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04.05.25, 10:08
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Super Moderator
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Schafft die Sonntagsfrage ab
Zitat:
Fiktive Dauerwahlen
Schafft die Sonntagsfrage ab
Eine Kolumne von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Die AfD muss gar keine Politik machen, vermeintliche Erfolge bescheren ihr Umfrageinstitute auch so. Die ständigen Scheinwahlen in Form der Sonntagsfrage schaden der Demokratie und gefährden sinnvolle Politik.
04.05.2025, 08.16 Uhr

Umfrage am Telefon: »Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?« Foto: Nuria Segu?* / Stocksy
»Niemals aber zuvor waren die Lenker des Staatsgeschickes so sehr der Versuchung ausgesetzt, sich dem Volkswillen geschmeidig anzupassen, und das heißt: nicht mehr zu führen, sondern sich führen zu lassen.«
Kurt Gayer: »Das große Verhör. Fug und Unfug der Demoskopie« (1969)
Die nächste Bundestagswahl wird irgendwann [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] stattfinden, also weit in der Zukunft. Tatsächlich gibt es bislang noch nicht einmal eine neue Bundesregierung. Und doch wird in [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] andauernd gewählt, zumindest scheinbar. Diese Scheinwahlen, genannt Sonntagsfrage, sind eine permanente Nachrichtenquelle, ständiger Anlass zur Sorge, zur Aufregung, manchmal geradezu zur Verzweiflung. Jedenfalls im Moment. Warum? Wegen der [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].
Merz ohne Mehrheit? Wirklich?
Dass diese Partei bei einer der jüngsten Wahlumfragen, in diesem Fall durchgeführt von Forsa, auf vermeintlich 26 Prozent der Stimmen kam, sorgte quer durch die deutsche Medienlandschaft für große Aufregung und für jede Menge irreführende Überschriften. »Die Welt« titelte: »Umfrage-Schock für die Union – AfD erstmals bundesweit vor CDU/CSU«. Der Schweizer »Blick«: »Schlappe für CDU-Chef Merz: AfD baut Vorsprung auf Union in Umfrage aus«. Der »Merkur« behauptete: »AfD legt deutlich zu und wird stärkste Kraft«. Der »Nordkurier« titelte: »Rekord-Umfrage für die AfD: Merz-Regierung ohne Mehrheit«.
Die letzte Überschrift macht das ganze Elend des journalistischen Umgangs mit der Umfrageflut besonders deutlich: Selbstverständlich hat die »Merz-Regierung« eine Mehrheit, wenn sie dann irgendwann ihr Amt antritt. In Deutschland wird die Macht des Souveräns von einem Parlament ausgeübt, nicht von 2000 Personen, die Forsa oder Infratest zuletzt nach ihrer Meinung gefragt haben. Eine Mehrheit hat Merz also, solange die neue Koalition hält, nicht, bis eine Umfrage zu einem anderen Ergebnis kommt.
Grob irreführend, gleich mehrfach
Aber auch die anderen Überschriften sind grob irreführend, und zwar aus gleich mehreren Gründen.
Zum einen weisen die Umfrageinstitute aus gutem Grund eine verlässlich sehr große Gruppe der Befragten gar nicht erst aus: die Unentschlossenen. Dabei ist die Antwort »weiß ich nicht« auf die Frage nach einer fiktiven Wahlentscheidung vier Jahre vor der nächsten Wahl durchaus sinnvoll und rational. Es gibt erst einmal gar nichts zu wählen und im aktuellen Fall auch noch gar keine neue Regierung zu beurteilen.
Wie viele Unentschlossene gesagt haben, dass sie die Sonntagsfrage nicht beantworten können oder wollen, teilen die Umfrageinstitute nicht mit, die Prozentwerte in Wahlumfragen addieren sich stets zu 100 Prozent. Das ist grob irreführend, in den hochgerechneten 100 Prozent der Wählerschaft fehlen Millionen, die noch gar nicht wissen, wen sie beim nächsten Mal wählen wollen.
Im Vorfeld der Bundestagswahl etwa war es, je nach Umfrage, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] bis [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] der Wahlberechtigten, das angab, sich nicht entschieden zu haben. Forsas 100 Prozent sind also gar nicht alle, sondern vielleicht nur 70 oder 80 Prozent der Befragten. Vielleicht auch noch weniger, denn es gibt keine Wahl demnächst, also haben vielleicht noch mehr Leute »ich weiß nicht« geantwortet. Erfahren werden wir das nicht.
Jede Menge Effekte, keiner davon hilft dem Land
Dazu kommt, dass Umfragen bekanntlich keine exakte Vorhersage, sondern Schätzungen sind. Korrekterweise müsste man sie mit Fehlerbalken darstellen, die das Ausmaß der Unsicherheit deutlich machen, die den von einer Stichprobe hochgerechneten Ergebnissen innewohnt. Das macht etwa [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Es sollte aber überall Standard sein: Umfragen ohne Fehlerbalken sind unzulässige Verkürzungen und damit irreführend.
Wenn man die Fehlerbalken bei der Forsa-Umfrage vom 29. April berücksichtigt, wird deutlich, dass Überschriften wie »baut Vorsprung aus« oder auch nur »AfD vor Union« nicht haltbar sind. Das Ergebnis inklusive Fehlerbalken erlaubt auch die Interpretation eines deutlichen Vorsprungs der Union gegenüber der AfD.
Das sind keine hypothetischen Gedanken: Bei jeder Bundestagswahl gibt es deutliche Abweichungen des tatsächlichen Wahlergebnisses von den letzten Umfragen. In der letzten Allensbach-Umfrage vor der Wahl im Februar kam die Union [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], das sind dreieinhalb Prozentpunkte mehr, als CDU und CSU dann bei der echten Wahl erzielten. Diese Abweichung ist besonders extrem, aber Abweichungen gibt es immer.
Eine Veränderung um einen Prozentpunkt nach oben oder unten ist also in Wahrheit keine Nachricht: Sie kann ebenso gut dem Messfehler geschuldet sein wie einer realen Veränderung.
Was Wahlumfragen, die viele Jahre von der nächsten Wahl entfernt sind, also in Wahrheit bewirken, sind mehrere Dinge, die alle wenig mit politischer Relevanz zu tun haben:- Zunächst einmal sind sie Werbung für die jeweiligen Umfrageinstitute, deren Namen im Zusammenhang mit der neuesten Umfrage stets genannt werden. Das ist wertvolle Medienpräsenz, denn die Institute leben davon, dass ihnen Unternehmen, Verbände oder andere Auftraggeber Geld für Umfragen bezahlen.
- Zum Zweiten sind die Wahlumfragen Content. Inhalte, mit denen man Websites, Sendeminuten oder auch Zeitungsspalten füllen, Aufmerksamkeit erregen und Werbeplätze vermarkten kann. Die Forsa-Umfrage, die angeblich einen »Vorsprung« der AfD ausweist, fand im Auftrag von RTL und n-tv statt. Die Sender haben etwas zu senden, und sie profitieren außerdem davon, dass andere Medien die von ihnen in Auftrag gegebene Umfrage zitieren, was wiederum Werbung für die eigene Marke ist.
- Im politischen Raum dagegen sorgen Umfragen primär für Unruhe, gedankliche Kurzschlüsse und Ablenkung vom eigentlichen Job. In der Union fragt man sich jetzt vermutlich besorgt, was man denn tun soll, weil die AfD einen ja jetzt »überholt« habe. Die richtige Antwort wäre, auch ohne Umfrage: ordentliche, erfolgreiche Politik machen, denn ein Umfrageergebnis vier Jahre vor der nächsten Wahl ist schlicht irrelevant. Der AfD schadet man am meisten, indem man kompetent regiert.
- Ein Erfolg ist das beständige Umfrage-Trommelfeuer nur für die AfD: Sie muss keine Vorschläge machen, nichts leisten. Einzig die Tatsache, dass wieder einmal ein Institut 1000 oder 2000 Menschen nach einer fiktiven Wahlentscheidung gefragt hat, sorgt für vermeintliche Erfolge. Es sind fiktive Erfolge, aus denen reale Berichterstattung entsteht, die dann wiederum mutmaßlich die Ergebnisse der nächsten Umfrage beeinflussen: Wenn die AfD von so vielen Menschen »gewählt« wird, kann das ja nicht so eine schlechte Idee sein, da kann man dem Anrufer vom Umfrageinstitut doch auch einfach mal erzählen, dass man als Nächstes die AfD wählen würde. So hat man es dieser neuen Regierung, die ja noch nicht einmal im Amt ist, direkt mal so richtig gezeigt.
Es ist de facto vollkommen gleichgültig, wie viele in einer Stichprobe von 2000 Menschen vier Jahre vor der nächsten Wahl zur einen oder zu einer anderen Partei tendieren. In den Umfragen [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], im Februar 2021 also, kam die Union auf 33 bis 35 Prozent, die SPD auf 15 bis 16, die Grünen auf 18 bis 20, die FDP auf sieben bis neun, die Linke auf sechs bis acht und die AfD auf acht bis elf Prozent. Damals war die Welt noch eine andere. Das wird auch auf die Welt in vier Jahren zutreffen, so viel steht fest.
In diversen europäischen Ländern dürfen eine oder zwei Wochen vor einer Wahl keine Umfrageergebnisse mehr veröffentlicht werden. Das ist sinnvoll, aber in Deutschland aus Gründen der Meinungs- und Pressefreiheit vermutlich nicht umsetzbar. Sinnvoll wäre es trotzdem. Mehr noch: Die Sonntagsfrage sollte nach jeder erfolgten Wahl erst einmal für längere Zeit vollständig abgeschafft werden.
Wir leben in einer parlamentarischen, nicht in einer plebiszitären Demokratie. Aktuelle Politik an den aktuellen Umfragen auszurichten, führt im Zweifel nicht zu besseren politischen Entscheidungen, wie der eingangs zitierte Kurt Gayer schon 1969 wusste. Der damalige Bundespräsident [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]: »Wir leben in einer Demoskopie-Demokratie.« Das ist nicht besser geworden, sondern schlimmer.
Wenn die Union jetzt mit den [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] Methoden versuchen sollte, weiterhin der AfD fiktive Stimmen abzugraben, im Zweifel mit noch mehr [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], dann ist das nicht gut fürs Land, sondern sehr schlecht. Aber gut für die AfD.
Der mit einer realen parlamentarischen, nicht demoskopischen Mehrheit ausgestatteten künftigen Regierung unter Friedrich Merz sei deshalb etwas mitgegeben, was die damalige [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] bereits 1970 festhielt: »Die Regierung soll führen, also nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden und nicht aufgrund von Umfragen. Wir haben die Regierung gewählt, nicht die Demoskopen.«
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Ich habe, seit ich es durfte, immer gewählt und beobachtet, was in der jeweiligen Legislaturperiode geschah. Umfragen, die zwischendurch veröffentlicht wurden interessierten mich nicht, weil sie erstmal gar nichts ändern. Auftrag ist Auftrag.
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