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08.02.22, 13:51
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Silent Running
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Der Herr des Kremls gibt sich in seiner Politik machohaft und martialisch – dabei ist
Zitat:
Gastkommentar
Der Herr des Kremls gibt sich in seiner Politik machohaft und martialisch – dabei ist Russland die heroische Gesellschaft längst abhandengekommen
Das offizielle Russland versteht sich als Nation, in der Heroismus und Heimatliebe, Gottesglaube und Ordnungssinn überleben – Werte, denen der Westen längst abgeschworen habe. Die gesellschaftliche Realität hinter dieser Heile-Welt-Fassade sieht freilich anders aus.
Wladislaw L. Inosemzew 03.02.2022, 05.30 Uhr

«Wir werden den Auftrag der Partei erfüllen!» – Sowjetisches Propagandaplakat aus dem Jahr 1957.
Russland wurde jahrhundertelang als «heldenhafte» Nation wahrgenommen, in der sich die Menschen massenhaft für das Gemeinwohl oder den nationalen Ruhm aufopferten. Heutzutage behaupten Präsident Putin und seine Mitstreiter, dass der Patriotismus die wahre nationale Ideologie Russlands sei, und sie tun ihr Bestes, um ihre Landsleute an die glorreichen Taten ihrer Vorfahren zu erinnern, indem sie Denkmäler errichten, sei es für die heiligen Fürsten, welche die Rus tauften oder gegen die teutonischen Ritter kämpften, oder für die Hunderttausende unbekannter sowjetischer Soldaten, die bei der Verteidigung des Vaterlandes gegen die Nazi-Invasion ums Leben kamen.
Aber sind ihre Bemühungen erfolgreich – oder, anders gesagt: Können sie erfolgreich sein? Ist Russland immer noch eine Nation, die sich erheben würde, um die Taten derjenigen zu wiederholen, welche die Rus, das Russische Reich oder die Sowjetunion aufgebaut und gross gemacht haben?
Die Antwort ist ein klares Nein, aber die Gründe dafür sind vielfältig.
Zunächst sollte «Heldentum» in zwei Typen unterteilt werden: Der eine Typus ist auf eine zukünftige Errungenschaft gerichtet (wie die Erlangung oder Wiedererlangung nationaler Unabhängigkeit oder diejenige ferner Länder oder des Alls). Der andere Typus geht aus existenziellen Bedrohungen hervor, die mit allen Mitteln abgewendet werden müssen (man denke an den Einsatz der Roten Armee während des Zweiten Weltkriegs oder der Trümmer-Kommandos beim Nukleardesaster von Tschernobyl).
Leidenschaft und Heldentum
In Russland unterscheidet man zwischen diesen beiden Typen und nennt die Manifestationen des ersten Typs «Leidenschaftlichkeit» und die des zweiten «Heldentum» oder «Tapferkeit». Der Begriff «Leidenschaftlichkeit» wurde von dem Historiker Lew Gumiljow geprägt, welcher die Ansicht vertrat, dass einige Nationen von Zeit zu Zeit eine grosse Anzahl «leidenschaftlicher» Menschen hervorbrächten, die sie zu wichtigen, aber in irgendeiner Weise vorübergehenden Durchbrüchen führten. Man kann sich durchaus vorstellen, dass die Russen im Falle einer Gefahr «heroisch» reagieren, aber man kann schwerlich glauben, dass sie ihre «Leidenschaftlichkeit» wiedererlangen würden.
Russland, das so viel von Patriotismus redet, geht mit seiner lebendigen Geschichte mit einer beispiellosen Geringschätzung um.
Um im ersten Sinne «heldenhaft» zu sein, sollten die Menschen von einem Gefühl der Mission, der Hingabe oder der Herausforderung geleitet werden. Ein solches Gefühl kann religiös, nationalistisch oder ideologisch sein – es macht keinen grossen Unterschied, da es in allen Fällen um eine grössere Zukunft geht, für die die Menschen sich aufzuopfern bereit sind.
Im Verkauf der verschiedenen «Kreisläufe» der Geschichte brachte Russland immer wieder leidenschaftliche Menschen hervor, die Ideen und Gefühle teilten, für die sie bereit waren zu sterben.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die russische Gesellschaft entweder vom Gefühl der imperialen Mission, von der Hingabe an den orthodoxen Glauben, von kommunistischen Überzeugungen oder von nationalistischen Bestrebungen am Rande des Reiches beseelt. All diese Strömungen prallten während und nach dem Ersten Weltkrieg aufeinander, was zu einer der tragischsten Epochen der Weltgeschichte führte.
In den fünfzig Jahren zwischen 1914 und 1964 wurde der russischen «Leidenschaftlichkeit» das Genick gebrochen. Das Land verlor mindestens 80 Millionen Menschen, also 45 Prozent seiner Bevölkerung von 1913, durch Krieg, Hunger und Terror, und nicht weniger als 5 Millionen verliessen das Land für immer.
Die Aristokratie wurde fast ausgerottet, und die wenigen, die überlebten, sahen sich in der UdSSR geächtet. Mehr als 160 000 Priester und Mönche wurden hingerichtet oder starben in Lagern und Gefängnissen – nur weil sie sich weigerten, ihren Glauben zu verleugnen. Besessen von der Idee der «Weltrevolution» und der «Einheit» aller Menschen, vernichteten die Bolschewiki den grössten Teil der nationalen Intelligenz und der Kulturschaffenden in allen Ländern des ehemaligen Zarenreiches. Wobei auch Millionen von denen, die für die revolutionäre Sache eintraten, unter die Räder der eigenen mörderischen Ideologie kamen.
Ein fatal geschädigtes Volk
Das russische Volk wurde im 20. Jahrhundert fatal geschädigt: Während 1913 50,4 Prozent der Bevölkerung des Landes Männer waren, das Durchschnittsalter 24 Jahre betrug und die durchschnittliche Fertilität bei 5,1 lag, sank der Männeranteil 1964 auf 45,4 Prozent, das Durchschnittsalter schoss auf 40,4 Jahre hoch, und die Fruchtbarkeitsrate sank auf 2,8 (in den ländlichen Regionen Russlands war die Situation noch schlimmer). Ab den siebziger Jahren fand die Sowjetunion zwar zu gesellschaftlicher Stabilität, konnte sich aber nicht weiterentwickeln, auch wenn die kommunistischen Ideen in vielen Teilen der Welt Zuspruch erhielten.
Das Ende des 20. Jahrhunderts brachte für Russland tiefgreifende Herausforderungen mit sich, weniger im existenziellen als im kulturellen Sinne. Das Ende des Kalten Krieges wurde nicht als Rückkehr zur Normalität gewertet, sondern als der Absturz der Hoffnungen auf Grösse. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten war Russland sicher und in der Lage, sich auf seine eigenen Angelegenheiten zu konzentrieren, anstatt die ganze Welt «glücklich» zu machen – aber dieser Wandel führte zu einem Ende des kollektiven Sinns (sei er nun nationalistisch, religiös oder ideologiegetrieben).
Heutzutage sind die Russen weit individualistischer und egoistischer als die Angehörigen westlicher Nationen, und sie haben keine gemeinsame Vision von der Zukunft ihres Landes. In Zeiten eines Friedens und eines Wohlstands, die für russische Verhältnisse beispiellos sind, scheinen die Bürger in einen «Krieg aller gegen alle» verwickelt zu sein, in dem sie um Reichtum, Karriere oder Status kämpfen. Dies scheint sich allmählich zu ändern, da eine jüngere Generation auf den Plan tritt – aber dies bedeutet keineswegs die Rückkehr zum «Heldentum».
Die Nation bleibt atomisiert, die Menschen sind nicht in der Lage, ihre Ziele durch kollektives Handeln zu fördern; die Mehrheit ist sich selbst überlassen und glaubt dennoch, dass der «Staat» sich um sie kümmere. Die Regierung verherrlicht die Vergangenheit, ohne sich zu bemühen, Wege in eine bessere Zukunft aufzuzeigen. Wo zur Veränderung «Leidenschaftlichkeit» vonnöten wäre, scheint das Einzige, was die Menschen vereint, ihre gemeinsame «heldenhafte» Vergangenheit zu sein. Kein Wunder, wird diese von der russischen Regierung beharrlich gefeiert, doch steckt in dieser Feier die Angst vor Veränderung und vor Zuwendung zur Realität.
Ein weiteres gut sichtbares Merkmal der russischen Gesellschaft, das Zweifel an ihrer «Leidenschaftlichkeit» aufkommen lässt, ist ihr «kommerzieller» Geist. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Geld für die meisten Russen das einzige erstrebenswerte Ziel. Es gibt wohl kein anderes Land, in dem die geschäftlichen, politischen, bürokratischen, beruflichen und militärischen «Eliten» sich dermassen einig sind in ihrem fanatischen Streben nach Selbstbereicherung (das erfolgreichste eine Prozent derer, die sich an diesem Wettlauf beteiligen, verfügt heute über 57 Prozent des russischen Volksvermögens, verglichen mit nur 30 Prozent in den USA).
Kein anderes Parlament der Welt besteht aus so vielen Obersten und Generälen, Doktoren und Professoren und natürlich Dollarmillionären und -milliardären wie das russische, denn in diesem Land lassen sich am leichtesten mit Geld Abschlüsse, Ränge und politische Zugehörigkeiten kaufen, welche den Weg zu noch grösserem Reichtum ebnen. Nur wenige Regierungen verlassen sich bei Militäroperationen in fernen Erdteilen so sehr auf Söldner.
Nicht viele Gesellschaften sind so korrupt wie die russische, in der nach jüngsten Schätzungen der führenden Universität die illegalen Einkünfte der Bürokraten ein Viertel der Einnahmen des Bundeshaushalts ausmachen. Selbst auf den untersten Ebenen der bürokratischen Hierarchie unternehmen diejenigen, die für die Bereitstellung von Geldern für Bedürftige zuständig sind, alles, um die Mittel in die eigene Tasche zu stecken. Selbst ein so elementar nötiges Programm, das darauf abzielte, Kinder in Grundschulen mit einem warmen Mittagessen zu versorgen, scheiterte, weil ein Grossteil der dafür vorgesehenen Mittel gestohlen wurde.
Es ist klar, dass Heldentum in einer derart kommerzialisierten Gesellschaft keinen Platz findet.
Geschrumpfte Heimatliebe
Nicht ignoriert werden kann zudem, dass die dramatischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts die Einstellung der Russen gegenüber ihrem Land grundlegend verändert haben. Bis in die 1860er Jahre verliess fast niemand aus Russland die Heimat freiwillig: Der russische Adel verbrachte zwar einige Zeit in Europa, liess sich aber nie in Massen dort nieder. Die Revolutionäre, die vor den zaristischen Repressionen flohen, kehrten nach 1917 in das sowjetische Russland zurück. Diejenigen, die im Bürgerkrieg gegen die Bolschewiki gekämpft hatten, träumten jahrelang davon, heimzukehren, und viele kamen zurück, nachdem sie im Krieg verschleppt oder getötet worden waren.
Erst nach dem Sturz des kommunistischen Regimes begannen Millionen ethnischer Russen, im Ausland nach einem besseren Leben zu suchen. Die Nettoauswanderung aus Russland erreichte 1992 einen Höchststand von 103 000 Personen, und nach einem gewissen Rückgang übersteigt sie seit 2014 jedes Jahr 200 000 Personen. Seit 2000 haben rund 5 Millionen Russen das Land verlassen – und weitere 30 Millionen würden gerne auswandern.
Es herrscht in Russland eine permanente Verschwendung von Ressourcen und Mühen – kein Volk kann auf Dauer so behandelt werden.
Die Mehrzahl der russischen Topunternehmer und Topbürokraten schickt ihre Kinder nach Europa oder in die USA zur Ausbildung, während die meisten Angehörigen der oberen Mittelschicht Immobilien in Europa kaufen. Das Streben nach ausländischen Aufenthaltsgenehmigungen bei russischen Bürokraten ist gross und umfasst auch fast alle hochrangigen Beamten. Das von Russen ausserhalb Russlands kontrollierte Vermögen übersteigt inzwischen das russische Bruttoinlandprodukt, und die Zahl der im Ausland lebenden russischen Wissenschafter scheint grösser zu sein als jene der im Land verbliebenen.
Einst waren die Russen Pioniere der Chemie und des Ingenieurwesens, sie schickten den ersten Menschen ins Weltall und entwickelten den ersten thermonuklearen Sprengsatz der Welt, doch heute können sie nur noch auf ausländische Erfindungen zurückgreifen und verlieren ihre Wettbewerbsvorteile durch die massive Emigration. Und wie hoch man den russischen Patriotismus auch hält, die Russen kehren nicht mehr nach Hause zurück.
Aus alldem folgt: Russland ist keine «heroische» Gesellschaft mehr.
Das betrifft auch den Zustand der eigenen Geschichte. Jeder weiss, dass die nationale Geschichte ein mächtiger Grund für eine massive Mobilisierung der Gesellschaft sein kann, aber es fehlt Russland an drei wichtigen Elementen, um seine Vergangenheit als Ressource zu nutzen.
Geschichte – kein Kontinuum
Erstens mangelt es an dem, was die Franzosen «patrimoine» nennen – eine dichte «Textur» von Geschichte, die historische Verbindungen und Ereignisse sichtbar macht.
Russland, das so viel von Patriotismus redet, geht mit seiner lebendigen Geschichte mit einer beispiellosen Geringschätzung um: Mehr als 80 Prozent der vor 1917 errichteten Häuser, Fabriken, Kirchen oder Klöster wurden zerstört und liegen selbst in den Grossstädten immer noch in Trümmern oder wurden so «renoviert», dass sie besser abgerissen worden wären. Die Menschen haben nur ein sehr gering ausgeprägtes persönliches historisches Gedächtnis, das mit Orten und Artefakten verbunden ist, so wie dies in Europa eigentlich normal ist.
Zweitens ist die russische Geschichte, insbesondere die der letzten hundert Jahre, eigentlich die Geschichte eines immerwährenden Bürgerkriegs – und die Erinnerung der Menschen entsprechend gespalten. Ein Teil fühlt sich als Opfer, während die Vorfahren der anderen Sieger oder Henker waren. Die Geschichte kann das russische Volk nicht einen, weil es zu viele konkurrierende Versionen davon gibt. Eine Versöhnung ist nicht in Sicht.
Noch schwerer wiegt der dritte Faktor: Es gibt einfach gar keine russische Nation. Russland ist nach wie vor ein Imperium, und die Feier des Russentums würde den nationalistischen Furor anderer ethnischer Gruppen entfachen, von denen viele ein erhebliches Mass an formaler Autonomie besitzen. Daher vermag Russland weder aus seiner fernen noch aus seiner jüngeren Geschichte viele Anleihen zu nehmen, die für die Gestaltung der Zukunft des Landes inspirierend sein könnten.
Schliesslich kompensierte die Idee des russischen «Heldentums» lange die allgemeine russische Ineffizienz. Das Individuum in Russland wurde jahrhundertelang vom Staat unterjocht, und deshalb waren die Menschen gezwungen, in ihrem Leben und bei ihrer Arbeit zu akzeptieren, dass fast alles nur durch Opfer erreicht werden konnte. Was die hohen militärischen Verluste betrifft, welche die russischen Armeen in ihren Kriegen regelmässig erlitten haben, kann man zu dem Schluss kommen, dass diese primär auf schlechte Kriegsführung und miserable politische Organisation zurückzuführen sind.
Das Gleiche gilt für die Wirtschaft. All die unerheblichen Ergebnisse, welche die sowjetische Wirtschaft in den siebzig Jahren ihres Existierens erzielt hat, hätten mit einem Bruchteil von Anstrengungen und Opfern erreicht werden können. Es war eine permanente Verschwendung von Ressourcen und Mühen – kein Volk kann auf Dauer so behandelt werden. So gesehen, würde jeder Versuch, das russische «Heldentum» wiederzubeleben, eine weitere Runde der Demütigung der Nation und der Enttäuschung der Hoffnungen der Menschen auf ein besseres Leben in einer modernen individualisierten und liberalen Gesellschaft darstellen.
Russland hat den Höhepunkt seiner «heroischen Geschichte» schon lange überschritten. Das Volk steht heute entnervt und desorientiert da. Was es brauchte, wäre eine stabile wirtschaftliche und soziale Entwicklung über viele Jahrzehnte, die auf modernem Individualismus und gesundem Menschenverstand basiert und nicht auf ideologischen Doktrinen oder nationalen Mythen. Nur dann kann sich diese Nation mit sich selbst versöhnen und ihre innere Kraft und Vitalität zurückgewinnen. Und eine Form von «Leidenschaftlichkeit», die mit den Regeln der zivilisierten Welt vereinbar ist.
Wladislaw L. Inosemzew ist ein bekannter russischer Ökonom sowie der Gründer und Direktor des Zentrums für postindustrielle Studien in Moskau. – Aus dem Englischen von Andreas Breitenstein.
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#2
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working behind bars
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Zu diesem Artikel passt auch die Liste des russischen Kulturministeriums, die längst nicht bei allen Russen auf Gegenliebe stößt:
Zitat:
Leitlinien russischer Politik:
Moskau kämpft gegen die „Unmoral“
Der Kreml präsentiert eine Liste „traditioneller Werte“, die verteidigt werden müssten. Das passt auch zur aktuellen Isolationspolitik Russlands.
„Alle Hoffnung ruht auf Ihren Schultern: Wenn Sie es schaffen, richtige Ideen von den falschen zu unterscheiden, schützen Sie Russland vor seinen Feinden und deren zerstörerischen und fremden Idealen.“ Das Spiel, dass das russischsprachige Nachrichtenportal Meduza seine Le*se*r*in*nen spielen lässt, ist auf Ironie gebaut.
Ein Smiley mit einem Kokoschnik, dem typischen russischen Kopfschmuck, stellt solche Fragen wie: „Verurteilen oder begrüßen Sie den Kult des Kollektivismus?“ oder „Heißen Sie die Einigkeit von unterschiedlichen Völkern gut?“. Bei „richtig“ beantworteten Fragen verwandelt sich der Kokoschnik in eine Pickelhaube, sie explodiert. „Gratulation! Russland erwartet eine hochmoralische Zukunft!“
Die Moral, sie spielt bei den politischen Entscheidungen des Regimes in den vergangenen Jahren eine immer größere Rolle. Mit ihr werden Konzertabsagen erklärt, wird Aufklärungsunterricht an den Schulen verboten, Kritik am Kreml erstickt. Im Juli vergangenen Jahres hatte Russlands Präsident Wladimir Putin unter die Nationale Sicherheitsstrategie seine Unterschrift gesetzt. Natürlich spielte auch hier die Moral eine große Rolle. Sie müsse gestärkt werden, um den russischen Staat vor seinen Feinden zu schützen. Seine Untergebenen mussten weitere Ideen ausarbeiten, die über kurz oder lang in Gesetze gegossen werden dürften.
Das russische Kulturministerium legte nun eine Liste mit „traditionellen russischen Werten“ vor, die die Grundlagen staatlicher Politik bilden sollen. Der Patriotismus und der Dienst am Vaterland finden sich darin genauso wieder wie eine starke Familie, der Vorrang des Spirituellen vor dem Materiellen, der Kult des Kollektivismus wie auch hohe moralische Ideale.
„Fremde Ideen“ werden ebenfalls aufgezählt: der Kult des Egoismus, der Kult der Freizügigkeit und der Kult der Unmoral. Bedroht seien die „russischen Werte“ von Terroristen, Extremisten und den USA samt ihrer Partner. Werde der Staat seine „traditionellen Werte“ nicht schützen, sei die russische Staatlichkeit in „höchster Gefahr“, schreibt das Kulturministerium – und schlägt einen Ausweg aus der möglichen Misere vor: die Schaffung neuer Gesetze, die „Schädliches“ bestraften.
Angst vor weiteren Verboten
Die Liste passt in die Isolationspolitik des Kremls. Das Regime sieht sich von Feinden umzingelt und vermittelt nach außen den Eindruck, sich ständig verteidigen zu müssen.
Die Werte, die das Ministerium als richtig aufführt, sind ein Wunschtraum, der in der Gesellschaft kaum gelebt wird. „Es ist zum Schämen“, sagt der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew im russischen Online-TV-Sender Doschd und bezeichnet das Dokument als „Abhaken von Aufgaben irgendwelcher untalentierter Beamter“. „Sie hätten Gleichgültigkeit als unseren wichtigsten Wert hinschreiben sollen, er äußert sich im Zynismus, den wir pflegen, um einfach überleben zu können.“
Viele Russ*innen nehmen die Äußerungen des Ministeriums zum Anlass, um ihre eigenen Listen der „traditionellen Werte“ aufzuzählen: „Wo ist eigentlich die Trunksucht hin, die russischste aller russischen Werte?“, fragt ein User bei Vkontakte, dem russischen Pendant zu Facebook. Eine andere fürchtet um das Vergessen von „Pelmeni“, den russischen Teigtaschen.
Auf Twitter finden sich Werte wie „Stillhalten, jede Eigeninitiative meiden, bloß keinen Streit nach außen tragen und alles ertragen – denn wenn er liebt, dann schlägt er. Das ist Tradition, noch was hinzuzufügen?“, fragt einer, der in seinem Profil angibt, Moskauer Metro-Konstrukteur zu sein.
Sarkasmus ist eine gängige Methode in Russland, um sich seiner Sorgen zu entledigen. „Bildungsreformen, die traditionelle Werte nicht berücksichtigen, Reformen in der Wissenschaft und Kultur, die traditionelle Werte nicht berücksichtigen, sind große Gefahren“, heißt es im Dokument des Ministeriums. „Wird es bald noch mehr Verbote geben?“, fragen sich nicht nur einige Filmemacher*innen, Schriftsteller*innen und Theaterregisseur*innen.
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08.02.22, 23:18
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#3
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Echter Freak
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Ist halt geil, das die komplette Regierung sowieso dagegen verstößt XD
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09.02.22, 01:46
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#4
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Streuner
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Weg von „Heroismus und Heimatliebe, Gottesglaube und Ordnungssinn“ - hin zum diktatorischem Personenkult.
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