenforschung hat der Staat bezahlt. Aber das ist Wissenschaft, die steht allen zur Verfügung. Unglaublich viele Erfinder wandern ab, unglaublich viele Erfindungen werden von außereuropäischen Firmen gekauft. Und vergessen Sie nicht: Auch der Bund ist mit seiner Investition in CureVac reich geworden.

Sie selbst waren auch Unternehmer. Was war Ihr bekanntestes Unternehmen?
Das Softwareunternehmen Suse wird gerade sehr bekannt, die sind gerade an die Börse gegangen. Ende 2001 standen die kurz vor der Insolvenz, die New Economy brach zusammen. Damals habe ich mit zwei anderen Risikokapital-Fonds investiert und später, auch an Amerikaner, verkauft. Jetzt ist Suse fünf Milliarden Euro wert und Gott sei Dank noch in Deutschland.

Ihr erstes IT-Unternehmen haben Sie mit 16 gegründet. Das hätte ich auch gerne gemacht, aber dazu hätte ich eine Erlaubnis des Familiengerichts gebraucht, und der Richter hat signalisiert, dass er so etwas nie macht. Wie haben Sie das gelöst?
Ich habe das Unternehmen nicht offiziell angemeldet. Manchmal ist es für Unternehmer besser, wenn sie nicht so viel nachfragen. Ich hatte Glück: Meine Eltern waren Freiberufler und konnten Rechnungen schreiben. Sie haben mir sogar ein eigenes Telefon gekauft. Denn damals wurde Software noch per Telefon verkauft, und es riefen irgendwann einfach zu viele Leute an.

Das Gespräch führte Patrick Bernau.
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