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22.11.22, 20:51
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Streuner
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Schweigen bei der Nationalhymne
Zitat:
Diese Folgen könnte der Protest von Irans Fußballern haben
Irans Nationalmannschaft hat mit dem Schweigen bei der Hymne ein deutliches Zeichen gesetzt. Den Demonstrierenden im Land könnte das neuen Mut machen – doch dem Team selbst drohen harte Strafen.
Von Anne Armbrecht
22.11.2022, 21.30 Uhr
Nach der sportlichen Blamage machte eine staatsnahe iranische Zeitung die Schuldigen schnell aus: die Demonstrantinnen und Demonstranten im eigenen Land sowie ausländische Verschwörer. Die deftige Niederlage gegen England zum Auftakt der Fußball-WM in Katar sei das Ergebnis »wochenlanger unfairer und beispielloser psychologischer Kriegsführung gegen die Mannschaft ... durch in- und ausländische Verräter«. Ein anderes Blatt schrieb, keiner der Spieler sei »im Geiste bereit« gewesen.
Schulter an Schulter und mit versteinerten Mienen hatten die Spieler in ihren roten Trikots vor Anpfiff auf dem Rasen gestanden. Die Nationalhymne lief. Kein Ton kam über ihre Lippen, während auf den Tribünen iranische Fans weinten, Fahnen schwenkten und Plakate hochhielten. »Freiheit für Iran« stand darauf und »Women – Life – Freedom«, das Motto der Protestbewegung.
Nichts davon dröhnte so sehr wie das Schweigen der Mannschaft, die später auch keines ihrer beiden Tore feierte. Der sportliche Wert des 2:6 gegen England geriet ohnehin in Vergessenheit. Trotz drohender Konsequenzen hatte Irans Nationalmannschaft, das »Team Melli«, ein Zeichen der Solidarität mit dem protestierenden Volk gesetzt. Es war ein mutiges Zeichen, das viele Fans vielleicht insgeheim erhofft, aber die wenigsten wohl wirklich erwartet hatten.
Sportler sind in Irans Gesellschaft hoch angesehen
Seit dem Tod der 22 Jahre alten Kurdin Jina Mahsa Amini nach ihrer Verhaftung durch die Sittenpolizei Mitte September wird Iran von Protesten erschüttert. Landesweit lehnen sich vor allem Frauen, aber auch Männer und Kinder gegen ihre Unterdrückung und Unfreiheit auf. Die Führung schlägt die Proteste brutal nieder. Mehr als 300 Menschen sollen schon gestorben sein, mehr als 10.000 in Gefängnissen sitzen. Und die Demonstrierenden lassen sich nicht unterkriegen.
Die Aktion ihrer Fußball-Nationalmannschaft könnte nun noch einmal Kräfte mobilisieren und ihnen neuen Auftrieb geben.
Sportler sind in Irans Gesellschaft hoch angesehen. Viele von ihnen haben sich in den vergangenen Wochen den Protesten angeschlossen. Zum Teil sind sie sogar Vorreiter, wie Kletterin Elnaz Rekabi, als sie im Wettkampf ihr Kopftuch ablegte. Fußball zählt zu den beliebtesten Sportarten und das Nationalteam »Team Melli« gilt als eines der wichtigsten Symbole des Patriotismus und der Liebe zum Land. Spielern wie Stürmer Sardar Azmoun folgen in den sozialen Medien mehrere Millionen Menschen. Es ist vor allem die junge Generation, die zu ihnen aufblickt.
Vor der WM hatte die Beziehung zwischen Team und Fans allerdings erheblich gelitten. Während aktuelle Spieler aus der iranischen Liga und Fußball-Legenden wie die früheren Nationalspieler Ali Daei und Ali Karimi sich früh den Protesten angeschlossen hatten, hielten sich die aktuellen Auswahlspieler lange zurück. Einzig Sardar Azmoun hatte am Rande eines Trainingslagers im September deutlich Stellung bezogen. »Schämt euch, wie leichtfertig Menschen ermordet werden«, schrieb er. Und: »Lang leben die iranischen Frauen!«
Die anderen positionierten sich gar nicht oder aus Sicht der Anhänger allenfalls halbherzig. In der Heimat ist das Team dafür heftig in die Kritik geraten. Fans warfen den Spielern vor, sich nicht wenigstens entschieden von der Gewalt des Regimes zu distanzieren – wenn sie die Proteste schon nicht unterstützen wollten.
Ein Termin bei Präsident Ebrahim Raisi kurz vor der Abreise nach Katar kostete sie dann noch die letzten Sympathien. Die Audienz mit Verbeugung und Trikot fürs Staatsoberhaupt, das war zu viel. Hass und Spott trafen das Team in den sozialen Medien. Vom »Team Mullah« war die Rede. Auf den Straßen Teherans zündeten Fans sogar Bilder der Mannschaft an.
»Unsere Leute sind nicht glücklich«
Zuvor hatten Frauenrechts-Aktivistinnen, andere Sportler und Verbände bei der Fifa den WM-Ausschluss des iranischen Teams gefordert; das Land töte Leute auf seinen Straßen und vertrete das Regime, nicht das Volk. Der Fußball-Weltverband ließ die Forderungen bis zum Anpfiff des Turniers ungehört.
Trotz des großen Drucks ihrer Fans vermieden die Spieler in den ersten Tagen in Katar weiterhin klare Bekenntnisse. Trainer Carlos Queiroz betonte zwar, es stehe seinen Spielern frei, zu protestieren. Doch während einige die Fragen der Journalisten zu den Unruhen in der Heimat schlicht ohne Antwort ließen, ging Verteidiger Alireza Jahanbakhsh zum Angriff über: Es würde den englischen Medien nur um Psychospielchen (»mental games«) gehen, um Irans Team abzulenken.
Erst Kapitän Ehsan Hajsafi nutzte die Pressekonferenz vor dem Spiel, um einen neuen Ton anzuschlagen. »Wir müssen akzeptieren, dass die Bedingungen in unserem Land nicht stimmen und unsere Leute nicht glücklich sind«, sagte der Verteidiger von AEK Athen. »Wir sind hier, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht ihre Stimme sein sollten oder sie nicht respektieren sollten.« Er hoffe, dass sich die Bedingungen »nach den Erwartungen des Volkes« ändern würden.
Man muss davon ausgehen, dass Irans Fußballer vor der WM massiv unter Druck gesetzt wurden. Einschüchterungsversuche gegen kritische Sportler hatte es schon in weniger konfliktreichen Zeiten gegeben. Auch Sportjournalisten sollen im Vorfeld des Spiels wegen kritischer Berichterstattung Morddrohungen erhalten haben. Mehrere Sportjournalisten und Fotografen sollen zudem im Gefängnis sitzen.
Wie die Führung nun auf das Schweigen bei der Nationalhymne reagieren wird, ist schwer zu sagen. Vor dem Turnier soll den Spielern bereits gedroht worden sein, dass sie im Falle eines Nichtsingens der Hymne oder Ausbleiben des Torjubels kein Geld bekämen.
Iran spielt noch gegen Wales und die verhassten USA
Die Spieler ließen ihr Schweigen auf dem Platz später in der Mixed Zone des Stadions unkommentiert. Es ist gut möglich, dass ihnen erst nach der Rückkehr in die Heimat Konsequenzen drohen: eine Zeitsperre oder gar das Ende ihrer Nationalmannschaftskarriere etwa. Weniger bedeutende Spieler sollen wegen ihrer Solidaritätsbekundungen mit den Protesten zuletzt vorgeladen, suspendiert oder sogar inhaftiert worden sein. Fußball-Legende Ali Karimi wurde in Abwesenheit wegen angeblicher Anstiftung zu Unruhen angeklagt.
Denkbar wäre auch, dass einige aus dem Team überhaupt nicht in die Heimat zurückkehren. Stars wie Doppeltorschütze Mehdi Taremi (FC Porto), Sardar Azmoun (Bayer Leverkusen) oder Saman Ghoddos (Brentford FC) spielen zumeist in den europäischen Topligen. Gut die Hälfte der Spieler im Kader steht im Ausland unter Vertrag.
Ein sofortiger Ausschluss aller beteiligten Spieler ist dagegen kaum vorstellbar, will Iran seine weiteren WM-Spiele noch bestreiten. Zu viel Aufmerksamkeit aus Sicht Teherans hat die Aktion jetzt schon international bekommen. Sichtbare Sanktionen auf der Weltbühne würden die Blamage für das Regime nur noch schlimmer machen. Und sofern Konzentration auf den Fußball überhaupt denkbar ist, gilt es ja auch noch, sportlich das Gesicht zu wahren. Auch wenn das erstmalige Überstehen der Gruppenphase in Irans WM-Geschichte schon nach dem ersten Spiel in recht weite Ferne gerückt ist: Zwei Spiele bleiben dem Team noch. Nach dem Spiel gegen Wales am Freitag steht am kommenden Dienstag im Gruppenfinale die Partie gegen die verhassten USA an.
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