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Silent Running
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Drogenkrieg in Mexiko - Frauen als Zielscheiben
Zitat:
Drogenkrieg in Mexiko
Frauen als Zielscheiben
Trotz Corona eskaliert in Mexiko die Gewalt - auch gegen Frauen: Sie werden von Drogenkartellen getötet oder zu Opfern von Beziehungsverbrechen. Die Datenanalystin Mar�*a Salguero dokumentiert ihre Namen und Geschichten.
Von Sonja Peteranderl, Mexiko
19.05.2020, 09.47 Uhr

"Nicht eine mehr": Frauen protestieren in Mexiko-Stadt gegen Morde an Frauen
Eduardo Verdugo/ AP
Eines der Mädchen trug eine blaue Jeans und eine Bluse mit bunten Punkten, das andere Mädchen hatte eine blaue Leggins und eine gelbe Bluse an. Autofahrer entdeckten die Leichen Mitte Mai im mexikanischen Bundesstaat Michoacán am Rand einer Straße - sie waren mit Genickschüssen hingerichtet worden, in typischer Kartell-Manier. Schätzungen der Polizei zufolge wurden die beiden gerade einmal zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Ihre Identität ist bisher unbekannt.
Aufnahmen solcher Morde sieht sich Mar�*a Salguero täglich an: Verbrechen an Mädchen und Frauen, die oft außerordentlich brutal, aber in vielen Regionen Mexikos nichts Ungewöhnliches sind. Seit 2016 recherchiert die studierte Geophysikerin die Hintergründe von Frauenmorden und visualisiert die Taten auf digitalen Karten - um das Problem sichtbar zu machen.
"Ich will die Namen und die Geschichten hinter den Zahlen dokumentieren", sagt die 40-jährige Datenanalystin, die in Mexiko-Stadt lebt. Es sei wichtig, die Motive hinter den Morden zu verstehen. Nur so könne die Gewalt auch mit passenden Strategien bekämpft werden. Hunderte bunte Kreuze überziehen Salgueros Karten von Mexiko, sie symbolisieren, ob die Frauen etwa an häuslicher Gewalt oder im Drogenkrieg gestorben sind. Allein 2019 sind mehr als 3800 Frauen getötet worden – zwischen zehn und elf pro Tag.

Mar�*a Salguero recherchiert die Hintergründe der Frauenmorde – und kartiert die Verbrechen
Sonja Peteranderl/ DER SPIEGEL
Den Drogenkrieg und die Gewalt in Mexiko hält auch die Coronakrise nicht auf. Bereits im vergangenen Jahr war die Mordrate auf Rekordhoch, fast 35.000 Menschen wurden 2019 ermordet, Zehntausende gelten als vermisst. Und obwohl viele Mexikaner derzeit der Anweisung der Regierung folgen, zu Hause zu bleiben, wird weiter gemordet. Mexikos große Kartelle sind in den vergangenen Jahren zunehmend zersplittert. Das mächtige Cártel de Jalisco Nueva Generación (CJNG) versucht zu expandieren, unzählige kleinere Banden, die wechselnde Allianzen eingehen, kämpfen um Regionen - Mädchen und Frauen geraten zwischen die Fronten.
Im Drogenkrieg erschossen
Die Gründe, warum Frauen ihr Leben im Drogenkrieg verlieren, sind Mar�*a Salguero zufolge vielfältig: "Manche Frauen werden getötet, weil sie Mitglieder von Kartellen sind, manche bekommen aus Versehen eine Kugel ab oder werden verwechselt", sagt sie. Andere würden zu Opfern, weil sie die Freundinnen, Ehefrauen, Töchter der Kriminellen sind. "Die Familien werden attackiert, um Rivalen zu bedrohen oder zu schwächen."

In vielen Regionen Mexikos kämpfen Gangs und Kartelle um die Vorherrschaft - Frauen und Kinder sind oft unsichtbare Opfer in diesem Krieg
Rebecca Blackwell/ AP
Allein in den ersten vier Wochen der Coronakrise, die in Mexiko Mitte März offiziell ausbrach, hat Salguero 320 Morde an Frauen gezählt. Die Mehrheit, 199 dieser Morde, entfallen auf das organisierte Verbrechen. Fast alle restlichen Gewalttaten waren geschlechtsspezifische Morde, sogenannte Femizide. Frauen wurden ermordet, weil sie Frauen sind, etwa als Folge sexueller oder partnerschaftlicher Gewalt. In der Coronakrise steigt die häusliche Gewalt weltweit, in Mexiko haben die Notrufe bei Frauenzentren deutlich zugenommen.

Digitale Karte der Frauenmorde in Mexiko: Trotz Coronakrise steigt die Gewalt weiter an
Mar�*a Salguero
Im Jahr 2012 hat Mexiko den Straftatbestand Femizide eingeführt, um geschlechtsspezifische Morde besser zu erfassen. "Die Polizei ermittelt die Hintergründe und die Verbindungen zwischen Täter und Opfer oft nicht richtig", sagt Salguero. "Ihr fehlt die Fähigkeit, aber auch die Sensibilität für geschlechtsspezifische Morde."
Digitale Detektivarbeit
Damit die Schicksale der Frauen nicht untergehen, recherchiert Salguero auf eigene Faust. Sie durchforstet öffentlich zugängliche Informationen zu Ermittlungen, wie Pressemitteilungen von Staatsanwaltschaften. Aber auch Medienberichte sowie Fotos und Videos aus sozialen Netzwerken helfen ihr, die Morde zu erfassen und einzuordnen.

Im Internet zirkulieren viele Aufnahmen von Tatorten
STRINGER/ EPA-EFE
In Mexiko veröffentlichen Boulevardmedien ungefiltert brutale Aufnahmen von Unfällen und Verbrechen – wie etwa Tatortfotos der verstümmelten Leiche von Ingrid Escamilla. Der Freund der 25-Jährigen hatte sie im Februar gefoltert, erstochen, ihr die Haut abgezogen und Organe entnommen. Auch anonym geführte Narcoblogs und Konten in sozialen Netzwerken berichten über die Kartellkriminalität und Gewalt im Land. Teilweise spielen sogar Gangs und Kartelle diesen Plattformen Material von Morden zu. Manchmal erhält Mar�*a Salguero auch Bilder von Journalisten, die am Tatort waren.
Tote Frauen als Warnungen
"Die Form, in der die Leichen hinterlassen werden, sagt viel darüber aus, ob es sich um einen Femizid handelt oder etwa um Kriminalität", sagt Salguero. Anzeichen für Femizide sind etwa sexuelle Gewalt, Verstümmelungen, erniedrigende Verletzungen, aber auch, wenn etwa der Körper an einem öffentlichen Ort abgelegt wird.
Handelt es sich um Morde aus dem kriminellen Milieu, sind die Leichen oder die Tatorte oft mit Botschaften versehen, die Hinweise auf die Täter und Motive geben. Gangs und Kartelle hinterlassen diese sogenannten "Narcomensajes" als Machtdemonstration oder Drohung.
Auf ihrem iPad blättert Salguero durch Aufnahmen von getöteten Frauen, neben oder auf denen papierne Botschaften liegen. Darauf steht: "Wir werden all eure Alten erwischen". Oder: "Hier schicken wir dir deine Schwester." Sie würde keines dieser Bilder veröffentlichen, sagt Salguero. "Aber es hilft mir, zu verstehen, wie die Frauen gestorben sind, wer sie ermordet hat."
Im Bundesstaat Michoacán, in dem die beiden mit Genickschuss getöteten Mädchen gefunden wurden, liefern sich etwa derzeit das Cártel de Jalisco Nueva Generación (CJNG) und Los Viagras derzeit einen blutigen Krieg. Anfang April ermordeten CJNG-Mitglieder vier Männer und eine Frau. Am Tatort ließen die Mörder eine Karte zurück, in der sie die Toten als Informanten ihrer Rivalen bezeichneten - unterzeichnet hatte die Botschaft ein lokaler Drogenboss.
Als Antwort auf das Massaker drohten Los Viagras, dass sie künftig auch die Kinder und Frauen ihrer Rivalen ermorden würden. "Dass Frauen von Kartellen ermordet werden, ist kein neues Phänomen. Aber dass die Gruppen es so explizit ankündigen, ist bedeutsam und neu", sagt Mar�*a Salguero, die bereits seit 2017 einen Anstieg von Frauenmorden im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg beobachtet.

Kartelle hinterlassen Botschaften an Tatorten - in denen sie etwa drohen, Jagd auf die Frauen ihrer Rivalen zu machen
Sonja Peteranderl/ DER SPIEGEL
Teils überschneiden sich auch Kriminalität und häusliche oder sexuelle Gewalt. Die mexikanische Machokultur ist auch in Gangs und Kartellen fest verankert. Kartell- und Gang-Mitglieder vergreifen sich etwa an ihren Partnerinnen, die sie häufig als ihren Besitz betrachten. Sexuelle Gewalt tritt zuweilen auch als "Begleiterscheinung" bei anderen Delikten auf.
So brach Anfang April etwa in Nogales im Bundesstaat Sonora ein drogensüchtiges Gangmitglied während der Corona-Quarantäne in ein Haus ein. Die Mutter war gerade im Supermarkt, der Einbrecher wurde aber von der 13-jährigen Tochter überrascht, die er vergewaltigte und ermordete. "In Sonora wächst der Drogenhandel und auch die Drogensucht - und dieses allgemeine Klima der Kriminalität trifft auch die Frauen", sagt Salguero.
Frauenmorde als Politikum
Mar�*a Salguero führt derzeit die detailreichste landesweite Datenbank zu Frauenmorden und deren Hintergründen. Ihr Handy klingelt ständig, weil Journalisten, aber auch staatliche Stellen nach Auskunft fragen. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie mit Vorträgen zu Kriminalitätstrends und Datenanalysen. Die virtuellen Karten und Daten zu den Frauenmorden stellt sie online kostenlos zur Verfügung - in der Hoffnung, dass möglichst viele Journalisten und Aktivisten weiter recherchieren, Druck ausüben.
Warum der Staat nicht längst eine eigene Datenbank zu Frauenmorden führt? Salguero glaubt: "Weil der politische Wille fehlt." Immer wieder beobachtet sie, wie Frauenmorde politisch instrumentalisiert werden: Der Bundesstaat Veracruz führte bei den Femiziden im vergangenen Jahr die Statistik an - Anfang dieses Jahres löschte er die Daten, angeblich, um erst Ermittlungen abzuschließen, ob es sich tatsächlich um Femizide oder um Kriminalität handelte.
Viele Morde könnten mit den passenden Präventionsstrategien verhindert werden, glaubt Mar�*a Salguero. Bei ihren Datenauswertungen sieht sie immer wieder, dass sich sowohl Femizide als auch kriminelle Verbrechen an Frauen oft in denselben Gebieten häufen. Siedlungen fernab von Stadtzentren und ohne Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen verwandeln sich nicht selten zum Nährboden verschiedener Arten von Gewalt.
"Man muss die soziale Ungleichheit angehen", sagt Salguero. "In manchen Regionen sind vielleicht viele Frauen in kriminelle Branchen involviert, arbeiten in Bordellen oder verkaufen für ein paar Pesos Drogen - aber oft liegt es einfach daran, dass sie ihre Kinder durchbringen müssen."
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