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01.08.23, 19:19
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#1
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das Muster ist das Muster
Registriert seit: Apr 2011
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Fälschung oder Wunder?: Streit um Supraleiter LK-99
Zitat:
Fälschung oder Wunder?: Streit um Supraleiter LK-99
Ist der angebliche Supraleiter LK-99 eine Fälschung oder wurde hier der heilige Gral der Physik gefunden? Die Antwort ist noch offen, aber Skepsis ist angebracht. Denn Anreize für Manipulationen gibt es genug.
Wissenschaftlich wäre es eine Sensation: Forscher aus Südkorea wollen einen Supraleiter gefunden haben, der bei Raumtemperatur und Normaldruck funktioniert – auch Golem.de berichtete. Sollte das stimmen, würden Supraleiter auf einen Schlag für viele Einsatzzwecke anwendbar. Die bislang bekannten supraleitenden Materialien müssen entweder stark gekühlt werden oder benötigen enormen Druck. Die Kühlung ist dabei noch am einfachsten zu realisieren, schränkt den Einsatz von Supraleitern aber auf stationäre Anwendungen wie Kabel oder Kernspintomografen ein.
Nun soll es also einen Raumtemperatur-Supraleiter geben. Doch je sensationeller eine Behauptung, desto größer sollte die Skepsis sein – besonders, wenn die Veröffentlichungen dazu nicht durch andere Wissenschaftler begutachtet wurden (Peer-Review). Schnell merkten andere Forscher an, die Daten sähen ungewöhnlich aus, die Schlussfolgerungen der Autoren seien durch sie nicht gedeckt.
Zudem ließen sich einige Beobachtungen auch ohne Supraleitung erklären: Ein geringer Widerstand allein – auch bei Supraleitern muss dieser nicht exakt null sein – genügt zur Definition als Supraleiter nicht. Zentral ist der Meißner-Ochsenfeld-Effekt, der besagt, dass ein supraleitendes Material äußere Magnetfelder aus seinem Inneren verdrängt. Und genau dies sollen die Messdaten nicht schlüssig belegen.
Auch die in einem Video gezeigte, zumindest teilweise schwebende Probe des Materials namens LK-99 überzeugt andere Wissenschaftler nicht: Es könne sich einfach um ein diamagnetisches Material handeln, das ähnliches Verhalten zeigen würde. Bei einem Supraleiter verursacht der Meißner-Ochsenfeld-Effekt die sogenannte Levitation.
Ein Raumtemperatur-Supraleiter wäre eine Goldgrube
Aber welchen Grund hätten Forscher, einen Raumtemperatur-Supraleiter vorzugaukeln oder auch nur fehlinterpretierte Messergebnisse zu veröffentlichen? Neben dem wissenschaftlichen Prestige hätten seine Entdecker auch finanziell ausgesorgt. So ist es wenig verwunderlich, dass auf LK-99 ein Patent angemeldet wurde. Aber die Veröffentlichungen auf Arxiv erfolgten erst, nachdem dieses Patent im Juni 2023 weltweit eingetragen war.
Um mit einem bei Raumtemperatur supraleitenden Material Geld einzusammeln, muss man es noch nicht einmal haben, wie ein anderes Beispiel zeigt: Ranga Dias, ein Wissenschaftler aus den USA, publizierte im März 2023 zu einem anderen Material mit gleicher Eigenschaft – es soll allerdings nur bei hohem Druck supraleitend sein.
Neben seiner Tätigkeit als Forscher betreibt Dias ein Unternehmen namens Unearthly Materials, das laut Crunchbase seit 2020 bereits 17 Millionen US-Dollar an Risikokapital eingesammelt hat. Unternehmensziel: Raumtemperatur-Supraleiter entwickeln und vermarkten.
Gleichzeitig ist Dias hochumstritten: Bereits zwei von ihm veröffentlichte Paper wurden von den veröffentlichenden Journals zurückgezogen, seine Doktorarbeit soll in weiten Abschnitten plagiiert sein. Dias' Beispiel zeigt zwei Dinge: Einerseits ist mit Wissenschaft viel Geld zu machen, andererseits ist es fast aussichtslos, dass gefälschte Daten lange unentdeckt bleiben.
Denn ein zentrales Element der wissenschaftlichen Arbeit funktioniert auch bei LK-99 hervorragend: Skepsis und die Replikation der Ergebnisse durch andere Forscher.
Zahlreiche Forscher versuchen sich an Replikationen
Gleich nach der Veröffentlichung der Paper zu LK-99 begannen Forschungsgruppen weltweit, die Ergebnisse unabhängig zu wiederholen. Erfolgreiche Replikationen würden als Beleg dienen, bislang hatte allerdings keine Gruppe Erfolg. Lange dürften die Ergebnisse allerdings nicht auf sich warten lassen, die Reaktionsgleichung findet sich bei Wikipedia. Doch auch Misserfolge müssen kein Beweis für eine Fälschung oder Fehlinterpretation sein.
Und hier kommen wir noch einmal auf Ranga Dias zurück: Auch seine Veröffentlichung vom März 2023 versuchten andere Forscher umgehend zu replizieren. Kein einfaches Unterfangen, wie sich herausstellte: Während zunächst mehrere Studien zu negativen Ergebnissen kamen (etwa Ming et al.), konnte im Juni 2023 eine Forschergruppe der University of Illinois in Chicago Dias' Messungen replizieren. Sie fand zudem eine Erklärung, weshalb andere Gruppen bei der Replikation scheiterten.
Als kritisch machten sie die Stickstoffkonzentration des synthetisierten Materials aus (Paper, PDF) – nicht einmal alle von Dias zur Verfügung gestellten Proben zeigten supraleitendes Verhalten.
Auch LK-99 wohl schwer herzustellen
Auch wenn zwei Gruppen bislang Misserfolge bei der Replikation bekannt gaben, bedeutet dies noch nicht das Aus für den Traum vom Raumtemperatur-Supraleiter. Denn unlängst konnte Sinéad Griffin vom Lawrence Berkeley National Laboratory zumindest theoretisch belegen, dass die für LK-99 behaupteten Effekte zutreffen (Paper, PDF).
Durch Simulation mittels Dichtefunktionaltheorie (DFT) konnte Griffin darstellen, dass die Molekularstruktur von LK-99 Eigenschaften von Hochtemperatur-Supraleitern zeigt. Sie beschreibt mehrere mögliche Mechanismen, die das Material supraleitend machen können und kommt auch noch zu zwei weiteren Ergebnissen: Es könnte weitere Materialien mit ähnlichen Eigenschaften geben – und LK-99 könnte schwer herzustellen sein.
Das wiederum könnte die Misserfolge bei der Replikation und die nur teilweise schwebende Probe erklären. Denn die beschriebenen Effekte treten nur auf, wenn an der richtigen Stelle im Atomgitter ein Kupfer- ein Bleiatom ersetzt.
LK-99 bleibt also weiter spannend. Und einmal mehr zeigt sich, dass spektakuläre Versprechen mehr als das im Englischen sprichwörtliche Körnchen Salz erfordern – also mit gebührender Skepsis betrachtet werden sollten. Schließlich gibt es starke Anreize, bei einem lukrativen Forschungsfeld wie Hochtemperatur-Supraleitern zu übertreiben, voreilige Schlüsse zu publizieren oder auch gefälschte Daten zu präsentieren.
Das Feld zeigt aber auch, wie uneindeutig und komplex Forschung sein kann – aus dem einfachen Grund, dass keine Theorie existiert, die erklärt, was ein Material zum Supraleiter macht. Und letztlich zeigt die emsige Arbeit Dutzender Forscher infolge der Veröffentlichung: Der wissenschaftliche Prozess funktioniert.
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04.10.23, 10:21
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#2
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Anfänger
Registriert seit: Mar 2019
Beiträge: 2
Bedankt: 0
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Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Herausstellung des wissenschaftlichen Arbeitens.
Was vermeintlich als "Schwäche" oder "Fehler" darzustellen versucht wird, ist doch die Stärke der Arbeitsweise. Es wird eine Theorie oder ein "Erfolg" aufgestellt und im Anschluss setzen sich die Personen mit demselben wissenschaftlichen Background daran und prüfen die Stichhaltigkeit der Entdeckung.
Bestenfalls wird sie bestätigt oder aber posthum wieder einkassiert - so wie hier.
Auch der Hinweis, dass die Wissenschaft (grob verallgemeinert) einen Zustand nur zum aktuellen Zeitpunkt "akkurat" beschreiben kann.. und sich diese Ansicht morgen aufgrund neuer Messmethoden (siehe aktueller Nobelpreis für Physik) ändern kann, ist eine absolute Stärke und gewinnbringend.
Als Podcast ist dort eine schöne Empfehlung: Methodisch inkorrekt
Die Jungs bereiten leicht verständlich diversitäre Themengebiete auf und stellen sie dar.
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