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19.10.16, 14:43
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Legende
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Fragwürdige Big-Data-Analyse: Dieses Startup will Mieter ausspionieren
Zitat:
Als ob Schufa-Abfrage, Mieterselbstauskunft und freundliches Benehmen bei der Besichtigung noch nicht genug sind: Das Unternehmen Tenant Assured aus Großbritannien plant, potenzielle Mieter in sozialen Medien zu durchleuchten - mit fragwürdigen Resultaten.
Wer eine Wohnung mieten will, muss bereits heute zahlreiche private Informationen preisgeben. Gerade auf umkämpften Mietmärkten wie in Berlin, Hamburg oder München fordern viele Vermieter Informationen wie die Schufa-Auskunft, detaillierte Angaben zum Einkommen und eine Mieterselbstauskunft oft schon bei der Besichtigung. Ein Startup aus Großbritannien plant, noch deutlich weiter zu gehen und den Vermietern mehr Daten zur Verfügung zu stellen - ob es eine Expansion nach Deutschland plant, ist derzeit unbekannt.
Tenant Assured heißt das Angebot des Unternehmens Score Assured. Künftige Mieter sollen, auf angeblich freiwilliger Basis, ihre verschiedenen Onlinedienste mit Tenant Assured verknüpfen, das Programm erstellt dann eine fortlaufende Analyse und überführt die Werte in einen individuellen Risikowert.
Damit sollen verschiedene Fragen beantwortet werden, unter anderem: Wie zahlungskräftig ist der potenzielle Mieter, wird er oder sie die Miete stets pünktlich zahlen? Wie entwickelt sich die Lebenssituation? Handelt es sich um einen Mietnomaden, der die Wohnung in einem chaotischen Zustand hinterlassen wird?
Nutzer verknüpfen selbst ihre Accounts
Wenn Nutzer sich erstmals bei dem Programm anmelden, können sie entscheiden, welche Onlineaccounts sie verbinden - Twitter, Instagram, Facebook und LinkedIn stehen nach Angaben der FAQ des Unternehmens derzeit zur Verfügung. Diese Accounts werden dann nach relevanten Informationen durchsucht, die ein Lagebild ermöglichen sollen. Dazu gehört beispielsweise, dass ein Nutzer das Wort "Kredit" postet, aber auch sogenannte "Lebensereignisse" wie Schwangerschaft oder Hochzeit.
Tenant Assured wirbt damit, dass sich Vermieter mit Hilfe des Programms nicht nur ein Bild über den "Ist-Zustand" machen, sondern auch zukünftige Entwicklungen berücksichtigen können. Ob ein Vermieter am Ende aber wirklich einem ansonsten unauffälligen Mieter kündigen wird, wenn sich der Risikowert bei Tenant Assured erhöht, ist unklar.
Die Washington-Post-Journalistin Caitlin Dewey konnte Tenant Assured bereits testen - und schreibt, dass das Programm "Hochzeit" als Lebensereignis festgehalten habe, nachdem sie über die Hochzeit einer Freundin getwittert habe. Auch die bloße Erwähnung des Wortes "Schwangerschaft" wird als Lebensereignis festgehalten. Die Qualität der Algorithmen darf also bezweifelt werden, wenn völlig zufällige Ereignisse ohne relevanten Bezug zum individuellen Leben der Kunden in dieser Form dokumentiert werden.
Auch wir wollten uns gern selbst ein Bild von dem Programm machen - doch die Firma reagiert leider nicht auf unsere Anfragen. Auch ansonsten scheint das Unternehmen derzeit auf Tauchstation zu sein - auf der Webseite steht nur noch "Coming Soon", nachdem das Produkt zwischenzeitlich schon vermarktet wurde.
'Wer ein normales Leben führt, hat nichts zu befürchten'
Ein Programm wie Tenant Assured weckt natürlich Ängste. Der Gründer des Unternehmens, Steve Thornhill, sagte der Washington Post: "Wenn Sie ein normales Leben führen, haben Sie nichts zu befürchten." Diese Aussage, die vermutlich beruhigend klingen soll, dürfte bei vielen Menschen aber erst recht Sorgen vor einem entsprechenden Programm wecken - denn was ist schon ein "normales Leben"?
Fällt jeder Mensch, der regelmäßig nachts Bilder von einer Party postet, durchs Raster? Sinkt der Score-Wert, wenn das Wort "Kredit" in Posts vorkommt, selbst wenn das mit der finanziellen Situation der Nutzer gar nichts zu tun hat? Denkbar wäre etwa, dass ein am Wirtschaftsgeschehen interessierter Mensch darüber schreibt, dass ein Unternehmen einen Konkurrenten übernommen hat und die Übernahme per Kredit finanziert.
Solche Ängste scheinen nicht unbegründet, wenn man sich den von Caitlin Dewey auf Basis ihrer eigenen Accounts erstellten Report anschaut. Im Dashboard gibt es ein detailliertes Bild über die Aktivitätszeiten der Nutzer, aber auch Angaben zu möglicherweise relevanten Informationen zum Thema "Kriminalität". Dort tauchen dann in sozialen Netzwerken gepostete Begriffe wie "Erpressung", "Mord", "im Gefängnis" und "Justiz" auf. Wer regelmäßig über Gewalttaten und Straftaten twittert, wird also selbst zum Kriminellen?
Wer zu Hause bleibt, hat finanzielle Sorgen
Auch in der Abteilung "finanzielle Sorgen" gibt es zahlreiche Einträge. Wenn eine Person abends schreibt, dass sie heute zu Hause bleibt und nicht ausgeht ("staying in"), dann wird das von Tenant Assured bereits als Anzeichen für finanzielle Probleme gewertet. Auch wenn man gerade mal kein Geld dabeihat und dazu bei Facebook postet, wird das erfasst.
Wer viel online einkauft, soll ebenfalls abgewertet werden. Das Unternehmen schreibt dazu, dass "Logins beim Online-Einzelhandel und Socialmedialogins für Freizeitaktivitäten" den Score-Wert negativ beeinflussen können.
Tenant Assured versucht sich anhand der Daten der Nutzer auch an einer Analyse der Persönlichkeit. Dabei werden Werte für Merkmale wie "Offenheit" und "Extrovertiertheit" erhoben, außerdem soll ein Wert darüber Auskunft geben, wie neurotisch ein Nutzer ist.
Ebenfalls ausgewertet werden die persönlichen Kontakte der Nutzer. Hier ist davon auszugehen, dass der vom Programm angenommene soziale Status des Freundeskreises in die eigene Wertung miteinfließt.
Unproblematisch, weil freiwillig?
Tenant Assured rechtfertigt die Invasion in die Privatsphäre der Nutzer damit, dass der Dienst freiwillig sei und die Nutzer der Datenerhebung individuell zustimmen müssen. Doch gerade in attraktiven Wohnmärkten könnte diese Freiwilligkeit schnell gekippt werden, wenn eine besonders attraktive Wohnung vermietet wird und der Besitzer Wohnungen dann "bevorzugt" an die Personen vermietet, die bereit sind, an einem solchen Programm teilzunehmen.
Das Unternehmen Tenant Assured hingegen sieht die Vorteile nicht allein bei den Vermietern. Unternehmenschef Thornhill ist nach Angaben der Washington Post davon überzeugt, dass Nutzer mit seinem Programm ein sehr viel detailliertes, realistischeres Bild über sich selbst vermitteln können, als dies mit normalen Background-Checks und klassischen Score-Werten möglich wäre.
Erlaubte Datenabfrage wird schon heute oft überschritten
Schon heute fragen Vermieter und Makler immer wieder mehr Informationen ab, als sie eigentlich dürfen. So fordern viele Vermieter, dass potenzielle Mieter ihre vollständigen Unterlagen bereits zu einem Besichtigungstermin mitbringen - quasi als Eintrittskarte. Das ist jedoch nicht legal, erst wenn eine Person konkretes Interesse an der Anmietung zeigt, darf der Vermieter eine Auskunft bei der Schufa oder einer anderen Auskunftei anfordern.
Immer wieder wird von Vermietern auch gefordert, dass eine "Schufa-Auskunft mit Angabe des Score-Wertes" vorgelegt wird. Das Problem: Eine solche Auskunft können Verbraucher selbst gar nicht einholen, weil der detaillierte Bogen zur persönlichen Verwendung neben dem Score-Wert auch Informationen über Konten und Kredite enthält, die ein Vermieter nicht einsehen darf, wie uns die Berliner Beauftragte für den Datenschutz auf Anfrage mitteilte. Vermieter können eine entsprechende Anfrage aber selbst direkt bei der Schufa stellen.
Immer wieder wecken Social-Media-Daten Begehrlichkeiten
Score Assured ist nicht das einzige Unternehmen, das Daten aus sozialen Netzwerken auswerten will. Die Schufa hatte vor einigen Jahren im Rahmen eines gemeinsam mit dem Potsdamer Hasso-Plattner-Institut durchgeführten experimentellen Programms angekündigt, künftig auch Daten aus sozialen Netzwerken zu nutzen, um den Kreditscore einzelner Menschen zu berechnen. Nach massiven Protesten wurde das Projekt aber eingestellt, bevor es durchgeführt wurde.
Andere Dienste wie Klout setzen ebenfalls darauf, dass Nutzer möglichst viele Accounts verbinden und berechnen den sogenannten Kloutscore - einen Wert, der den Status innerhalb sozialer Netzwerke angeben soll. In den USA ist das System deutlich weiter verbreitet als in Deutschland und wird dort unter anderem auch von Arbeitgebern genutzt, die vorab wissen wollen, ob künftige Angestellte in den Netzen einflussreich sind oder nicht. Auch einige Bonusprogramme setzen auf Klout, so gewähren einige Fluggesellschaften Nutzern mit einem hohen Wert (meist über 60) kostenfreien Zugang zu ihren Lounges, weil sie sich erhoffen, dass Nutzer positive Erlebnisse dort teilen und so einen Werbeeffekt erzielen.
Für Score Assured soll der Mietmarkt nur der erste Schritt sein - künftig will das Unternehmen entsprechende Auswertungen auch an Unternehmen verkaufen, damit diese Kandidaten im Bewerbungsprozess "genauer kennenlernen" können. Welche Informationen das Unternehmen zu diesem Zweck auswerten will, ist derzeit noch nicht bekannt. Auf Basis der bisherigen Ergebnisse des Unternehmens kann aber bezweifelt werden, ob die Informationen tatsächlich relevante Rückschlüsse auf den Bewerber zulassen.
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