Willkommen |
|
myGully |
|
Links |
|
Forum |
|
|
|
 |
16.06.13, 11:29
|
#1
|
Legende
Registriert seit: Aug 2011
Ort: in der Wildnis
Beiträge: 15.518
Bedankt: 34.774
|
Deutschland - Vom neuen Tugend-Terror
Zitat:
Tugendterror Deutsche Sitten
Tempolimit? Fast-Food-Steuer? Vom neuen Tugendterror werden die Freiheitsliebenden mit wachsendem Grauen erfasst.
Ein deutsches Opernhaus beschließt, eine [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] zu nehmen, weil sich nach der Premiere einige Zuschauer in ärztliche Betreuung ("traumatisiert") begeben mussten. Ein führender SPD-Politiker denkt laut darüber nach, auf deutschen Autobahnen [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] einzuführen. Die Grünen legen in ihrem [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] fest, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nicht länger für Fast Food gelten soll und Wildtiere nicht in den Zirkus gehören.
Nein, es ist nicht schön, wenn die letzten Kulturbürger, die es in diesem Land noch gibt, im Opernhaus einen Nervenzusammenbruch erleiden, weil ihnen der Regisseur Unsägliches zumutet. Ohne Zweifel ließen sich [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] und wäre das Klima auf deutschen Autobahnen insgesamt ein freundlicheres, wenn keiner mehr mit 200 Stundenkilometern angeschossen käme. Und vermutlich enthält auch die Hüttenkäse-Sprossen-Dinkel-Stulle mehr verdauungsfreundliche Ballaststoffe als der Cheeseburger.
Für alle der angeführten Entscheidungen und Vorhaben aus den letzten Wochen und Monaten lassen sich vernünftige Gründe nennen, und ich bin die Letzte, die sich nicht freut, wenn Menschen sich von der Vernunft leiten lassen. Was gibt es Humaneres, als sowohl mit sich selbst als auch mit allen anderen Geschöpfen behutsam umzugehen? Dennoch fasst mich ein wachsendes Grauen, wenn ich mir anschaue, in welchem Tempo wir dabei sind, uns immer neue Gitterstäbe um unsere Existenz zu bauen. Die Wohlmeinenden, die uns in diesen Tagen einem Vernunftregime unterwerfen, dass man denken könnte, Immanuel Kant sei im Gewand des Real-Robespierre auf Erden zurückgekehrt, werden dieses Bild natürlich strikt zurückweisen. Bereits das Wort "Gitterstäbe" dürfte ihnen anstößig erscheinen. In Zeiten, in denen alles barrierefrei zu sein hat, niemand ausgegrenzt, dafür jeder "abgeholt" werden soll, wäre es opportuner, von "Impulsen zur freiwilligen Selbstkontrolle" zu sprechen. Der aktuelle Tugendterror vermeidet die klirrenden Töne. Er kommt auf Samtpfoten daher. Das macht ihn umso unheimlicher.
Bereits vor fünf Jahren, als die EU daranging, den blauen Dunst aus dem öffentlich-geschlossenen Raum und die gute alte Glühbirne aus jeglichem Raum zu verbannen, während der Körner kauende, Nordic walkende, sich stets korrekt ausdrückende Abstinenzler begann, zum Idealbild des europäischen Bürgers aufzusteigen, befiel mich die Furcht, auf meine mittelalten Tage nun doch noch in jenem Kindergarten zu landen, den meine Eltern mir in jungen Jahren erspart hatten. Denn das ist die Dialektik der Aufklärung, wie wir sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts erleben: Einerseits soll die Vernunft in allen Lebensbereichen durchgesetzt werden, andererseits trauen mir die Hüter des kategorischen Imperativs immer weniger zu, dass ich selbst über die Urteilskraft verfüge, die Grenzen zu ziehen, innerhalb derer ich mich gemäß dieses Imperativs verhalte und außerhalb derer ich meinen Launen freien Lauf lassen darf. Was Kant sich nicht hätte träumen lassen: Die allgemeine Rationalisierung befördert die allgemeine Entmündigung, sprich Infantilisierung.
Die Welt ist voller Tücken und Kanten, an denen ich mich stoßen kann. Schaffen wir eine bessere Welt, indem wir versuchen, alle, wirklich alle Tücken und Kanten abzuschleifen oder zumindest mit Schaumstoff zu polstern? Oder sind wir vielmehr dabei, unsere Welt in eine gewaltige Hüpfburg zu verwandeln, die zudem nur betreten darf, wer bereit ist, alle spitzen Gegenstände ab- und einen Kopfschutz anzulegen?
Von Anbeginn bestand der Prozess der Zivilisation darin, nicht bloß die raue, feindliche, äußere Natur zu domestizieren, sondern ebenso die innere. Und schon immer war jeder Zugewinn an sozialer, gesellschaftlicher Sicherheit, den die inneren Domestizierungen mit sich brachten, ein Verlust an Freiheit. Die Menschheitskunst besteht darin, Sicherheit und Freiheit in eine – ja: vernünftige Balance zu bringen.
Menschen können zerbrechen, weil sie mit ihrem eigenen Leben Vabanque spielen oder weil sie von anderen beleidigt, ausgestoßen, gedemütigt werden. Menschen können auch lebendigen Leibes erstarren, weil ihnen von allen Seiten eingeimpft wird, sich selbst und den Rest der Welt wie rohe Eier zu behandeln. Wenn Rücksichtnahme jedoch zum totalitären Konzept erhoben wird, das jede Lebensregung kontrollieren soll, geht es nicht nur der Waghalsigkeit, sondern mit ihr der Vitalität, Spontaneität, Kreativität an den Kragen.
Mündigkeit heißt, einschätzen zu können, was ich mir selbst und meiner Umwelt zumuten darf. Leben heißt, mich von Verletzungen nicht niederstrecken zu lassen. Wie soll ich beides erlernen, wenn unsere Gesellschaft zur allgegenwärtigen Gouvernante wird, die fein darauf achtgibt, dass keiner ihrer Schutzbefohlenen über die Stränge schlägt? Man kann sein Leben zu Tode verschwenden, andere zu Tode schinden. Wir sind dabei, uns zu Tode zu schonen.
|
Quelle: [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
|
|
|
16.06.13, 11:34
|
#2
|
Legende
Registriert seit: Aug 2011
Ort: in der Wildnis
Beiträge: 15.518
Bedankt: 34.774
|
"Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten voller Zweifel"
Bertrand Russel
|
|
|
16.06.13, 16:47
|
#3
|
Banned
Registriert seit: Oct 2008
Ort: Vatikan_Bordell
Beiträge: 180
Bedankt: 260
|
Das Problem die Masse an den deutschen Bürgern lassen völlig entmündigen und entmachten. Die rot-grünen Weltverbesserer versuchen mit mehr Verboten, mehr politischer Korrektheit und Pseudomoral Stimmen zu gewinnen. Der deutsche Mann verkörpert das Böse per se, sowie die Kirche insgesamt und irgendwie alles was mit Tradition zuhat, dazu im Gegensatz die Frauen sind alle gut, andere Religionen müssen überall gefördert werden (irgendwelche Karikaturen über Allah sind Provokationen, Jesus-, Gott-, Papst-, Kirchenkarikaturen sind Kunstfreiheit, das ist was anderes). Ich bin weder links- noch rechts, aber wenn es so weitergeht haben wir eine Gedankenpolizei wie sie sich keiner wünschen mag. Die Leute wollen nicht alle GLEICH sein und nicht alle in eine gleiche Uniform gesteckt werden. Im Moment scheint es den Leuten ja noch gut genug zugehen, bevor sie was anderes wählen!
|
|
|
16.06.13, 17:51
|
#4
|
Chuck Norris
Registriert seit: Sep 2009
Beiträge: 3.738
Bedankt: 5.859
|
Der deutsche Bürger hat sich vor geraumer Zeit längst selbst entmündigt. Schätzungsweise die Hälfte in diesem Land könnte nicht mal erklären wo der Unterschied zwischen Bundestag und Bundesrat liegt. Rülpsen in der Kneipe im Bierdunst was von Volksentscheiden und sind dann zu faul ihren Fettarsch an die Wahlurne zu schwingen wenn es um ihre [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] geht.
Das sind dann aber leicht nachvollziehbare Alttäglichkeiten, die jeder aus dem Privatleben kennt. Von Abstrakten Entscheidungen in der Politik wollen wir mal gar nicht reden. Auf diese Menschen passt der Begriff "Stimmvieh" einfach wunderbar, weil man sie einfach durch Kampagnen lenken kann. Das wird ja auch hier demonstriert.
Mal zum Ideal des mündigen Bürgers: Der mündige Bürger setzt lediglich den Kopf vor den Bauch ein. Sicher will dieser letzteren nicht bevormunden lassen im Alttag, aber bei Ersterem wird er es schon lange, weil seine Mitbürger schlichtweg zu faul/dumm sind sich bei wesentlichen Entscheidungen mit einzubringen. Das Beispiel mit dem Cheseburger passt wunderbar. Wenn ich dem Vieh das Futter wegnehme, versteht es das. Lange vorher habe ich es aber eingesperrt und seine Existenz verplant. Davon weiß das Vieh nichts, will aber nun mit entscheiden in Anbetracht des Futterdiebstahls.
Die Freiheiten sind auch plakativ formuliert. Natürlich wollen an anderer Stelle sehr wohl bestimmen wie das Leben der Anderen auszusehen hat. Die Güllefässer zum Thema Homoehe haben das wieder deutlich gemacht - und das hat ein wenig mehr Tragweite als Nichtraucherschutz oder Tempolimit. Und hier merkt man, dass es nicht direkt um Freiheit geht, sondern um eine Lebensweise die wir nicht ablegen wollen. Was ist denn das für eine Freiheit so zu leben wie alle anderen? In den meisten Diktaturen kann man so leben!
Diese Entwicklung ist auch nicht abgeschlossen. Wir entfernen uns immer weiter vom mündigen Bürger hin zum Bürger der nur mit dem Bauch denkt. Nicht umsonst hat sich der Begriff Postdemokratie etabliert, in der Demokratie als vorbestimmter Ablauf stattfindet. Selbst wenn jetzt andere Parteien auftauchen, so wird das so ablaufen, dass es vielleicht einen Wechsel in der Regierung gibt, aber nicht in der Politik.
|
|
|
16.06.13, 21:51
|
#5
|
Banned
Registriert seit: Oct 2008
Ort: Vatikan_Bordell
Beiträge: 180
Bedankt: 260
|
Guter Artikel von dir Nana:
Es ist wirklich so. Und das Problem ist auch das mit irgendwelchen Maßnahmen richtige Probleme aufgeschoben werden. Ich habe kein Problem wenn Männer und Frauen das Gleiche verdienen. Ich habe eher damit ein Problem, daß die deutsche Sprache "entmannt" wird im Dienste des 'feministischen Fortschrittes', wie an der Uni Leipzig das alle Professoren nur noch Professorin heißen. Es ändert aber dadurch nichts an der Tatsache von Unterschiede von Gehältern zwischen Männern und Frauen.
Mag sein, daß ich die rot-grünen Feministen-Gutmenschen alle über einen Kamm schere, aber man kann es irgendwann nicht mehr hören.
Es wird protestiert für den ewigen Weltfrieden blabla usw. wenn es aber zur Sache geht, werden selbst die grünsten unter den Grünen zu Kriegstreibern. Wer mir nicht glaubt, soll sich die Doku 'Es begann mit einer Lüge' (WDR) zum Thema Kosovo anschauen. Dann sind plötzlich alle Ideale aufgehoben und es darf ohne Probleme geb0mmbt werden!
[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
|
|
|
17.06.13, 08:51
|
#6
|
Legende
Registriert seit: Aug 2011
Ort: in der Wildnis
Beiträge: 15.518
Bedankt: 34.774
|
Zitat:
Zitat von Nana12
Diese Entwicklung ist auch nicht abgeschlossen. Wir entfernen uns immer weiter vom mündigen Bürger hin zum Bürger der nur mit dem Bauch denkt. Nicht umsonst hat sich der Begriff Postdemokratie etabliert, in der Demokratie als vorbestimmter Ablauf stattfindet. Selbst wenn jetzt andere Parteien auftauchen, so wird das so ablaufen, dass es vielleicht einen Wechsel in der Regierung gibt, aber nicht in der Politik.
|
Und die Jungen wachsen damit auf. Irgendwann gibt es dann keinen mehr der weiß, wie es anders laufen könnte.
|
|
|
17.06.13, 14:44
|
#7
|
Chuck Norris
Registriert seit: Sep 2009
Beiträge: 3.738
Bedankt: 5.859
|
Zitat:
Zitat von TinyTimm
Und die Jungen wachsen damit auf.
|
Wieso "damit"? Die wachsen mit uns auf und mit unseren Werten und mit unseren Vorstellungen!
Kleines Beispiel gefällig wie kaputt man selbst schon ist? Schon im Threadtitel werden Leute die sich für diesen bekloppten Nichtraucherschutz einsetzen, mit Leuten gleichgesetzt die sich in Bagdad auf dem Marktplatz in die Luft sprengen. Wie geht man mit solchen Terroristen um, wenn sie die Tat begehen wollen? Die Antwort dürfte wohl klar sein. Und genauso wird die Atmosphäre aufgeladen: Das wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen sollen. Und dann hat der brainfuck Freigang: Dann wird die Freiheit in Unfreiheit umgedichtet. Die Homoehe habe ich als Beispiel schon genannt. Die Homosexuellen sollen sich gefälligst nach anderen richten, während man geflissentlich darüber hinwegsieht, dass der Nachbar seine Frau regelmäßig zusammenschlägt. Wir wollen nicht unsere Freiheit, sondern die Unfreiheit der anderen. Wenn es dann aber ans eigene Leder geht, ist das Gekreische groß. Selbst wenn man es durch einen einfachen Wahlgang verhindern kann, wie Bayern eindrucksvoll demonstriert hat.
Mir geht es hier um die Kritik an dem Souverän. Wir schieben das Problem immer auf andere und wundern uns wenn wir in einem Land aufwachen, das niemand so gewollt hat. Die genannten Beispiele sind doch ein Kindergeburtstag, aber die Fokussierung auf diese, zeigt wo der Horizont endet. Wenn ich dann solche Monster wie PRISM sehe, dann reden wir über ganz andere Maßstäbe. Und das ist auch nur eine Zwischenstufe. Erst wenn dann jemand vor der Tür steht, wie im Fall [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] fängt man an zu begreifen wohin die Reise geht. Und vielleicht finden wir auch bald solche Fälle nicht mehr in den Medien, die uns zeigen was heute schon möglich ist.
|
|
|
17.06.13, 13:07
|
#8
|
Banned
Registriert seit: Jan 2011
Beiträge: 690
Bedankt: 915
|
vielleicht kommt aber doch noch eine gegenbewegung zustande. ich hab ja schon vorher dazu einen thread erstellt: [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] wo einer sogar eine plattform dafür gegründet hat.
da der artikel von der dorn ja sehr ähnlich klingt, ohne dass sie sich dabei auf pfaller beziehen würde, nehme ich an, dass das thema in der luft liegt und allerhöchste zeit wäre es, wenn wir noch verhindern wollen, dass die walze der gleichmacherei unter allen möglichen edlen vorwänden alles plattgedrückt hat.
|
|
|
17.06.13, 14:10
|
#9
|
Erfahrenes Mitglied
Registriert seit: Sep 2011
Ort: =)
Beiträge: 669
Bedankt: 607
|
Mal eine Frage, wie soll man sowas als Otto Normalverbraucher verhindern?
Wie hätte ich z.b. Gastronomen davor bewahren können, sich vorschreiben zu lassen, wie sie ihren Laden zu führen haben, also wegen des Rauchverbots?
|
|
|
17.06.13, 14:18
|
#10
|
Banned
Registriert seit: Jan 2011
Beiträge: 690
Bedankt: 915
|
dark - die rettung besteht nie darin, anderen was zu verbieten, sondern es selber anders zu machen!
zu widersprechen, wenn andere sich aufs hohe ross der politischen korrektheit setzen und mit der nazikeule um sich schwingen, obwohl sie mit jedem ton verraten, dass sie faschismus nicht definieren könnten und selber keinerlei anzeichen von toleranz zeigen.
die luftblasen aufstechen und das geistige vakuum zerstören, das uns langsam die luft abschnürt, ist ja leider ein umfangreiches betätigungsfeld geworden.
|
|
|
17.06.13, 15:05
|
#11
|
Banned
Registriert seit: Jan 2011
Beiträge: 690
Bedankt: 915
|
es scheint aber mittlerweile bis in die schulen vorgedrungen zu sein, wie ich diesem schönen artikel entnommen habe:
[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Zitat:
Schule als Zulieferer der Verblödungsindustrie?
Kommentar der anderen | Karin Fleischanderl, 14. Juni 2013, 19:23
Oder: James Bond Saves the World And Gets the Girl. Zur Boulevardisierung des Wissens am Beispiel der fortschreitenden Anpassung des AHS-Sprachunterrichts an die neue Medienwelt. - Sprechen um des Sprechens, Hören um des Hörens willen?
Niemand muss heutzutage noch wissen, was ein Konsekutivsatz ist, verkündete der Philosoph Richard David Precht neulich im Radio (Frühstück bei mir) eine Botschaft, die voll im Trend aktueller bildungspolitischer Tendenzen liegt. Tatsächlich sind die allgemeinbildenden höheren Schulen auf bestem Wege, die Inhalte der klassischen Bildung - für die der "Konsekutivsatz" steht - derart zu reduzieren, dass sich allmählich die Frage stellt, warum man seinen Kindern nach wie vor lange und teure Schulkarrieren finanzieren sollte. Die Skills, auf deren Vermittlung sich Schulen zunehmend beschränken, könnten sie sich doch genauso effektiv und vor allem billiger aneignen, wenn man ihnen erlaubte, das zu tun, was sie ohnehin am liebsten tun: ausgiebig fernsehen und Internet surfen.
Voll im Trend liegt der von der Zentralmatura sanktionierte und geforderte Fremdsprachenunterricht, der ganz im Zeichen von Sprech-, Hör- und Lesekompetenz anstelle der Reproduktion von angeblich leerem Wissen steht.
Englischbuch mit Royals
Wie zum Beweis, dass die Medien die besseren Lehrmeister sind, begeben sich die allgemeinbildenden höheren Schulen in der Wahl ihrer Unterrichtsmittel mittlerweile auf das Niveau des Boulevards: Ein in der Unterstufe verwendetes Englischbuch etwa stellt ein Ranking der "most famous people" auf: Sigmund Freud, John Lennon und Roald Dahl, gleich hinter den beiden monegassischen Prinzessinnen Caroline und Stephanie. Letzteren widmet das Englischbuch eine ganze Seite, nicht etwa den kulturellen Leistungen der Erstgenannten; man erfährt, dass Prinzessin Caroline drei gescheiterte Ehen hinter sich hat, Prinzessin Stephanie hingegen eine Vorliebe für Zirkusakrobaten, Bodyguards und Fischhändler hat und die Väter ihrer drei Kinder bei Vertretern dieser Berufsgruppen gesucht und auch gefunden hat.
Literatur ist aus dem Englischbuch radikal verbannt. Als einzigen englischsprachigen Roman stellt es Ian Flemings The Man with the Golden Gun vor. Anhand von Multiple-Choice-Fragen haben die Schüler Gelegenheit zu beweisen, dass sie den reproduzierten Textausschnitt auf oberflächlichste Weise verstanden haben: Scaramanga ist ein Auftragskiller und kein Pokerspieler oder gar Terrorist, James Bond saves the world and gets the girl. Indem sie das richtige Kästchen ankreuzen, beweisen sie, dass sie imstande sind, Vokabeln wiederzuerkennen; Fragen, warum James Bond überhaupt gegen die Sowjets oder den KGB kämpft, beziehungsweise wer die Sowjets oder der KGB sind oder waren, bleiben unbeantwortet.
Klischees und Vorurteile bleiben übrig
Spoiler Trivialisierung und Verblödung sind nicht explizites Ziel des gängigen Fremdsprachenunterrichts, gehen jedoch unweigerlich damit einher. Komplexe Themen werden derart reduziert, dass nur ein Haufen Klischees und Vorurteile übrig bleibt. Aber sein Ziel besteht ja auch nicht darin, Anleitung zum differenzierten Denken zu geben, sondern Sprechkompetenz durch das Nachbeten von "word patterns" zu erzeugen, von Schablonen, die in ihrer gedanklichen Einfalt kaum zu überbieten sind: Warum werden Jugendliche drogensüchtig? Weil sich ihre Eltern in ihrer Kindheit scheiden ließen. Wie heilt man Drogensucht? Indem man die betroffenen Jugendlichen acht Wochen lang in ein "boot camp" in der Wüste steckt.
Auch in Zeiten, in denen der Fremdsprachenunterricht nicht völlig im Zeichen von Hör- und Sprechkompetenz stand, war man gezwungen, komplexe Inhalte auf die kognitive und sprachliche Kompetenz von Kindern und Jugendlichen zu reduzieren, allerdings wurde dabei mehr Rücksicht auf die Sache genommen. Texte wurden zwar in vereinfachter Form, doch immerhin unter dem Aspekt präsentiert, dass sie als Text interessant waren, einen wissenswerten Sachverhalt vermittelten. Es wurde über Roald Dahl oder John Lennon gesprochen und nicht darüber, dass sie famous waren.
Die Shakespeare-Version für Kinder und Jugendliche und der altmodische Fremdsprachenunterricht suggerierten somit, dass es ein Ziel gäbe, für das es sich lohnte, die Mühsal des Fremdsprachenunterrichts auf sich zu nehmen, sie suggerierten, dass sich gewisse Inhalte besser erschließen lassen, wenn man im Besitz einer Fremdsprache ist. Die gängige Unterrichtspraxis hingegen legt nahe, dass die auf die Ebene des Medientalks heruntergekommene Welt universal und unentrinnbar ist, egal in welcher Sprache man sich ihr nähert. Sie vermittelt, dass die Inhalte beliebig und austauschbar sind und dass das einzig erreichbare Ziel darin besteht, den Schwierigkeitsgrad der Übungstexte hinaufzuschrauben.
Kultur und Sprache werden degradiert
Die Reduktion sämtlicher Inhalte auf reines Lern- und Spielmaterial hat etwas Pornografisches. Kultur und Sprache werden degradiert, ihres Eigenwerts beraubt, sind nur noch Mittel zum Zweck. (Doch zu welchem eigentlich? Dass man redet, ohne zu wissen, wovon?) Kommunikationsfähigkeit wird zum Fetisch: Sprechen um des Sprechens, Hören und des Hörens willen.
Überhaupt stellt sich die Frage, warum Sprechen und Hören derart überbewertet werden. Sprache ist ein weites Feld, und Sprachkompetenz besteht nicht zuletzt auch in grammatikalischen und landeskundlichen Kenntnissen, die mittlerweile als "leeres Wissen" verunglimpft werden. Ohne Kenntnisse sind auch "skills" nicht zu erwerben, im Idealfall gehen sie eine glückliche Verbindung ein; andererseits gibt es zum Beispiel Übersetzer, sehr gute Übersetzer, die in ihrer Fremdsprache kaum zu kommunizieren vermögen und dennoch imstande sind, komplexe Texte ins Deutsche oder in die jeweilige Fremdsprache zu übertragen. Sollte man ihnen nachsagen, sie besäßen nicht einmal Maturaniveau?
Falsche Anbiederung
Mit der Überbewertung des Sprechens und Hörens begibt sich der Sprachunterricht an der AHS in einen Wettbewerb mit TV und Internet, den er notwendigerweise verlieren muss. Schule sollte sich mehr denn je auf das besinnen, was nur sie oder vorwiegend sie zu leisten imstande ist, nämlich Grundlagen zu vermitteln und Korrektive zur Medienwelt anzubieten, anstatt diese devot nachzuahmen.
Die AHS hingegen macht genau das und damit einen weiteren Schritt zu ihrer Selbstabschaffung. Zu befürchten ist, dass die scheindemokratische Maßnahme der Entrümpelung humanistischen Bildungsguts zu einer massiven Entdemokratisierung führen wird. Für all jene, darunter viele Frauen, die sich nicht berufen fühlen, sich mathematische "skills" anzueignen, die es ihnen ermöglichten, später einmal gut bezahlte, angesehene Berufe zu ergreifen, bleibt nur der wertlose Schrotthaufen der auf Film- und Fernsehniveau heruntergekommenen Kultur: Alle Staffeln der Desperate Housewives im Original zum Erwerb der von der Englischmatura geforderten Hörkompetenz, ein paar Literaturverfilmungen zur Vorbereitung der Deutschmatura nach dem Vorbild des Musikunterrichts, der Das Leben des Bryan seit Jahren zum einzigen Standard erhoben hat.
Dazu noch ein paar Bestseller �* la Wüstenblume und Schlafes Bruder zum Nachweis der Lesekompetenz. Ein paar Kostümschinken für die Geschichtsmatura. Vielleicht wird man in Zukunft auch einen Bachelor erwerben können, wenn man nachweist, drei Jahre lang konsequent einen sogenannten Kultursender eingeschaltet gehabt zu haben. (Karin Fleischanderl, DER STANDARD, 15.6.2013)
Karin Fleischanderl, geb. 1960, Übersetzerin und Publizistin, lebt in Wien. Zuletzt erschien von ihr die Essay-Sammlung "Verspieltes Italien" (Verlag Sonderzahl 2012).
|
und ich muss sagen, wenn ich mittlerweile jungen akademikern zuhöre, packt mich das blanke grauen. demnach müsste die verblödungsmaschinerie schon viel früher in gang gesetzt worden sein.
nur mehr schnittiges denken, das sich sehr geschmeidig in all den zensuren zurechtfindet und statt erkenntnis auf profit schielt. dieser maxime unterwerfen sich auch immer mehr universitäten.
dass wissen freiräume braucht, entdeckungen nur unter dem prinzip des spielerischen, unvoreingenommenen herangehens möglich sind, das wird bald zum vergessenen wissen einer untergegangenen kultur gehören. genau wie die menschen, die noch fähig sind, proust'sche sätze zu lesen oder konzentriert für ein paar stunden zuzuhören.
|
|
|
Forumregeln
|
Du kannst keine neue Themen eröffnen
Du kannst keine Antworten verfassen
Du kannst keine Anhänge posten
Du kannst nicht deine Beiträge editieren
HTML-Code ist Aus.
|
|
|
Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 13:19 Uhr.
().
|