[BLACKY74]

Moskau hat den baltischen Staaten vorgeworfen, nach der Unabhängigkeit nicht zu demokratischen Rechtsstaaten geworden zu sein. Allerdings liegen die kritisierten Länder in Demokratie-Ranglisten weit vor Russland.

Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder

Die Beziehungen zwischen Russland und den baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland sind seit deren Unabhängigkeit im Jahr 1991 angespannt. Der EU- und NATO-Beitritt der Länder beruhigte die Situation keineswegs, im Gegenteil: Militärische Drohgebärden gab es immer wieder, auf beiden Seiten wurde aufgerüstet.

Zudem spielen Desinformation und Propaganda eine immense Rolle in dieser Region. Nach der Stationierung von Bundeswehrsoldaten [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], deutsche Soldaten hätten eine Frau vergewaltigt.

Attacke auf Twitter

Aktuell versucht Russland, die baltischen Staaten als undemokratisch darzustellen. Das russische Außenministerium behauptete auf Twitter, die drei Länder seien nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion "leider" nicht zu demokratischen Rechtsstaaten geworden.

Russlands Außenministerium attackierte auf Twitter die baltischen Staaten.

Ein Vorwurf, den der lettische Außenminister postwendend zurückwies. Es gebe Lügen, große Lügen und die Tweets des russischen Außenministeriums, kommentierte Edgars Rinkēvičs.

Ranglisten zum Stand der Demokratie

Wie steht es also um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Baltikum? Und ist Russland dazu berufen, Mängel in anderen Staaten zu kritisieren? Verschiedene Medien, Organisationen und Thinktanks untersuchen kontinuierlich, wie es international um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bestellt ist. Das Magazin "The Economist" erstellt beispielsweise [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Experten untersuchen und bewerten dafür unter anderem Wahlen und Pluralismus, Funktionsweise und Kontrolle der Regierung, politische Teilhabe sowie Bürgerrechte.

Ergebnis für 2018: Die baltischen Staaten landen zwischen Platz 23 bis 38 - in der Kategorie "unvollständige Demokratie". Insbesondere bei politischer Teilhabe und Kultur gebe es Mängel. Insgesamt kategorisiert der "Economist" 20 Staaten als "vollständige Demokratie". Russland stuft der Index als autortäres Regime auf Platz 144 ein - von insgesamt 167 analysierten Staaten.

Baltische Staaten weit vor Russland

Die "[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]"-Liste führt die baltischen Staaten hingegen allesamt als "frei" auf. Estland liegt mit 94 von 100 Punkten gleichauf mit Deutschland, Litauen erreicht 91 und Lettland 87 Punkte. Russland kommt auf 20 Punkte und wird als nicht freier Staat bewertet. Es gebe dort allgegenwärtige, nationalistische Propaganda und politische Unterdrückung, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].

Rangliste Freedom in the World Countries
Land Punkte von 100

Norwegen 100
Schweden 100
Finnland 100
...
Estland 94
Deutschland 94
...
Litauen 91
...
Lettland 87
...
Russland 20

Auch die Skalen [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] stuft die baltischen Staaten in sämtlichen Kategorien deutlich positiver als Russland ein.

Organisationen wie Reporter ohne Grenzen untersuchen zudem die Pressefreiheit weltweit. [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] steht Estland auf Platz elf, Lettland auf 24 und Litauen folgt auf Platz 30. Russland liegt auf Rang 149 von insgesamt 163 Staaten.

Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2019
Rang Land Änderung

1 Norwegen +/-0
2 Finnland +2
3 Schweden -1
...
11 Estland +1
...
13 Deutschland +2
...
24 Lettland +/-0
...
30 Litauen +6
...
149 Russland -1

Im "[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]" liegt Russland sogar nur auf Platz 154 von 163 Staaten. Untersuchte Kriterien sind unter anderem geführte Kriege, Misstrauen in Mitbürger, Zahl der Polizisten und Soldaten oder auch die Beziehungen zu den Nachbarländern. Die baltischen Staaten kommen hier auf Plätze zwischen Rang 35 und 38.

Human Rights Watch veröffentlicht [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], der die Situation der Menschenrechte analysiert. Die baltischen Staaten tauchen hier gar nicht erst auf, Russland wird hingegen unter der Überschrift "Die dunkle Seite der autoritären Herrschaft" geführt. Unter anderem tue Moskau alles, um die globale Durchsetzung von Recht zu verhindern, während es im eigenen Land die repressivste Herrschaft seit Jahrzehnten gebe.

Vorwurf ist falsch

Die baltischen Staaten werden von verschiedenen Experten und Organisationen also als überwiegend oder vollständig demokratisch sowie frei eingestuft. Grundrechte werden geschützt, die Regierung kontrolliert. Mängel gibt es dem Demokratie Index zufolge bei der politischen Kultur.

Russland liegt in sämtlichen entsprechenden Ranglisten zu Demokratie und Grundrechten weit hinter den baltischen Staaten, die Moskau als angeblich nicht-demokratisch attackiert hat. Die Vorwürfe des russischen Außenministeriums sind somit nicht nur falsch, sie sollen zudem mutmaßlich von den fehlenden demokratischen und rechtsstaatlichen Standards im eigenen Land ablenken - und sind somit selbst ein Beispiel für Propaganda und aggressive Außenpolitik.

Quelle:[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]

[Nana12]

Das erst was auffällt ist, dass die "Faktenfinder" überhaupt nicht auf die Behauptung eingeht, denn die Behauptung verbirgt sich hinter dem Link. Sie nehmen den Twitter 'Klappentext' als Ziel ihrer Kritik und verlassen sich auf die Faulheit der Leser. Daraufhin versuchen sie vergeblich zu widerlegen indem sie Meinungen statt Fakten zitieren. Aber der Reihe nach:

Was wurde wirklich behauptet?

Behauptet wurde u.a. dass die russischen Minderheiten in diesem Ländern teilweise unterdrückt werden. Das ist auch kein großes Geheimnis, sondern wird von verschiedenen Stellen innerhalb und auch außerhalb der EU kritisiert und angemerkt. Wer sich für Details interessiert kann dies sogar bei Wikipedia nachlesen. Obendrauf kommen noch die ganzen Heldenverehrungen für NS Kriegsverbrecher.

Die eigentliche Frage, die man gut prüfen kann und die auch gestellt wurde lautet: Sind die baltischen Demokratien?

Die Aussage des russischen Außenministeriums ist sicher überzogen, aber eines der wesentlichsten Merkmale einer Demokratie ist der Umgang mit Minderheiten. Dort haben die baltischen Staaten deutliche Defizite. Das sind Fakten. Ob man meiner Meinung nach die baltischen Staaten trotzdem Demokratien nennen kann? Aber sicher doch.

Welche Behauptung wird stattdessen zum Anlass genommen?

Offenbar: Ist die russische Demokratie besser als die der baltischen Staaten?

Diese Aussage sollte gerade unseren Wertmenschen bekannt vorkommen, wird doch immer bei jedem Grünen Politiker der für den Klimaschutz trommelt vorgeworfen Lustreisen zu unternehmen als gebe es kein morgen. Das nannte man, bevor es cool wurde, "tu quoque" und heute "Whataboutism". Auch wenn der Grüne sein Leben fliegend verbringen würde, ändert das nichts an der Richtigkeit für den Klimaschutz zu kämpfen.

Und so ändert sich nichts daran, dass der weiter gefasste Vorwurf Russlands nicht völlig verkehrt ist. Darauf wird aber nur nebulös eingegangen, weil bei der Tagesschau weiß man scheinbar, dass Feinde jede noch so kleine Schwäche nutzen. Und Russland ist unser Feind, nur der Pöbel (wir) muss das nur noch erkennen. Denn am Schluss geht es ja gar nicht mehr um die baltischen Staaten, sondern um "Propaganda und aggressive Außenpolitik" seitens Russlands. Der "Faktenfinder" auf Abwegen.

Das nur zu den methodischen Fehlern.

Kommen wir nun zu den "Fakten".

Der Artikel versucht nun eine Reihe NGOs zu zitieren die in ihren Rankings Russland durchweg unter den baltischen Staaten einordnen. Nun ich will dem nicht grundsätzlich widersprechen. Aber wie so manche Einordnung stattfindet bleibt im Dunkeln. Dennoch sollte man sich das "..." mal genauer anschauen, und man wird sicher das eine oder andere Mal schmunzeln.

So befindet sich das totalitär regierte Eritrea gerade mal fünf Plätze von Russland entfernt in Sachen Demokratie. In Myanmar lebt es sich freiheitlich unter marodierenden Militärs messbar besser. Und auch die Golfdiktaturen halten mehr von Pressefreiheit als Russland. Mein Liebling: In Nordkorea lebt es sich um sagenhafte fünf Plätze sicherer als in Russland. Nordkorea - ein Land, welches sich offiziell seit 70 Jahren im Krieg befindet und dem Begriff "Polizeistaat" spottet, und wo jeder dritte beim Militär dient(e).

Jetzt könnte man an der Stelle behaupten, das passiert wenn man Lebenswirklichkeit in einen Index packen will. Aber die meisten Urheber dieser Rankings stehen auf der Payroll der US Regierung (Bei Freedom House ist sogar das State Department Hauptfinanzier), und sind damit nicht unabhängig. Das äußert sich entsprechend in einem Malus bei verfeindeten Regimen oder in einen Bonus bei befreundeten. Bei Reportern ohne Grenzen gibt es zwar keine unmittelbare Verbindung, nur ist man dort traditionell einseitig tendenziös. Auch hier reicht ein Abschnitt bei Wikipedia und Quellenlesen.

All das ist kein Geheimwissen. Das Meiste kann man mit einer Google Suche finden. Wer hier den Kampagnencharakter nicht erkennen mag, der kann auch gleich KCNA gucken.

[nolte]

nana, du kannst noch so sehr versuchen gegenzuhalten, es wird nicht viel nützen. Denn wer mit Dreck wirft weiß sehr gut, daß davon genug hängen bleibt. Das ist die Geschäftsgrundlage von solchen Einrichtunge wie dem Faktenfinder. Und wie du schon richtig anmerkst, das Publikum ist faul und hat nicht die Zeit zum nachgraben. Außerdem lässt sich Vorgekautes besser verdauen. So traurig es ist, aber wer will schon tonnenweise Text lesen und auch noch drüber nachdenken.