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31.08.21, 12:11
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#1
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Super Moderator
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...dann Schreie, Sirenen, Hupen
Zitat:
Zwanzig Jahre nach 9/11
...dann Schreie, Sirenen, Hupen
Eine Midlife-Kolumne von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], US-Korrespondent

Am 11. September 2001 erlebte ich in Manhattan mit, wie sich die ganze Welt veränderte. Zwanzig Jahre später habe ich vieles verdrängt oder verklärt. Ist es das, was man »Lebenserfahrung« nennt?
31.08.2021, 12.21 Uhr

Schock und Klarheit: Lower Manhattan am 11. September 2001 Foto: Hubert Boesl / dpa
Dienstag, 11. September 2001. Ein glasklarer Morgenhimmel über Manhattan. Dann, von einer Minute auf die andere, nichts mehr so wie früher.
Jahrestage und Jubiläen finde ich immer unerfreulicher. Sie erinnern mich nur noch daran, wie schnell die Zeit vergeht, wenn ich nicht achtgebe; wie weit ich mich davon entferne, was erst gestern war; wieviel älter ich bin, als ich mich fühle.
Zwanzig Jahre ist es her. Zwanzig Jahre! Der Tag, der die Welt veränderte und auch mein Leben, es zerriss in vorher und nachher. Der 11. September 2001 markierte einen Existenzbruch und, wie ich später merkte, das Ende meiner ersten Midlifekrise. (Erst Corona bescherte mir die späte zweite.)

Der Tag, der die Welt veränderte: Ground Zero an 9/11 Foto: ALEXANDRE FUCHS / AFP
9/11 war das Schlimmste, was ich bis dahin erlebt hatte, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass je noch mal etwas Schlimmeres geschehen könnte, jedenfalls nicht in meiner kleinen Welt. Zugleich war es der Moment, der mir zeigte, warum das Leben kurz, doch lebenswert sein kann, trotz allem Horror, und der mich zum »wahren« New Yorker machte, in Solidarität verschweißt mit Millionen Weggefährten.
Geräusche, Gerüche, Gefühle
Ich brauchte diese Solidarität. 2001 war auch so schon ein persönliches »[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]« gewesen. Das öffentliche »Crash-and-burn«-Ende einer langen, doch problematischen Beziehung, der Verlust von Freunden, die Partei ergriffen, die Kapitulation von Körper und Seele nach einer Dekade törichter Dekadenz, bei der ich mich selbst vergaß: Im Sommer hatte ich die Nase voll, nicht nur von diesem Jahr.
Das 9/11-Inferno brachte erst Schock, später Klarheit. Es begann mit einem dumpfen Donnerknall, der die Vögel aus den Bäumen schreckte, gefolgt von einer geräuschlosen Schrecksekunde, dann Schreien, Sirenen, Hupen und einem Nebel aus unvertrauten Geräuschen, Gerüchen, Gefühlen.
Knöchelhoher, stinkender Staub auf den Straßen. Ausgebrannte Autos wie in Beirut. Menschenschlangen vor Blutspendestationen. Notgottesdienste im Freien. Panische Anrufe. Vermisste Freunde: Jose, James, Michael, Tina. Fassadenfronten als Klagemauern, voller Suchposter. Mahnmale aus Teelichtern. Die Wahrsagerin mit dem Desastersonderangebot: »Einmaliger Billigpreis: Handlesen, $10.«
Wie jedes Trauma nahm auch dieses für jeden einen anderen Verlauf. Für mich sortierte es mein privates Chaos, öffnete emotionale Kanäle, die verstopft gewesen waren, präzisierte, was ich wollte und was nicht. Es dauerte Jahre, bis ich das kapierte, mit Hilfe neuer Weggefährten dieser Feuerprobe.
Schlachtruf der Narzissten und Putschisten
Doch 20 Jahre später wirkt 9/11 wie der konventionelle Terror einer historischen Ära, als wir Palm Pilots hatten statt iPhones, AOL statt Twitter. Der Terror kam von außen, heute kommt er von innen, von Coronaleugnern und Maskenverweigerinnen, Fanatikerinnen und Faschisten, die sich über Facebook organisieren, ohne das Haus zu verlassen. Solidarität scheint ein Fremdwort, »freedom« ein Schlachtruf der Narzissten und Putschisten, denen das Leben anderer nicht länger als lebenswert gilt.
An 9/11 starben fast 3000 Menschen, genug, um den »Forever War« zu starten. Die Zahlen waren »mehr, als irgendeiner von uns letztendlich ertragen kann«, wie der sehnige Bürgermeister Rudy Giuliani [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], damals. Die Coronakrise hat in den USA [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] 200-mal so viele Tote gefordert, aber [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], vor allem nicht Giuliani, der [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] ist.

Erinnerung und Mahnung: Flutlichtfinger am World Trade Center Foto: EDUARDO MUNOZ / REUTERS
Wie erschütternd wenig die letzten 20 Jahre gebracht haben, wie sehr wir nicht nur im Kreis gelebt haben, sondern vielleicht sogar rückwärts, zeigt sich nirgends dramatischer als am Fall von Afghanistan. [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] US-Soldaten ließen dort ihr Leben, Zehntausende starben später durch Suizide, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]?
Was mal ein prägendes Erlebnis war, jener Traumtag, der zum Alptraum wurde, ist nicht nur für mich längst zur beinah nostalgischen Storytime verschwommen. 18-Jährige haben aus dem Geschichtsunterricht ein schärferes Bild von 9/11 als ich. Ich klammere mich an Mythen, um meine eigene Entwicklung zu mythologisieren. Als ich jetzt meine alten Notizbücher noch mal durchblätterte, merkte ich: In Wahrheit war alles viel chaotischer und weniger gradlinig, als es die Dutzenden Selfhelp-Bücher weismachen, die ich mir seitdem gekauft habe. Nur eins blieb unverändert: »Dienstag« ist für mich bis heute der Tag, an dem der Himmel einstürzen kann.
Die dreckverkrusteten Timberland-Stiefel
Neulich rekonstruierte ich mit zwei Kolleginnen meine Schritte an 9/11, fünf Kilometer von Gramercy bis Ground Zero. Manche »Erinnerungen« sind inzwischen falsch, verklärt oder zusammengesetzt, andere verdrängt oder ganz vergessen. »Lebenserfahrung«, das Mantra unserer späten Jahre, ist am Ende wohl nur das, was man sich vormacht, um zu erklären, was sich nicht erklären lässt.
Die schlammfarbenen, dreckverkrusteten Timberland-Stiefel, die ich an 9/11 trug, standen noch lange in meinem Kleiderschrank, absichtlich ungereinigt, wie Reliquien aus dem Mittelalter. Beim letzten Umzug sind sie irgendwie verloren gegangen.
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