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04.03.22, 10:59
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Ostdeutsches Putin-Verständnis Die falschen Lehren aus 1989
Zitat:
Ostdeutsches Putin-Verständnis Die falschen Lehren aus 1989
Sabine Rennefanz
Vor allem ostdeutsche Politiker hatten stets Verständnis für Wladimir Putin und Russlands Politik. Woher rührte diese Verklärung?
03.03.2022, 17.31 Uhr
Was für ein Glück die Ostdeutschen 1989/90 hatten, das ist mir wahrscheinlich erst wirklich in den vergangenen Tagen klar geworden. 1994 verließ eine halbe Million sowjetischer Soldaten das Gebiet der DDR friedlich. Die DDR war untergegangen, ohne dass ein Schuss gefallen war, ohne Panzerfeuer, ohne dass junge Männer und Frauen, die noch nie eine Waffe getragen hatten, sich in Bombenkellern verstecken und Molotowcocktails zur Selbstverteidigung bauen mussten. Die Besatzer zogen nach 40 Jahren ab und entließen Ostdeutschland in seine eigene, selbst gewählte Zukunft.
Ich frage mich aber, ob dieses Glück die Menschen im Osten Deutschlands etwas selbstzufrieden und vielleicht sogar blind dafür gemacht hat, für das, was nach der damaligen Zeitenwende in der Sowjetunion und in Osteuropa passierte. Nicht nur sie, aber vor allem die ostdeutschen Politiker haben offenbar die falschen Schlüsse aus 1989 gezogen. Dass Russland keine Gefahr mehr wird. Dass Wirtschaftsverbindungen wichtiger sind als demokratische Strukturen.
Viele Ostdeutsche glaubten aus ihrer retrospektiven Selbsterfahrung Russland und Putin besser zu verstehen als der Westen.
Die ostdeutschen Ministerpräsidenten waren in den vergangenen Jahren stets besonders verständnisvoll, wenn es um Russland ging. Sowohl der Linke Bodo Ramelow in Thüringen als auch der CDU-Politiker Michael Kretschmer in Sachsen waren sich in ihrer Ablehnung von Sanktionen gegen Russland bis vor Kurzem einig. Als ostdeutsche Politikerin muss man auch die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel dazuzählen. Ihre Außenpolitik der vergangenen Jahre, für die sie im In- und Ausland gefeiert wurde, erscheint nach dem Angriffskrieg Russlands in einem anderen Licht.
Schon 2014 – nach der Annexion der Krim – sagte sie laut »New York Times« in einem Telefonat mit Barack Obama, dem amerikanischen Präsidenten, dass Putin den Kontakt zur Realität verloren habe. Welche Schlüsse zog sie daraus? Sie setzte sich für ein Friedensabkommen mit der Ukraine ein, schien sonst Russland aber nicht als Gefahr für Europa zu betrachten.
Viele Ostdeutsche glaubten aus ihrer retrospektiven Selbsterfahrung Russland und Putin besser zu verstehen als der Westen, weil sie Russisch gelernt haben, Urlaub in Sotschi machten und russische Lieder kannten. Da hatten sie den Westdeutschen etwas voraus, einen Kompetenzvorsprung.
In dieser Haltung steckte aber auch eine gewisse Überheblichkeit. Mit geringschätzigem Blick wurde auf die Osteuropäer geschaut, die in die Nato und die EU drängten. Deren Drängen auf Schutz vor russischen Soldaten wurde als neu erwachter Nationalismus interpretiert. Die Demokratiebewegung in der Ukraine wurde in den deutschen Medien nach 2014 sehr schnell diskreditiert. Putin, der 1989 als junger KGB-Agent in Dresden lebte, blieb für viele stets der Mann, der so ein schönes weiches Deutsch sprach, ein Mann, der nicht schoss. Der Putin der Ostdeutschen war eine Projektion, ein Wunschbild.
Die Kugeln fielen woanders, in Moskau, Grosny, in Tbilissi, in Kiew, in Minsk, in Luhansk. Oppositionelle wurden vergiftet, Abtrünnige getötet, kritische Journalisten ins Gefängnis gesteckt. Und in Deutschland wurde so getan, als könnte man nicht wissen, was das bedeutet.
Jetzt, nach dem Beginn des Krieges, zeigen sich alle entsetzt. Der Sozialdemokrat und frühere Ministerpräsident Brandenburgs, Matthias Platzeck, der als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums immer angerufen wurde, wenn ein verständnisvolles Wort zu Putin gebraucht wurde, klagte in der »Zeit«, dass er sich krank fühle vor Schreck. Von seiner Arbeit bleibe nichts als ein Scherbenhaufen. »Und natürlich fragt man sich, ob das Bemühen um Verständnis auch für russische Sichtweisen – ob das alles richtig war.«
Seine Parteifreundin Manuela Schwesig ließ nach dem Beginn des Krieges das Schloss in Schwerin, Sitz des Landtages, in den Nationalfarben der Ukraine blau-gelb anstrahlen. Noch vor einem Jahr hatte sie trotz massiven Protests im In- und Ausland mit dem Geld des Kreml eine Stiftung gegründet, um die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 durchzusetzen. Wer ihr freundlich gesonnen ist, mag das biegsam nennen.
Die Stiftung werde aufgelöst, teilte Schwesig Anfang der Woche mit. In einem langen Tweet dazu standen viele Worte, aber kein einziger Selbstzweifel. (Sie schrieb: »In den vergangenen Tagen ist immer wieder versucht worden, die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns als Putin-Versteher oder ›Putin-Freunde‹ zu diskreditieren. Ich will sehr deutlich sagen, das ist Unsinn: Ich habe niemals ein Gespräch mit Herrn Putin geführt oder sein Vorgehen in der Ukraine unterstützt.« Doch darum geht es nicht. Es geht darum, dass man sich von einem Despoten abhängig gemacht hat.) Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer tut sich schwer, die richtigen Worte zu finden. Für ein »vernünftiges Verhältnis zu Russland« zu plädieren, nachdem der russische Präsident gerade alle Maßstäbe der Vernunft zerstört hat, ist schon absurd.
Kretschmer und Schwesig waren Jugendliche, als die Mauer fiel. Sie haben vielleicht die Macht der Kränkung nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Einflusssphäre unterschätzt. Sie haben unterschätzt, wie aus der Enttäuschung über den Westen Hass wuchs, im Großen bei Putin und im Kleinen bei vielen Ostdeutschen. Kretschmer dachte ja auch lange, die Wut würde kleiner, wenn man mit allen redet und Verständnis zeigt, mit den Rechtsradikalen, den Impfgegnern.
Vielleicht ist die Haltung vieler Ostdeutscher auch eine Folge davon, dass man die Zukunft stets nur durch die Brille der Vergangenheit sieht: Im Kalten Krieg hat der Wandel durch Annäherung doch auch funktioniert, warum nicht ein weiteres Mal?
Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse hat als damaliger Bundestagspräsident Wladimir Putin 2001 bei seiner Rede im Bundestag erlebt und ein längeres Gespräch auf Deutsch mit ihm geführt. Damals sei er noch zugänglich gewesen und habe vom »Haus Europa« gesprochen, erst später sei sein Ton aggressiver geworden.
Thierse widerspricht dem Eindruck, dass Ostdeutsche sich haben täuschen lassen. »Was gab es denn für eine Alternative dazu, den Dialog zu suchen und wirtschaftliche Verbindungen zu knüpfen und Verträge abzuschließen? Man konnte doch nicht damit rechnen, dass Putin schlichtweg lügt«, sagt der SPD-Politiker im Gespräch. Das, was man derzeit in Kiew beobachten kann, der brutale Angriffskrieg, weckt böse andere Erinnerungen: »Das ist das alte stalinistische Russland.«
Der Referenzpunkt ist eher 1968 als 1989.
Man kann die Nachwendezeit auch als einen einzigen Versuch verstehen, Russland mit der eigenen, deutschen Vergangenheit zu erklären. Das musste scheitern. Die Nachwendezeit ist nun endgültig vorbei.
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