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04.07.24, 18:21
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das Muster ist das Muster
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Maskenaffäre: Was haben sie zu verbergen?
Zitat:
Maskenaffäre: Was haben sie zu verbergen?
Bis heute ist unklar, warum während der Pandemie ein Auftrag über Hunderte Millionen Euro an eine Firma aus der Heimat des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn ging. Statt aufzuklären, schickten seine Mitarbeiter unserem Autor Fritz Zimmermann ein gefälschtes Dokument.

Die Lüge aus dem Bundesgesundheitsministerium erreichte mich per E-Mail, an einem Nachmittag im Februar 2021. Nur erkannte ich sie da noch nicht. Kurz zuvor war der Corona-Lockdown verlängert worden, bei den Impfstoffen kam es zu Engpässen. Im Anhang der E-Mail schickte der Justiziar des Ministeriums einen schriftlichen Vermerk. Es sollte die Antwort auf meine Frage sein, warum in den ersten Wochen der Pandemie eine Firma aus dem Münsterland, der Heimat von Gesundheitsminister Jens Spahn, CDU, einen der wichtigsten Aufträge überhaupt erhalten hatte: Transport und Lagerung sämtlicher Coronamasken in Deutschland. In dem Vermerk, schrieb der Justiziar, fänden sich "Einzelheiten" zu dem Auftrag für die Logistikfirma mit Namen Fiege.
Ich öffnete das Dokument. Der Vermerk war nur acht Seiten lang. "Kein anderes Unternehmen", stand darin, sei "in der Kürze der Zeit" in der Lage gewesen, ein passendes Lager für die Masken zur Verfügung zu stellen. Unterschrieben hatte Ingo B., ein Abteilungsleiter aus dem Ministerium. B. führte dort während der Pandemie den sogenannten Beschaffungsstab, er war der Herr über die Masken. Neben seiner Unterschrift stand das Datum, blaue Schrift auf weißem Papier: "6.4.2020". Heute weiß ich: Das Datum ist falsch. Im April 2020, als der Vermerk angeblich unterschrieben wurde, gab es ihn noch gar nicht. Er wurde erst Monate später verfasst und mir dann zugeschickt. Ein gefälschtes Datum auf einem offiziellen Dokument – wie kam es dazu?
Dies ist die Geschichte einer drei Jahre alten Lüge. In dieser Geschichte geht es um mehr als nur ein falsches Datum. Sie steht exemplarisch für den Umgang des Gesundheitsministeriums mit der Pandemie, deren Folgen bis heute über dem politischen Alltag liegen wie ein Schatten.
Mit der Kritik an Lockdowns und Maskendeals erzielen Parteien wie AfD und BSW große Wahlerfolge. Der Virologe Christian Drosten forderte zuletzt eine Aufarbeitung der Pandemie, auch Kanzler Olaf Scholz erklärte, dass einige Maßnahmen "drüber" gewesen seien. Doch ein ernsthafter Versuch, die Entscheidungen der Pandemie zu ordnen, wird nicht unternommen. Aus dem Gesundheitsministerium, das im Zentrum stand, dringt so gut wie nichts nach draußen. Journalisten müssen vor Gericht um Einsicht in Dokumente kämpfen. Maskenlieferanten klagen auf Milliardenzahlungen. Während der damalige Minister Spahn sich in der Opposition längst mit anderem beschäftigt, kämpft sein ehemaliges Ministerium mit den Nachwirkungen seiner Politik. Auch unter seinem Nachfolger Karl Lauterbach, SPD, scheint das Haus an einer Aufklärung nicht interessiert zu sein. Es wird geschwiegen – und auch gelogen.
Meine Recherche zur Firma Fiege begann im Sommer 2020. In den ersten Wochen der Pandemie hatte die Bundesregierung eine Art Deutschland AG zusammengerufen, mit großen Firmen, die das Land mit den dringend benötigten Masken versorgen sollten. Volkswagen war dabei, Lufthansa, BASF, Otto. Und die Logistikfirma Fiege. Seltsam war das. Warum hatte nicht DHL den Auftrag bekommen, der Weltmarktführer aus Deutschland? Oder DB Schenker, der Staatskonzern? Wieso das viel kleinere Unternehmen Fiege?
Ich las, dass der Auftrag ohne Ausschreibung erfolgt war. Ich las, dass es sich bei Fiege um ein Unternehmen aus dem Münsterland handelte. Ich erfuhr, dass einer der Besitzer im Wirtschaftsrat der CDU aktiv war. Politiker im Münsterland berichteten mir, dass die Nähe der Besitzerfamilie zur CDU in der Region bekannt sei. Stellvertretender Vorsitzender des CDU-Bezirksverbands Münsterland ist bis heute: Jens Spahn. Wurde der Auftrag deshalb an das Unternehmen vergeben?
Ich stellte einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Das Gesetz verpflichtet Behörden unter bestimmten Voraussetzungen zur Herausgabe von Informationen. Die Entscheidungen der Regierung sollen so überprüfbar werden. Es dauerte mehrere Monate, bis ich im Herbst 2020 die ersten Unterlagen erhielt. E-Mails, Präsentationen, auch der Vertrag zwischen der Firma und dem Ministerium, der im März 2020 innerhalb weniger Stunden unterschrieben worden war – aber es war klar, dass das nicht alles sein konnte. Nirgendwo tauchte eine Erklärung auf, wie die Firma aus der Heimat des Ministers den Auftrag erhalten hatte und wer diese Entscheidung traf. Es wirkte, als habe die Wahl von Anfang an festgestanden. Aber warum? Ich übergab die Akten der Anwältin der ZEIT, die Widerspruch einlegte. Es fehlten, so die Anwältin in ihrer Begründung, "Informationen über die Entscheidung zur Auswahl des Logistikdienstleisters". Erst nach monatelangem Hin und Her und einer Drohung mit Untätigkeitsklage schickte mir der Justiziar den Vergabevermerk zu: das gefälschte Dokument.
Wer hatte entschieden, den Auftrag an Fiege zu vergeben?
Zum ersten Mal berichteten wir in der ZEIT im Januar 2021 über den Auftrag für die Firma aus Spahns Heimat. "Im Zuge der Corona-Krise", erklärte das Unternehmen damals, habe Fiege ein "Notfalllager-Konzept" entwickelt. "Vor diesem Hintergrund" sei der Kontakt zum Ministerium zustande gekommen. Einige Wochen später berichteten wir noch einmal. In dem zweiten Artikel ging es darum, dass Fiege nicht nur einen dreistelligen Millionenbetrag für die Lagerung und den Transport der Masken erhalten hatte, sondern auch selbst Masken an das Ministerium verkauft hatte: rund 564 Millionen Stück für 859 Millionen Euro. Außerdem erwähnten wir in dem Artikel den Vermerk, den ich erhalten hatte – mit Datum: "Der Abteilungsleiter des Gesundheitsministeriums", schrieben wir, "verfasste ihn am 6. April 2020." Die Lüge war in der Welt.
Die eigentliche Frage blieb offen: Wer hatte entschieden, den Auftrag an Fiege zu vergeben?
Die dünne Erklärung im Vermerk konnte doch nicht Grundlage für einen Auftrag dieser Größe sein. In einer deutschen Behörde, so dachte ich, müsste es eine Dokumentation gegeben haben, mit wem die Beamten gesprochen hatten und worüber, E-Mails, Protokolle von Treffen. Nichts davon hatte ich erhalten. Ich widersprach erneut. Doch der Justiziar wies meinen Einwand zurück. Es liege mir "jedwede relevante Kommunikation" vor, schrieb er. Im Sommer 2021 reichte ich daraufhin Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein, auf Herausgabe der Informationen.
Das Verfahren am Verwaltungsgericht Köln bestand aus einem langwierigen Austausch immer neuer Schriftsätze. Das Gesundheitsministerium ließ sich dabei von der Unternehmensberatung EY vertreten. In einem Schreiben erklärten deren Anwälte auf vielen Seiten noch einmal, was der Justiziar des Ministeriums mir bereits einige Monate vorher mitgeteilt hatte. Ich unterläge "einem grundlegenden Missverständnis", schrieben sie. Meine Klage orientiere sich nicht daran, was "tatsächlich vorhanden ist", sondern was meines Erachtens "vorhanden sein sollte". Es seien während der Pandemie "zahlreiche Absprachen" telefonisch erfolgt. Dass es für das Ministerium eine gesetzliche Pflicht gibt, solche Auftragsvergaben präzise zu dokumentieren – das schien die teuren Anwälte nicht zu stören.
Nach weiteren Schriftsätzen und Recherchen in anderen Ministerien entschied ich im Frühling 2022, das Verfahren nicht mehr weiterzuführen. Die Lockdowns waren vorbei, es gab ausreichend Masken, kurz zuvor hatte Russland die Ukraine angegriffen. Die ersten Wochen der Pandemie wirkten damals sehr weit weg. Und ich glaubte nicht mehr an einen Erfolg. Denn das Auskunftsrecht hat eine Schwäche: Es gibt für das Gericht keine Möglichkeit, die Angaben der Behörden zu überprüfen. Wenn die Beamten auch bei einer Anhörung vor Gericht erklärt hätten, dass es keine weiteren Informationen gibt – dann hätten die Richter ihnen glauben müssen. Denn Beamte lügen nicht. Oder?
Im Frühjahr 2021 hatte auch der Bundesrechnungshof begonnen, die Vorgänge im Gesundheitsministerium zu prüfen. Es gab schließlich nicht nur den merkwürdigen Auftrag an Fiege. Es gab eine ganze Reihe an Klagen von Lieferanten, weil das Ministerium die bestellten Masken plötzlich nicht mehr bezahlen wollte. Und es gab die überteuerten Maskendeals mit Provisionen für Zwischenhändler, die später vor Gericht aufgearbeitet werden mussten. "Wir werden einander viel verzeihen müssen", hatte Jens Spahn gesagt. Die obersten Rechnungsprüfer des Landes schauten sich an, was genau er damit gemeint haben könnte.
Als der Bundesrechnungshof vor Kurzem einen Bericht über seine Ergebnisse veröffentlichte, war das für mich wie ein Déj?*-vu. Im Ministerium, hielten die Prüfer fest, seien Besprechungen nicht protokolliert worden, Ergebnisse mündlicher Absprachen nicht schriftlich festgehalten. Die Vorgänge und Entscheidungen im Ministerium seien "nicht vollständig und nachvollziehbar" dokumentiert. Der Bericht, man kann das nicht anders sagen, war für das Ministerium eine Katastrophe.
Ein einzelner Vermerk wurde darin gesondert erwähnt. Das Dokument sei auf den 6. April 2020 "rückdatiert" worden, schrieben die Prüfer, bevor es "einem Journalisten offengelegt" worden sei. Als ich den Bericht vor ein paar Wochen zum ersten Mal las, blieb ich an diesem Satz hängen. Das Datum kam mir bekannt vor. War ich der erwähnte Journalist? Konnte das sein?
Eine erstaunliche Begründung
Ich fragte beim Bundesrechnungshof nach, ob es in dem Bericht um das Dokument gehe, das mir zugeschickt worden war. Der Sprecher antwortete, zu Einzelheiten könne er nichts sagen. Andere Personen, die mit dem Vorgang vertraut sind, bestätigten später meinen Verdacht: In dem Bericht ging es um meinen Vermerk. Mir war ein falsches Datum untergeschoben worden.
Die Prüfer des Bundesrechnungshofs waren auf den Vermerk gestoßen, als sie die Akten des Ministeriums durchsucht hatten. Genauer gesagt: Sie waren auf zwei Vermerke zu Fiege gestoßen.
Beide Dokumente hatten einen identischen Inhalt, sie unterschieden sich nur in einem Punkt: beim Datum. Eines war auf den 3. Dezember 2020 datiert, das andere auf den 6. April 2020. Weitere Unterlagen zeigten, dass das Schreiben dem Ministerium erst im November von der Unternehmensberatung EY vorgelegt wurde. Danach wurde der Vermerk unterschrieben. Am 6. April 2020 hatte es das Dokument also noch gar nicht gegeben. Ich schaute mir das Schreiben daraufhin noch einmal an. Und tatsächlich: Es gab Auffälligkeiten. So war der Inhalt in der Vergangenheitsform verfasst. Angesichts der Pandemie "hatte" sich die Marktlage verändert, heißt es da. Die Lieferanten von Schutzausrüstung "waren" nicht in der Lage, den Bedarf zu decken. Im April 2020 waren die beschriebenen Situationen aber ja noch Gegenwart. Außerdem wurde eine "nationale Reserve" für Schutzkleidung erwähnt. Die Einrichtung dieser Reserve war erst im Juni 2020 von der Bundesregierung beschlossen worden – zwei Monate nach der angeblichen Unterschrift. Hätte ich genauer gelesen, ich hätte schon damals misstrauisch werden können. Aber dass ein Bundesministerium mir eine Fälschung unterschiebt, das hielt ich nicht für möglich.
Auf meine Anfrage bestätigt das Ministerium den Vorgang. EY, so die Erklärung, habe am 6. April 2020 den Auftrag erhalten, den Vermerk zu erstellen. Nachdem der Vermerk im Ministerium zunächst "unter dem Datum des 3.12.2020 gezeichnet" worden war, sei er anschließend erneut ausgefertigt und mit dem Datum "6.4.20" zu den Akten genommen worden. Damit sollte, so das Ministerium, die "zeitliche Nähe" zu der Vergabe "transparent gemacht werden" und das "Vorhandensein" sämtlicher Unterlagen zu diesem Zeitpunkt bestätigt werden. Es werde bedauert, dass durch das Datum "ein Missverständnis entstand". Eine erstaunliche Begründung.
Ich erkläre mir den Vorgang so: Als der Vermerk im Dezember 2020 zur Unterschrift bereitlag, muss den Beamten klar gewesen sein, dass der Inhalt irgendwann öffentlich werden könnte. Erste Politiker hatten einen Untersuchungsausschuss gefordert, der Bundesrechnungshof war zu einer Prüfung aufgefordert worden. Den Beamten muss bewusst gewesen sein, dass ein Dokument aus dem Dezember dann wenig überzeugend gewirkt hätte. Denn eigentlich ist bei öffentlichen Vergaben eine zeitnahe Dokumentation üblich – wovon nicht die Rede sein kann, wenn man im Dezember festhält, was man im März entschieden hat. Und um das zu verschleiern, so vermute ich, wurde das Datum geändert.
Es ist eine bittere Erkenntnis meiner Recherche: Auch offiziellen Dokumenten kann man nicht immer glauben. Noch immer unbeantwortet aber ist die Frage, mit der diese Geschichte begann: Wie kam es zum Auftrag des Ministeriums an die Firma Fiege? Auch heute noch gibt es viele solcher offenen Fragen. Trotz der Recherchen von Journalisten, trotz der Arbeit des Bundesrechnungshofs.
Während der ersten Wochen der Pandemie mussten unter großem Druck Entscheidungen getroffen werden. Es kam zu Handschlagverträgen, zu überteuerten Deals, es wurden viel zu viele Masken bestellt. 1,2 Milliarden Masken wurden seither vernichtet, weil niemand sie brauchte. Weitere 1,7 Milliarden sollen folgen. Aus heutiger Sicht ist es einfach, zu sagen, was alles schiefging. Damals war die Frage, ob es genug Masken für die Krankenhäuser geben würde, für die Altenheime, für die Polizei.
Das Verständnis für diese Zwänge wäre vermutlich größer, wenn das Ministerium mit seinen Fehlern offen umginge. Auch unter dem neuen Minister Karl Lauterbach hat sich daran wenig geändert. Die Beamten sind dieselben. Der Abteilungsleiter B. ist noch immer auf seinem Posten, auch der Justiziar leitet weiter sein Referat. Vor Ermittlungen brauchen sie sich nicht zu fürchten: Eine Lüge ist nicht strafbar. Aber das Misstrauen wächst. Denn wenn schon bei einem Datum gelogen wird, was gibt es da noch?
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