Top-Ökonomen wollen Bürger zu Euro-Protest aufrufen
Zitat:
Kritik an EU-Gipfel Top-Ökonomen wollen Bürger zu Euro-Protest aufrufen
05.07.2012
Deutsche Ökonomen um den Ifo-Chef Hans-Werner Sinn rebellieren gegen die Euro-Retter. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE planen sie einen Appell an Kanzlerin und Bürger gegen die Bankenunion, die beim EU-Gipfel vorangetrieben wurde. Unter dem Vorhaben würden noch "unsere Kinder und Enkel leiden".
Hamburg - Die Euro-Rettung schadet Deutschland - diese These vertritt Hans-Werner Sinn schon länger. Nun aber forciert er seinen Widerstand. Zusammen mit anderen Wirtschaftswissenschaftlern plant der Ökonom einen öffentlichen Aufruf gegen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels. Diese seien falsch, heißt es in einem Entwurf, der SPIEGEL ONLINE vorliegt. Weiter heißt es darin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei auf dem Brüsseler Gipfel am vergangenen Donnerstag und Freitag zur Zustimmung zu den Beschlüssen "gezwungen" worden.
Sinn ist Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo. Immer wieder warnt er, dass die Bundesbank auf Forderungen von 500 Milliarden Euro an andere Notenbanken sitzenbleiben könnte, falls die europäische Währungsunion zerbreche. "Wir sitzen in der Falle", sagt Sinn.
Diese Sicht der Dinge hat Sinn bisher meist als Einzelmeinung vorgetragen. Dass er seinen Protest nun in Form einer konzertierten Aktion gemeinsam mit anderen Ökonomen organisiert, verleiht der Sache jedoch deutlich mehr Gewicht.
In dem Entwurf des Appells warnen die Wissenschaftler besonders vor der geplanten europäischen Bankenunion. Diese bedeute eine "kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Euro-Systems". Da diese fast dreimal so groß seien wie die Staatsschulden, sei es "schlechterdings unmöglich, die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas für die Absicherung dieser Schulden in die Haftung zu nehmen".
"Das war der Tropfen, der Fass zum Überlaufen brachte"
Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehören neben Sinn auch der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen und Klaus Zimmermann, der frühere Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Als Initiator tritt neben Sinn der Dortmunder Statistiker Walter Krämer auf. Er sagte SPIEGEL ONLINE auf Anfrage, Sinn und er hätten sich über die Ergebnisse des Euro-Gipfels dermaßen geärgert, dass sie den Entschluss zu einem öffentlichen Appell fassten. Dieser richte sich vor allem gegen die Bankenunion. "Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte." Es müsse auch in Zukunft möglich sein, dass marode Banken pleitegehen. Sinn selbst, war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.
Die EU-Pläne sehen unter anderem vor, Banken direkt aus dem Rettungsfonds ESM zu rekapitalisieren. Auch eine gemeinsame Einlagensicherung wird diskutiert. Zugleich sollen die Geldinstitute durch eine europaweite Aufsicht besser überwacht werden. Sinn und seine Mitstreiter glauben aber nicht, dass sich die Risiken auf diese Weise unter Kontrolle halten lassen.
Die Begründung: Die Schuldnerländer verfügten über eine "strukturelle Mehrheit" im Euro-Raum. "Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder von neuem Pressionen ausgesetzt sein, diese Summen zu vergrößern", heißt es in dem Entwurf. "Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert. Noch unsere Kinder und Enkel werden darunter leiden." Der Entwurf endet mit einem Appell an die Bürger: "Wir bitten Sie, dieses Thema sehr ernst zu nehmen und es mit den Abgeordneten Ihres Wahlkreises zu diskutieren."
Langsam mache ich mir wirklich Sorgen um Deutschland und die deutschen Ökonomen. In der morgigen Ausgabe der FAZ erscheint offenbar folgender Aufruf, in dem mehr als 150 deutsche Volkswirte den Beschluss des Brüsseler Gipfels von letzter Woche heftig kritisieren.
Hier ist er im Wortlaut:
Liebe Mitbürger,
die Entscheidungen, zu denen die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen wurden, waren falsch.
Wir, Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftlerinnen der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge.
Die Bankschulden sind fast dreimal so groß wie die Staatsschulden und liegen bei den fünf Krisenländern im Bereich von 9 Billionen Euro. Es ist schlechterdings unmöglich, die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas für die Absicherung dieser Schulden in die Haftung zu nehmen, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind.
Wenn die Schuldner nicht zurück zahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen kann: die Gläubiger selber, denn nur sie verfügen über das notwendige Vermögen und sind das Investitionsrisiko bewusst eingegangen.
Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Missbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können.
Das wir Ihnen aber nicht gelingen, da die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen. Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder von neuem Pressionen ausgesetzt sein, diese Summen zu vergrößern. Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert. Noch unsere Kinder und Enkel werden darunter leiden.
Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet; geholfen wird vor allem der Wall Street, der City of London und einer Reihe maroder ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der hart arbeitenden Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte machen dürfen.
Wir bitten Sie, dieses Thema sehr ernst zu nehmen und es mit den Abgeordneten Ihres Wahlkreises zu diskutieren.”
Mir stehen die Haare zu Bege. Abgesehen davon, dass ich inhaltlich komplett anderer Meinung bin, finde ich den Duktus dieses Briefes schwer zu ertragen.
So wird direkt im ersten Satz als Tatsache dargestellt, die Kanzlerin in Brüssel zu einer Entscheidung “gezwungen” worden. Woher bitte nehmen die Unterzeichner bitteschön diese Weisheit? Saß einer von ihnen in Brüssel mit am Tisch?
Insgesamt wird in dem Aufruf aus meiner Sicht ein komplett verzerrtes Bild der Lage gezeichnet.
So ist die Formulierung, eine Bankenunion bedeute die “kollektive Haftung für die Schulden der Banken” hochgradig fragwürdig. Tatsächlich geht es doch um eine Garantie der Spareinlagen, also einen europaweiten Einlagensicherungsfonds.
Sicherlich, die Spareinlagen gehören bilanztechnisch zu den Passiva einer Bank – aber die Schulden der Geldinstitute gehen doch deutlich über die Spareinlagen hinaus. Und mir wäre neu, wenn für sämtliche Schulden der Geldinstitute gehaftet werden würde. Es geht doch darum, kriselnde Banken mit staatlichen Mitteln zu rekapitalisieren und nicht darum, ihre Schulden zu übernehmen. Im Gegenzug würde der ESM Anteile an diesen Banken zu erhalten. So, wie es Deutschland bei der Commerzbank gemacht hat, und Großbritannien bei RBS und Lloyds TSB.
Warum es “schlechterdings unmöglich” sein soll, die europäischen Spareinlagen im Rahmen einer Bankenunion zu garantieren, verstehe ich ebenfalls nicht. Sinn einer Einlagensicherung ist es doch, Panik unter den Bankkunden zu vermeiden und einen Bank run zu verhindern. Wenn die Einlagensicherungsgarantie glaubwürdig ist, sorgt sie gleichzeitig dafür, dass sie nicht eingelöst wird – eben weil ein Bank run nicht stattfindet.
Falls das zu einfach ist, als dass unsere ”Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftlerinnen der deutschsprachigen Länder” das verstehen können, dann empfehle ich ihnen einen Blick in das Paper “Bank runs, deposit insurance, and liquidity” von Douglas Diamond und Philip Dybvig. In dieser 1983 im “Journal of Political Economy” erschienen Arbeit haben die beiden Volkswirte den gleichen Punkt mit vielen schönen Formeln und in einem komplexen Modell herausgearbeitet.
Mit der Argumentation, der Staat könne keinen Bank run verhindern, fallen unsere Professoren auf das intellektuelle Niveau von vor der Great Depression zurück. Die Einführung einer staatlichen Einlagensicherung war eine der großen, wichtigen Lehren aus den kaskadenhaften Bankzusammenbrüchen in den 30er Jahren.
In einer Währungsunion, in der der Verbleib einzelner Länder nicht mehr sicher ist, kann nur eine grenzüberschreitende Einlagensicherung Bank runs nachhaltig vermeiden. Denn die Sparer in Spanien oder Italien fürchten nicht darum, dass ihre Bank pleite geht, sondern dass ihre Euro-Spareinlagen über Nacht in eine neue Weichwährung umgetauscht werden. Diese Sorge kann ihnen die nationale Bankenaufsicht nicht nehmen – das funktioniert nur grenzüberschreitend.
Staunen muss ich auch über das Argument, dass eine gemeinsame Bankenaufsicht nicht funktionieren könne, “da die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen”. Das gleiche lässt sich auch für die EZB und die europäische Geldpolitik sagen – dennoch hat die Notenbank bislang keinen Versuch unternommen, von der Anti-Inflationspolitik abzuweichen.
Die EZB ist ein gutes Beispiel dafür, dass man sehr wohl Institutionen schaffen kann, die unabhängig von den nationalen Interessen der Einzelstaaten agieren.
Warum soll das nicht auch bei einer europäischen Bankenaufsicht gelingen, vor allem, wenn die EZB das Zepter in die Hand bekommt?
Noch aus einem weiteren Grund sind die Zweifel an der Wirksamkeit einer europäischen Bankenaufsicht bizarr. In den vergangenen Monaten war es doch gerade die European Banking Authority (EBA) in London, die von Europas Großbanken deutlich strengere Eigenkapitalanforderungen verlangt hat als die nationalen Regulierer – gerade von deutschen Wirtschaftspolitikern ist die EBA dafür heftig kritisiert worden.
Zum Beispiel von Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), der auch Aufsichtsratschef der NordLB ist: “Warum verlangt die Eba nicht gleich eine Eigenkapitalunterlegung von 100 Prozent”, fragte der rhetorisch, “aber dann brauchen wir keine Banken mehr”.
Anschließend wird der Aufruf aus meiner Sicht unerträglich pathetisch: ”Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert. Noch unsere Kinder und Enkel werden darunter leiden.”
Mit nüchterner wirtschaftswissenschaftlicher Analyse hat das nur noch wenig zu tun. Natürlich kann jeder so schwülstig argumentieren wie er will, aber die Unterzeichner des Aufrufs benutzen ihren wissenschaftlichen Sachverstand als Rechtfertigung dafür, dass sie sich in die Debatte einschalten. Da darf man dann auch ein gewisses analytisches Niveau erwarten dürfen, finde ich.
Ganz schlimm ist auch die dann folgende Passage:
“… geholfen wird vor allem der Wall Street, der City of London und einer Reihe maroder ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der hart arbeitenden Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte machen dürfen.”
So demagogisch und platt argumentiert eigentlich sonst nur Herr Tsipras von Syriza. Konstruktive Beiträge zur Lösung der Euro-Krise sehen wirklich anders aus.
Zudem bleiben die Professoren eine Antwort darauf schuldig, wie sie denn die Krise lösen möchten. Mit Strukturreformen, die drei bis fünf Jahre brauchen, bis sie wirken? Oder mit noch mehr Austeritätsprogrammen, die ja schon in den vergangenen drei Jahren so hervorragend funktioniert haben?
So, nachdem ich mir meinen Frust von der Seele geschrieben habe, fahre ich jetzt zur Sommerparty des Makro-Thinktanks OMFIF. Die findet in der Ave Maria Lane statt. Langsam hilft wirklich nur noch beten. Oder trinken.
Abgesehen von den falschen Tsirpas Vergleich, nimmt er die Angstmacherei Stück für Stück auseinander.
Sinn, Raffelhüschen, Zimmermann...
Alles einschlägige Personalien, die PR für Forderungen Merkels machen gepfeffert mit einer deftigen Portion Angst (sonst geht mal garnichts bei uns in Deutschland). Schön das solches Gesocks immer und überall ihre Plattformen bekommt.