Illegalität schrumpft
Forscher schätzen Schattenwirtschaft dennoch extrem groß ein – und stoßen auf Kritik
Immer im Januar teilt der Volkswirt Friedrich Schneider mit, wie verbreitet Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung derzeit sind. Gestern war es wieder so weit. „Das beträchtliche Wachstum der offiziellen Wirtschaft führte zwischen 2009 und 2010 zu einem Rückgang der Schattenwirtschaft um 4,2 Milliarden Euro“, heißt es in einer Pressemittelung des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen, das zusammen mit Schneider die Schattenwirtschaft vermessen hat. Das klingt erfreulich.
Allerdings hat die Schattenwirtschaft immer noch enorme Ausmaße: Im vorigen Jahr sind dort demnach 347,6 Milliarden Euro erwirtschaftet worden. Das entspricht einem Wert von fast 14 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Die Schattenwirtschaft besteht laut Schneider zu etwa zwei Drittel aus Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung von Ausländern – etwa am Bau, bei der Autoreparatur oder in privaten Haushalten. Hinzu komme das Material, das bei der Schwarzarbeit verwendet wird. Glaubt man Schneider, ist die Schattenwirtschaft fast viermal so groß wie die gesamte offizielle Baubranche.
Kann das sein? Eher nicht, meint Gerhard Graf, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Mainz. Graf hat Schneider schon vor Jahren vorgeworfen, dass seine Schätzungen „auf wissenschaftlich nicht haltbaren Vorgehensweisen“ beruhen.
Schneider geht davon aus, dass Mindestlöhne und höhere Sozialbeiträge zu mehr Schwarzarbeit führen. Er erwartet, dass in diesem Jahr in der Zeitarbeit ein Mindestlohn eingeführt wird. Dies werde die Schattenwirtschaft um 300 Millionen Euro vergrößern.
Eine solch exakte Prognose hält Graf für völlig unmöglich. Richtig sei, dass ein Mindestlohn die Vorteile der Schwarzarbeit vergrößern könne. Doch „mehr kann man eigentlich nicht sagen“, betont der Professor für Volkswirtschaftslehre. Will heißen: Niemand kann beziffern, welchen genauen Effekt solche Untergrenzen auf die Schwarzarbeit haben.
„Man kann die Schattenwirtschaft nicht genau messen“, räumt Professor Scheider von der Uni Linz ein. Schwierig sei es etwa, Schwarzarbeit von Nachbarschaftshilfe abzugrenzen. „Mir geht es mehr um die Veränderung“, sagt Schneider der FR.
Bei der Größe der Schattenwirtschaft berge sein Verfahren einen „Schätzfehler“: Die Schattenwirtschaft könne auch 15 Prozent kleiner oder größer sein. Die in der Pressemitteilung genannten 347,6 Milliarden Euro würden dem Mittelwert entsprechen.
Graf schätzt allerdings, dass die Schwarzarbeit viel geringer ist und nicht 14 Prozent des BIP ausmache – sondern vielleicht ein Prozent. „Das ist eine Vermutung“, betont der Volkswirt, die sich auf entdeckte Schwarzarbeit und Erfahrungen von Beschäftigten in Arbeitsämtern stützt. Denn messen lasse sich inoffizielle Arbeit eben nicht.
Der neue Wirtschaftsweise Lars Feld hat versucht, mit Umfragen dem Problem auf die Spur zu kommen. Mehrmals wurden Bürger gefragt, ob sie schon mal schwarzgearbeitet haben. Dabei konnten die Leute ehrlich antworten, weil ihre Angaben anonym blieben. Nach dieser Studie ist Schwarzarbeit viel weniger verbreitet. Die Forscher errechneten, dass sie im Jahr 2007 einen Wert von 3,2 Prozent des BIP hatte. Auf diesem Niveau dürfte der Wert auch heute liegen, vermutet der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Freiburg.
Feld glaubt, dass damit das untere Limit markiert sein dürfte. Denn nicht erfasst worden sei in der Haushaltsbefragung die professionelle Schwarzarbeit, die es auf dem Bau oder im Transportgewerbe gebe. Dort würden Aufträge teils mit Subunternehmen erledigt, ohne dass Sozialbeiträge oder Steuern abgeführt werden. Die Wahrheit liege wohl irgendwo zwischen seinen Daten und den Angaben von Schneider.
Gemeinhin gilt inoffizielle Beschäftigung als Problem, weil dem Staat dadurch Einnahmen verloren gehen. Doch auch hier widerspricht Wissenschaftler Graf: „Schwarzarbeit führt zu keinem Euro an Steuerverlusten“, lautet seine These. Begründung: Der Schwarzarbeiter gibt sein Geld irgendwann aus – und dann lande es wieder in der offiziellen Wirtschaft und werde versteuert. Wenn er sich eine Hose kaufe, falle Mehrwertsteuer an, und von dem Umsatz würden die Sozialabgaben des Verkäufers bezahlt.
Allerdings will Graf das nicht als Aufforderung verstanden wissen, sich nach Feierabend noch was dazuzuverdienen. Schwarzarbeit sei illegal und unfair, weil Dienstleistungen billiger erbracht werden könnten. Und sie gefährde den gesellschaftlichen Konsens, dass man nun mal Steuern und Abgaben entrichten muss. In diesem Punkt ist er mit Schneider ganz einer Meinung.