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[Recht & Politik] Attacke auf Hilfskonvoi: Israel begibt sich in eine gefährliche Selbstisolation

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Ungelesen 03.06.10, 18:35   #1
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Standard Attacke auf Hilfskonvoi: Israel begibt sich in eine gefährliche Selbstisolation

Zitat:
Das Verhältnis zur Türkei ist zerstört, enge Verbündete gehen auf Distanz. Doch Israel braucht verlässliche Freunde, vor allem in Nahost.


Warum tut sich Israel das nur an? Warum lässt es sich auf eine hochmoderne Medienschlacht mit sechs alten Schiffen voller Helfer, Politiker, Nobelpreisträger, Schriftsteller, Friedensaktivisten ein? Warum schickt es ausgerechnet die Armee, um diese Schiffe am medialen Erfolg zu hindern?

Es kam, wie es kommen musste. Israel hat diese Schlacht vor aller Welt verloren. Seine Armee hat mal wieder "überreagiert" (Nicolas Sarkozy), den Soldaten ist die Kontrolle entglitten, neun Tote sind das Resultat. Die Welt überschüttet Israel mit Kritik, der UN-Sicherheitsrat wägt Worte und Mittel, das Land in die Schranken zu weisen, selbst Verbündete wie Deutschland und die USA gehen auf Distanz. Die israelische Regierung, viele Israelis fühlen sich missverstanden. Was läuft schief?

Lassen wir mal die übliche Sorgenliste in Israel und Palästina beiseite: Siedlungen im Westjordanland, Checkpoints, Würgegriff für den Gaza-Streifen, Angriffe aus Gaza, alltägliche Belästigung und Bedrückung von Palästinensern durch israelisches Sicherheitspersonal. Reden wir davon, was Israel gerade verliert, vielleicht unwiederbringlich. Reden wir von der Türkei, von den USA und vom Ansehen in der Welt.

Zu den wirklich schmerzhaften Verlusten zählt wohl das gute Verhältnis zur Türkei. Spätestens seit den neunziger Jahren pflegten die beiden Verbündeten Washingtons enge strategische Zusammenarbeit. Israelische Piloten trainierten über Anatolien, türkische Panzer wurden mit israelischer Technik aufgerüstet, die Armeen übten zusammen. Seit Gaza: Funkstille. Beim World Economic Forum gerieten Premier Erdoğan und Präsident Peres aneinander, Erdoğan nutzte den Moment zu einem breitbeinig dramatischen Abmarsch vom Podium. Seither ließ der Premier aus dem Volk mit Sinn für Volkes Themen keine Gelegenheit aus, die israelische Palästina-Politik dröhnend anzuprangern.

Israel revanchierte sich. Zu Jahresbeginn erniedrigte Vizeaußenminister Ayalon den türkischen Botschafter in einer törichten Couch-Einlage vor laufenden Kameras ("Man beachte: Ich sitze hoch und er niedrig"). Der Sturm der türkischen Schiffe, der Tod türkischer Helfer hat nun die Beziehungen komplett eingefroren. Zum Nachteil Israels: In den vergangenen acht Jahren hat sich die Türkei im Nahen Osten, in Afrika und Asien bestens vernetzt. Israel steht in der Ecke.

Und das leider auch allmählich beim besten Verbündeten. In den USA wächst das Unbehagen an der israelischen Politik in der explosiven Region. Vor allem in den Streitkräften. Der langjährige CIA-Mitarbeiter und Bestsellerautor Robert Baer verriet auf einer internationalen Konferenz des Satellitenkanals al-Dschasira in Qatar vorige Woche, dass viele US-Soldaten einen Zusammenhang zwischen Israels Politik und ihren gefährlichen Einsätzen in Afghanistan, am Golf, im Irak sehen. "Man ist immer weniger bereit, sich der Wut der Menschen darüber auszusetzen, was die Israelis mit den Palästinensern machen", sagte Baer.

Kein geringerer als der führende US-General David Petraeus bezeichnete schon im März die israelischen Konflikte mit seinen Nachbarn als Belastung für die US-Interessen in der Region. Und wenn man der israelischen Zeitung Yedioth Ahronot Glauben schenken will, hat US-Vizepräsident Joe Biden der israelischen Regierung diesen Vorwurf schon persönlich unter die Nase gerieben. Doch selbst die kritische Unterstützung Israels durch die US-Regierung geht vielen Amerikanern zu weit. An Universitäten und in Nichtregierungsorganisationen, in Blogger-Foren und auf Konferenzen, fordern zunehmend mehr US-Bürger, Unterstützung für Israel an dessen Wohlverhalten gegenüber Palästinensern zu knüpfen. Gerade junge Amerikaner gehen spürbar auf Distanz zu Israel. Der Schiffs-Showdown verstärkt diese Tendenz.

So geschieht es in vielen Ländern. Nun argumentieren manche, das liege alles an Israel-feindlichen Medien. An der allgegenwärtigen Agitprop der Islamisten. An den Antisemiten, die tatsächlich allerorten versuchen, Israels hilfloses Um-sich-schlagen für ihre Zwecke zu nutzen. Hamas nutzt den Fehlschlag des Armeeeinsatzes gnadenlos für Sympathiewerbung. Viel Feind – keine Ehr. Denn Israel verliert an Ansehen.

Hier hilft ein Vergleich mit Russland: Dessen Präsident Putin hat sich vor zehn Jahren furchtbar verunglimpft gefühlt. Kritik an seinem Tschetschenien-Feldzug, an der Strangulierung freier Medien, am autoritären Staatsumbau. Nein, hier soll nichts gleichgestellt werden: Der demokratisch gewählte Netanjahu an der Spitze einer Koalition in einem vielstimmigen Israel ist nicht der "lupenreine" (Gerhard Schröder) Demokrat Putin mit seiner konfektionierten Einheitspartei umgeben von einer Medienwüste.

Aber eine Parallele ist aufschlussreich. Russland fühlte sich damals unverstanden, und steckte Hunderte Millionen Dollar in Public Relations: Internetkampagnen, Großkonferenzen, Werbeaktionen. Heere von Öffentlichkeitsarbeitern schwärmten aus, um die Verdunkler des Russlandbildes Lügen zu strafen. Ähnlich in Israel: staatlich ermutigte Blogger nehmen an weltweiten Netzdiskussionen teil. Konferenzen sollen aufklären. Proisraelische Institute in Europa und Amerika liefern Informationen über die "dschihadistischen Absichten" der Helfer auf den Schiffen. Kann das klappen?

Putin wollte das Bild seines Russlands verbessern, weil er dachte, dass die relative Einsamkeit Russlands in der Welt einfach am schlechten Image lag. Er scheiterte. Weil nicht das Bild das Problem war, sondern die Realität. Putin hat gelernt, mit dem schlechten Image zu leben. Es geht: Niemand will Russland angreifen, es hat gigantische Rohstoffe und keine wirklichen Feinde.

Israel aber hat keine Rohstoffe, ein verwundbares Territorium und viele Feinde. Es braucht deshalb sowohl ein gewisses Ansehen in der Welt wie ein paar wichtige Freunde. Merke also erstens: Nicht die Abbildung verbessert das Ansehen eines Landes, sondern nur die Wirklichkeit dahinter – der Wechsel der Politik und ihrer Methoden. Dazu gäbe es viel zu sagen, siehe Westjordanland und Gaza. Merke zweitens: Wer Freunde möchte, sollte ihnen auch schon mal eine Freude machen. Die US-Administration könnte Israel leichter stützen, wenn dessen Regierung gegenüber den Palästinensern kompromissbereiter wäre. Die Europäer sehen das ganz ähnlich. Die größte Herausforderung aber ist nun für Israel, einen verlässlichen Freund in der Region zu finden. Mit der Türkei ist es einstweilen vorbei. Ob unwiederbringlich, sollte Israel austesten, wenn sich die Wogen gelegt haben.
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