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Warum so viele Leute glauben, Robert Habeck zu hassen
Zitat:
Politische Kommunikation
Warum so viele Leute glauben, Robert Habeck zu hassen
Eine Kolumne von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Unter seiner Vizekanzlerschaft waren die Grünen viel weniger »Verbotspartei« und viel weniger grün-orthodox als zuvor. Warum Robert Habeck dennoch zum Buhmann wurde, ist der Mechanik der Reaktanz geschuldet.
02.03.2025, 16.05 Uhr

Vizekanzler Habeck: Menschen nachhaltig zu überzeugen, ist eine hohe Kunst Foto: Maja Hitij / Getty Images
Wenn man anfängt, sich professionell mit Kommunikation zu beschäftigen, dann gerät man zunächst leicht in einen Taumel. Denn die ersten Lern- und Erkenntnisschritte beinhalten oft die Muster, Techniken und Strategien der Persuasion. Diesen Begriff kann man übersetzen als »Kunst der Überredung«, und dahinter verbirgt sich eine Vielzahl von mal mehr, oft auch weniger wissenschaftlichen Methoden, um Menschen zu überzeugen, manchmal auch an der Grenze zur Manipulation. Solche Kenntnisse sind praktisch überall relevant, in Diskussionen, in Verhandlungen, in der Werbung und natürlich auch in der Politik.
[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] ist in gewisser Hinsicht ein Meister der Persuasion. Er hat etwas getan, was in der Politik so ungewohnt wie schwierig sein kann: Er hat seine Positionen verändert, nachdem sich die Realität geändert hat. Mehrfach. Im Wahlkampf, nach einem der Attentate, hat Habeck ein Video gemacht, in dem er über Migration und Geflüchtete Dinge sagte, die sich noch vor einigen Jahren selbst in der CDU kaum jemand getraut hätte offen zu äußern. Ähnlich weit entfernt von Ursprungspositionen hat sich Habeck zum Beispiel in den Bereichen Erdgas, Waffenlieferungen und Aufrüstung. Manchmal sehen Pragmatismus und Realismus aus der Halbdistanz ein wenig aus wie Populismus.
Es war Robert Habecks Überredungskunst zu verdanken, dass er jahrelang selbst gestandene, grüne, oppositionsfreudige Fundis auf seine Seite bringen konnte, mit einer in [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] neuen Form der politischen Kommunikation: Sprechen über eigene Unsicherheiten und Fehler, in einer kaum je gesehenen Offenheit. Zeitweise bescheinigten ihm etwa während der von Putin verursachten Gaskrise 2022, heute gar nicht mehr im öffentlichen Gedächtnis, sogar Unionsleute politische Cleverness und zollten ihm Respekt als Problemlöser. Habecks Persuasionskünste vollbrachten das Wunder, dass die Partei jahrelang trotz der Zumutungen durch Regierungsfähigkeit, Weltenlauf und als konservativ empfundene Kompromisse nicht meuterte. Bis sie es im September 2024 mit dem Rücktritt der Parteichefs und des Grünen-Jugend-Vorstands auf der Zielgeraden irgendwie doch noch tat. Kurz fühlte sich das im Habeck-Lager der grünen, regierfreudigen Realos vielleicht an wie eine Art Sieg.
Der eingangs erwähnte Taumel entsteht deshalb leicht, weil man in so vielen Bereichen interessante und wirksame Muster erkennt, die man einerseits rasch selbst halbwegs erfolgreich anwenden kann. Und die man andererseits im privaten wie im beruflichen Alltag wiederfindet. Es kann sich in der Folge das Gefühl einstellen, jetzt endlich habe man begriffen, wie das alles funktioniert dort draußen in der Öffentlichkeit, in den Medien, in der Politik. Das ist aus meiner Sicht – neben der schnell irreführenden Droge des öffentlichen Applauses – einer der Gründe, warum so viele Journalist:innen offenbar glauben, sie würden die Welt besser verstehen als wirklich alle anderen (für mich persönlich gilt das selbstredend nicht).
Irgendwann aber, wenn man die intellektuelle Durchdringung des so wirkmächtigen Feldes der Kommunikation im vernetzten Zeitalter immer weiter voranzutreiben versucht, stürzt man ab. Denn während ein paar Taschenspielertricks im Alltag, im Beruf oder sonstwo durchaus mal gelingen können – ist die hohe Kunst, Menschen nachhaltig zu überzeugen, extrem schwierig. Obwohl die verschiedenen Instrumente der Wirkungskommunikation inzwischen einigermaßen gut erforscht sind und gar nicht selten strategisch zielführend angewendet werden können, gelingen die meisten professionellen Kommunikationsversuche nicht. Das liegt unter anderem an den oft merkwürdigen, unerfüllbaren oder angstgetrieben Vorstellungen quer durch die »Corporate«-Strukturen, in denen zum Beispiel Werbung, Social-Media-Kommunikation oder PR betrieben werden. Aber eigentlich ist die Wahrheit folgende: Persuasion ist eine Art Halbfabelwesen. Zwar existiert es, aber es ist so schwer zu greifen wie Götterspeise, so gestaltveränderlich wie Nebel und so empfindlich wie Donald Trump.
Insbesondere dieser letzte Punkt ist im 21. Jahrhundert hochrelevant. Die Empfindlichkeit gegen die Kunst der Überredung trägt einen eigenen Namen: Reaktanz. [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] definiert Reaktanz als »Phänomen des Widerstands gegen wahrgenommenen Beeinflussungsdruck«. Beeinflussungsdruck wiederum ist ein Wort, das sein eigenes Problem bereits im Klang erfahrbar macht, und zwar besonders im Großraum Politik und Medien. Beeinflusst zu werden, ist für die meisten Leute ohnehin keine besonders erstrebenswerte Erfahrung. Wenn das auch noch als »Druck« empfunden wird, dann lässt sich mit einem so reduzierten wie treffenden Goethe-Zitat aus »Torquato Tasso« die ganze Misere erklären: »So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.«
Die Reaktanz gegen die ritualisierte, erstarrte, oft als »alternativlos« dargestellte Polit-Kommunikation der demokratischen Parteien der Mitte hat so viele junge Menschen Pro-Putin-Parteien wählen lassen: 52 Prozent der[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] haben für Linkspartei, BSW oder AfD gestimmt. Je weniger jemand regiert und je geringer die Machtchancen, desto weniger Beeinflussungsdruck kann eine Partei faktisch entfalten. Das Alltagsgefühl, das der Reaktanz übrigens am nächsten kommt, ist Trotz. Reaktanz ist vielleicht das bisher fehlende Epochengefühl der Zwanzigerjahre.
Mit Reaktanz lässt sich, so zumindest meine These, auch die teilweise hyperemotionale Ablehnung der Grünen und von Robert Habeck erklären. Nicht, dass die Grünen keine Fehler gemacht hätten. Aber zum allgemeinen Feindbild von offenbar mehr als der Hälfte der Bevölkerung geworden sind sie deshalb nicht. Vielmehr halte ich für wahrscheinlich, dass es um die Allgegenwart des Beeinflussungsdrucks geht – und die Abwehr davon. Menschen möchten einfach nicht mehr beeinflusst, bevormundet, manipuliert werden, und hassen als Ventil dann die Grünen, weil die ihrer Meinung nach schon mal etwas in dieser Richtung unternommen haben. Beeinflussung, Bevormundung, Manipulation sind zwar allgegenwärtig und keine hervorstechende Eigenschaft allein einer Partei oder politischen Strömung. Aber es ist leichter und bequemer, einen kleinen Teil davon herauszupicken, also einen Sündenbock zu identifizieren und dann alle Schuld auf den zu projizieren. Dass es aber überhaupt so weit kommen konnte, liegt natürlich auch in der Verantwortung der Grünen selbst und einiger ihrer Führungsfiguren.
Aus grüner Perspektive ist es etwas zu simpel zu glauben, die Ablehnung rühre nur her von konservativen oder rechten Zuschreibungen, Kampagnen und Kampfrufen wie »Verbotspartei«. Was das wichtigste Schlagwort zur politischen Reaktanz ist, weil das Verbot die Speerspitze des Beeinflussungsdrucks ist. Tatsächlich hängt eine der sicherlich mehreren großen Schwächen der Grünen direkt mit der Reaktanz zusammen. In vielen Bereichen entspricht die tiefere Botschaft der Grünen in etwa dem Satz: Das ist gut für dich, weil es gut für die Welt und ihre Zukunft ist. Dann ist, als einfaches Erklärungsbeispiel, Autoverzicht super, weil man den Planeten rettet.
Daraus entsteht bei vielen Menschen aber eine sogenannte kognitive Dissonanz, also zwei sich irgendwie widersprechende und deshalb unangenehme Wahrnehmungen. Denn Autoverzicht ist für diese Menschen nicht super, sondern vielleicht das exakte Gegenteil. Die Reaktanz entwickelt sich dann, weil jemand vor mir steht, der offenbar nicht nur möchte, dass ich auf das Auto verzichte, sondern dass ich das entgegen meiner Haltung auch noch super finden soll. Und natürlich gibt es eine Reihe grüner Politiken, die sich für manche Menschen wie Bevormundung anfühlen, weil die Veränderung der Welt immer auch eine Portion Besserwisserei enthält, vielleicht enthalten muss. Am Ende ist Politik auch die im Zweifel unerbittliche Setzung von Prioritäten.
Dass ausgerechnet Robert Habeck aber zum Überbuhmann wurde, ist eine bittere Form der Ironie des Schicksals. Denn unter Habecks Vizekanzlerschaft waren die Grünen viel weniger »Verbotspartei«, viel weniger grün-orthodox als zuvor und sind öfter und weiter über ihre Schatten gesprungen als irgendeine andere Partei. Es ist der Mechanik der Reaktanz geschuldet, dass Habeck diesen Respekt nicht nur verlor, sondern seine Metamorphose in eine so flächige wie giftige Ablehnung miterleben musste. Pandemie, Rechtsruck, Putin-Propaganda, Boulevard und Inflation – Habecks primär selbst verschuldetes Heizungsdebakel war dafür ausschlaggebend. Denn das Gesetz war nicht nur handwerklich schwierig aufgestellt, wie Habeck später selbst zugab. Es wurde auch auf eine Weise kommuniziert, die einigen Personen – etwa Hauseigentümer:innen mit Gas- oder Ölheizungen in einem bestimmten Alter – wie ein tiefer und bedrohlicher Eingriff ihrer Freiheit vorkommen musste. Zu Beginn lautete die Antwort auf solche Vorwürfe wie die klassische, linke Standardantwort in solchen Diskussionen: Aber es betrifft doch nur so wenige Leute!
Schaut man in [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], die 1966 den Begriff Reaktanz in der Psychologie geprägt hat, dann findet sich dort die Erklärung, warum dadurch alles noch schlimmer wird. Dort steht: »Wenn die Freiheit einer beobachteten Person eingeschränkt wird, dann wird das als Einschränkung der eigenen Freiheit empfunden, wenn man ähnliche Einschränkungen für sich selbst befürchten könnte.« Darauf folgt dann die Reaktanz, die ebenfalls laut dieser Studie leicht in heftiger Ablehnung und einen erbitterten Kampf um die als eingeschränkt empfundene Freiheit münden kann. Daraus kann sogar regelrechter Hass entstehen, wenn man nur das Gefühl hat, dass die eigenen Optionen eingeschränkt werden. Und dafür braucht man weder Hauseigentum noch Ölheizung, es reicht aus, wenn man sich vorstellen kann, so eine Person zu sein – oder sich mit ihr identifizieren kann; ein Großteil der Eigenheime wird in Deutschland mit [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].
Das heißt, dass die Reaktanz auf die Kommunikation rund um das Heizungsgesetz Robert Habecks Niedergang der öffentlichen Ablehnung eingeläutet hat – nicht nur bei Betroffenen, sondern auch bei vielen, die sich ein Häuschen für sich vorstellen konnten oder als persönliches Ziel empfunden haben. Was in Deutschland der Traum fast aller Mitglieder der bürgerlichen Mittelklasse sein dürfte. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis aus der Episode Habeck für die Grünen: Wenn die Partei das Image der Vorschriftenmacherei und die dazugehörige Reaktanz ablegen möchte, sollte sie nicht nur darüber nachdenken, wer davon betroffen ist. Sondern auch, wer sich davon betroffen fühlen könnte.
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Das ist eine anspruchsvolle Kolume, die eine Entwicklung aus einer gänzlich anderen und kaum wahrgenommenen Perspektive beleuchtet.
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