[BLACKY74]

Selbstjustiz in Münster: Eltern prangern vermeintlichen "Kinderschänder" an - und müssen mit Strafen rechnen

Eltern haben in Münster einen Mann zu Unrecht verdächtigt und per WhatsApp Warnungen verschickt. Die Polizei spricht von Selbstjustiz - und prüft strafrechtliche Konsequenzen.


Die Verbreitung von Infos bei Facebook ist eine Veröffentlichung - und kann Konsequenzen haben
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Rieke sucht ihre Katze, Klaus sein Fahrrad und eine verzweifelte Mutter ihre Tochter. Im Vorort wurde der VW-Bus mit der Nummer XYZ beobachtet, dessen Fahrer Rentnern unanständig teure Dienste anbot, und gestern lief dieser Typ mit der auffälligen Narbe an der Nase im Ort herum und sammelte angeblich für das Rote Kreuz: Private Warnungen, Such- und Fahndungsaufrufe sind digitaler Alltag bei Facebook und Co. Im vermeintlich privaten Raum der virtuellen sozialen Blase wird so etwas oft und gern geteilt und weitergegeben. Wer will nicht helfen, unsere gefühlt so gefährliche Welt sicherer zu machen?

Problematisch daran ist, dass solche Aufrufe nicht privat und somit häufig illegal sind. Wenn nach Personen gesucht wird, sind es letztlich Fahndungsaufrufe. So wie Anfang vergangener Woche in Münster: Eltern warnten in einer Schul-WhatsApp-Gruppe mit einem Foto vor einem vermeintlichen "Kinderschänder". Was war geschehen?

Der Mann soll vor einer Schule in einem Münsteraner Vorort Grundschüler angesprochen haben. Die Kinder berichteten ihren Eltern von dem Vorfall, die wiederum zu der Schule eilten und den Mann zur Rede stellten. Dem 30-jährigen Asylbewerber, der sich erst seit kurzer Zeit in Deutschland aufhält, gelang es jedoch nicht, sich zu erklären oder sonst wie verständlich zu machen. Dass der Mann zuvor auch Erwachsene angesprochen hatte und was überhaupt seine Motive waren - all das hielt die Eltern nicht davon ab, den Mann zu fotografieren und ein Bild mit entsprechender Kommentierung ins Internet zu stellen.

"Privatfahndungen" können strafbar sein

"In der WhatsApp-Gruppe der Eltern verbreitete sich sein Bild sehr schnell", sagt Andreas Bode von der Polizei Münster. Und zwar verbunden nicht nur mit der Bezeichnung Kinderschänder, sondern auch mit anderen beleidigenden Äußerungen.

Womit dann gleich mehrere mögliche Straftatbestände vorliegen - und nicht etwa in Hinblick auf den Asylbewerber. Justiziabel war in diesem Fall das Verhalten der Eltern. Andreas Bode: "Wir prüfen, ob hier strafrechtliche Konsequenzen angezeigt sind."

Denn die Weitergabe und diffamierende Kommentierung des Fotos des Mannes sei gleich in mehrfacher Hinsicht potenziell strafbar: Seine Persönlichkeitsrechte wurden verletzt, weil man nicht einfach jemanden fotografieren und öffentlich an den Pranger stellen kann. Für die Verletzung des Rechtes am eigenen Bild könnte der Betroffene auf Unterlassung und Schadensersatz, wegen der Diffamierungen wegen Beleidigung klagen. Und vor allem: Fahndung ist Polizeiaufgabe - private Fahndungsaufrufe sind als Form der Selbstjustiz nicht zulässig.

Der Fall ist nicht ungewöhnlich. Polizeibehörden warnen regelmäßig davor, solche Fotos und Aufrufe zu veröffentlichen, in denen Menschen verdächtigt, beschuldigt, gesucht oder diffamiert werden. Im Extremfall kann es schon strafrechtlich relevant sein, so etwas zu "liken". Die Weitergabe ist es allemal.

Für die Polizei sind solche "Privatfahndungen" in mehrfacher Hinsicht ärgerlich und problematisch. Geht es um echte Straftäter, können sie kontraproduktiv wirken: Sie können Täter warnen und so reguläre Fahndungen behindern. Werden Fotos oder Filme veröffentlicht, können diese unter Umständen vor Gericht nicht mehr als Beweismittel eingesetzt werden - an die Polizei weitergegeben hätten sie dagegen hilfreich sein können.

Und selbst, wenn es um wirklich Schuldige geht, könnten diese wegen der vorverurteilenden "Verdachtsberichterstattung" in sozialen Medien und wegen Verbreitung personenbezogener Daten auf Unterlassung und Schadenersatz klagen. Im deutschen Recht gilt, dass der, der eine Schuld behauptet, auch den Beweis dafür erbringen muss. Bis zu einer Verurteilung gilt überdies jedermann als nicht schuldig.

Fake News aus dem rechten Spektrum

Polizeibehörden und auch professionelle Medien sind sich all dessen bewusst. Sie gehen im Normalfall in der Öffentlichkeit entsprechend vorsichtig mit Fotos, Namen und anderen Identitätsmerkmalen um. Auch die Polizei fahndet mitunter mit der Veröffentlichung von Fotos und Beschreibungen - allerdings nur in besonderen, geprüften Fällen, in denen das angemessen erscheint.

Gerade in sozialen Netzwerken wird gegen diese Grundsätze hingegen täglich verstoßen: Facebook, WhatsApp und Co. sind aber keine rechtsfreien, sondern allenfalls das Recht ignorierende Räume.

Besonders problematisch wird das dann, wenn die Quellenlage unklar ist. Wer weiß wirklich, ob die Behauptungen in einem Posting zutreffen? Im Zweifelsfall weiß man noch nicht einmal, wo es ursprünglich herkam und mit welchen Interessen und Absichten es veröffentlicht wurde. Ein Teil der "privaten Fahndungen" in sozialen Netzen sind seit Jahren aus Propagandagründen in Umlauf gebrachte Fake News - vorzugsweise aus dem rechten Spektrum. Und was passiert, wenn einem auf diese Weise zu Unrecht Beschuldigten Schaden zugefügt wird?

Schnappschuss im Schnee

Für den Polizeibeamten Andreas Bode ist das Ganze eine grundsätzliche Sache: Fahndungen seien Polizeisache und nichts für Privatleute. Bode: "Wir als Polizei müssen uns richterliche Beschlüsse besorgen, bevor wir so etwas in Umlauf bringen, und das aus sehr guten Gründen." Wenn man einen Verdacht gegen jemanden habe, solle man die Polizei rufen, statt selbst Polizei zu spielen: "Wir kümmern uns dann darum".

Das geschah am Ende auch im Fall des Asylbewerbers in Münster. Der wurde noch vor Ort von der Polizei überprüft und gilt den Behörden nicht als verdächtig. Alles, was der Mann im Sinn hatte, war jemanden zu finden, der ein Foto von ihm machen sollte. Er hatte erst erfolglos Erwachsene angesprochen, dann Kinder. Ein Schnappschuss im Schnee, denn den hatte er noch nie gesehen.

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[betaalpha]

Man stelle sich vor, ein Kind hat einen Unfall und als Ersthelfer will man nur helfen. Und dann kommt eine hysterische Mutter und verschlimmbessert die Situation. Mich wundert es nicht, wenn Ersthelfer lieber warten, bis sich eine Ersthelferin anbietet.

[Thorasan]

Bin am Donnerstag mittag vom einkaufen zurück gekommen, als ein Mädel, so ca. 5-7, heulend auf mich zugelaufen kam. Dünne Klamotten an, trotz eisigen Temperaturen, weit und breit niemand anderes.. Und sie heult wie sonstwas. Hab tatsächlich im ersten moment "helfen" wollen, fragen, was los ist.. Und hab es gelassen. Wieso? Weil ich genau davor schiss hatte. Wie sieht das denn aus, wenn ich 1,90m Typ mich zu nem Mädel runter lehne, die Anspreche.. Oder die dann vor mir steht und heult wie sonstwas. Bin aber dann wenigstens intelligent genug gewesen, die Richtung im Blick zu haben, wo sie lang ging und hab bei der Polizei angerufen (nicht den Notruf, normale Nummer des Reviers) und es dort gemeldet... Die haben sich bedankt und gemeint, sie haben jemanden um die Ecke und ne minute später kam mir eine Streife entgegen, der ich nur noch die Richtung zeigte.

Heute traut man sich nichtmal mehr im vermeintlichen Notfall, zu fragen.. Ich finde das sehr erschreckend.

[Melvin van Horne]

Moin,

mir geht das oft so, wenn ich ältere Filme gucke. Dinge , die damals völlig normal waren und von niemandem als anstössig empfunden wurden, wären heute wohl locker für einen Shitstorm gut.

Ich kann mich entsinnen das es absolut üblich war sein Kind im K8inderwagen vor der Kaufhalle zu lassen und einkaufen zu gehen. Das würde einem heute mindestens einen Shitstorm einbringen.



So sah das aus.

[AtPeterG]

Zitat von Melvin van Horne

Ich kann mich entsinnen das es absolut üblich war sein Kind im K8inderwagen vor der Kaufhalle zu lassen und einkaufen zu gehen.

Lt. meiner Mutter war das anders auch gar nicht machbar. 4 Kinder, das hieß, einkaufen und den kleinsten im Kinderwagen mitschleifen. Zugleich noch den Bollerwagen hinterher, denn im Kinderwagen fanden nicht alle Einkäufe platz.

[parlheinz]

Noch mal Topic, denn es ist in meinen Augen eine ganz komische Sache.

Der junge Mann möchte ein Foto. Da könnte er das Handy nehmen und dann schießt er ein Selfie und fertig ist die Sache. Da wäre er dann samt dem Schnee drauf zu sehen und um mehr ging es hier ja nicht, wenn ich das richtig verstanden habe.

Aber dann hätten wir ja diesen wertvollen Artikel des Spiegel nicht, der in eine für mich stark schillernde Geschichte ein paar Botschaften an die werte Leserschaft eingebettet hat. Und darum geht es wohl, die Ermahnung an alle, sich immer besonnen zu verhalten. Bitte Zurückhaltung in den sozialen Medien! Und es ist auch die Androhung der Konsequenzen enthalten, wenn man das aus Sorge um sein Kind nicht auf die Reihe bekommen sollte.

Ich habe da auch eine Geschichte, die ist garantiert aus dem richtigen Leben und sie hat sich nur unweit von dem Ort zugetragen, wo Melvins Foto mit den vielen Kinderwagen entstand:

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[Thorasan]

Du hast was missverstanden. Ein nicht-deutsch-sprechender Asylsuchender hat vor einer Schule (inwieweit das direkt davor geschah weiss ich nicht) Leute angesprochen, u.a. Kinder. Wieso, keine Ahnung, vielleicht um nach dem Weg zu fragen. Eines der Kinder hat das weitergesagt (soweit sinnvoll und richtig). Irgendein Erwachsener hat daraus die Geschichte gedreht, dieser Mann würde die Kinder (und nur die) ansprechen und wäre ein Kinderschänder. Hat ihn dann fotografiert und das Bild viral verbreitet.

[parlheinz]

Vorweg möchte ich mal festhalten, dass man nicht einfach Beschuldigungen erfinden und verbreiten kann, da sind wir uns wohl einig und da ist auch nichts missverstanden.

Wie der Hergang aber im Spiegelartikel geschildert ist, empfinde ich persönlich als realitätsfremd, kann ja von einem anderen Leser als eine durchaus schlüssige Geschichte angesehen werden. Es gibt im Netz davon eine gewisse Verbreitung, aber ich bin bei der vergeblichen Suche nach einer zweiten Quelle immer wieder beim Spiegel gelandet.
Vielleicht fehlt mir auch einfach das Verständnis, wo beim Knipsen eines solchen Fotos das Problem sein soll und warum man da Sprachkenntnisse brauchen soll und weshalb sich deswegen letztlich ein solcher Sachverhalt aufbaut.

Ich denke ganz einfach, dass viele Menschen einem wachsenden Bedrohungsgefühl ausgesetzt sind und dementsprechend sensibel reagieren, wenn es um die Kinder geht erst recht. Warum das so ist und ob das nun gerechtfertigt ist, ist eine andere Sache.

[Thorasan]

Es war eben nicht nur das Knipsen eines Bildes, was ansich schon nicht erlaubt wäre. Sondern dazu kam das verbreiten, die Bezeichnung als Kinderschänder (weil er dort rum stand und Leute etwas fragte) und, zusätzlich, nicht näher genannte Beleidigungen.

[parlheinz]

Zitat aus #1 (letzte Sätze):

Alles, was der Mann im Sinn hatte, war jemanden zu finden, der ein Foto von ihm machen sollte. Er hatte erst erfolglos Erwachsene angesprochen, dann Kinder. Ein Schnappschuss im Schnee, denn den hatte er noch nie gesehen.

Davon habe ich gesprochen. Für mich stellt sich das als der Ausgangspunkt der Geschichte dar.

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[Thorasan]

Oh, sorry- mein Fehler. Hatte ich deinen Beitrag falsch interpretiert.

Nun ja, dann sehe die Erklärung mal so: Da steht ein Typ, hält dir ein Handy vor die Nase, stammelt irgendwas auf einer Sprache, die du nicht verstehst - da würdest du auch erstmal nicht schnallen, was er möchte. Dass es da mehrere Anläufe benötigt, jemanden zu finden, der ein Bild macht, ist dann evtl. etwas klarer.

[Bady23]

Ein Kumpel hat damals auch jeden Facebook Scheiß geteilt und meine Infos das es sich um einen Fake handelt und Strafbar ist haben nicht gefruchtet.
So Typische "Achtung, weißer Transporter an Schulen, Ausländer, Organmafia, Kinderfänger bla bla"

Anschließend nahm ich ein Foto von seinem LKW, schrieb den gleichen Text darüber, stellte die Berechtigung auf FB so ein das nur er und ich diesen Beitrag sahen und klärte ihn über die Konsequenzen auf was passiert wenn ich das auf "Öffentlich" stellen würde.

Er hat nun kapiert wie es im Internet läuft mit den Fake Infos.