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Nationalsozialismus: Die schöne Landschaft voll bereinigt

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Ungelesen 29.03.19, 19:46   #1
pauli8
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Standard Nationalsozialismus: Die schöne Landschaft voll bereinigt

Zitat:
Nationalsozialismus
Die schöne Landschaft voll bereinigt


Was haben die Eltern und Großeltern während der Nazi-Zeit gemacht? Noch immer löst diese Frage Beklemmungen aus, weiß man doch nicht, welche Antwort sie zutage fördert.

Von Sabine Scholl

29. März 2019, 20:10 Uhr



Die Wiener Sängerknaben im April 1938 © Corbis Historical/Getty Images


"Mein Vater war während des Kriegs in Norwegen als Funker stationiert", erwähnte ein langjähriger Freund so nebenher bei einem Glas Grünem Veltliner, als ich von meiner Reise nach Oslo sprach. Wir kannten uns ewig, aber das wusste ich nicht. Ich staunte, doch so erstaunlich war es dann auch wieder nicht: Ich selbst war lange überzeugt, zum Thema Mittäterschaft während der Nazi-Zeit nichts Verwertbares aus meiner Familie beitragen zu können. Meine Eltern waren kurz vor Kriegsbeginn geboren. Das Wort Nazi kannte ich als Mädchen nur von meinem Opa, der es als Schimpfwort beim Holzhacken für unangenehme Zeitgenossen verwendete. Daher war ich entsetzt, als ich eines Tages den Nachrichtensprecher im Fernsehen dieses verbotene Wort sagen hörte. Mein Vater konnte mir nicht erklären, warum im Fernsehen geflucht wurde. Er murmelte irgendwas von bösen Männern. Ich bohrte nach, erhielt aber keine befriedigende Antwort.

In der Grundschule trichterte uns die Lehrerin die Vergangenheit unseres Bezirks ein, Märchen und Legenden, Bürgermeister und Erfinder. Wir zeichneten Umrisse, malten Hügel und Flüsse in verschiedenen Farben. Die Ringmappe klickte, wenn ich ein Blatt abheftete. Auf dem dunkelgrünen Umschlag stand mit weißen Plastikbuchstaben: "Meine Heimat".
Im Gymnasium führte der Lateinlehrer fort, was er im Krieg gelernt hatte: Terror, Verachtung, Unerbittlichkeit, ideologisches Wettern. Sein Blick, halb Glasauge, halb stechend, musterte uns. In seinen Glatzkopf war eine faustgroße Delle gedrückt. Andenken an den verlorenen Kampf. Ein Stück Hirn fehlt ihm, flüsterten wir, deshalb ist er so grausam.
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Sabine Scholl beschäftigt sich in ihren Essays mit transnationalen Prozessen; in literarischen Werken beschreibt sie das Zusammentreffen verschiedener Sprachen und Kulturen. 2018 erschien ihr Roman "Die Gesetze des Dschungels". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". © privat

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Jahre später kam unser junger Geschichtslehrer eines Tages mit nach Spiritus stinkenden hektografierten Blättern in den Unterricht. Titel: Die Vernichtung der Juden. In dem Lehrbuch mit Hochglanzumschlag war davon nichts zu lesen.

In Wien auf dem Weg zu den Seminaren zur Zeitgeschichte lief ich immer an einem Gebäude vorbei, in dessen Bogengängen sich ein Kopierladen und ein Kaffeehaus befanden. Obwohl wir lernten, die Weimarer Republik und das Heraufkommen des Faschismus zu analysieren, befragten wir die Schauplätze in unserer näheren Umgebung nicht.

Erst 30 Jahre später erfuhr ich den Namen dieses Hauses und seine Geschichte. Es hieß Palais Ephrussi. Nur weil Edmund de Waal, ein Nachkomme der von den Nazis vertriebenen jüdischen Besitzer, seiner Familiengeschichte nachforschte und in seinem Buch Der Hase mit den Bernsteinaugen davon erzählte, erfuhr ich davon. Wir waren nie auf die Idee gekommen, unsere Recherchen auch auf das Naheliegende zu richten. Obwohl ich mich in meiner Freizeit in antifaschistischer Argumentation ausbilden ließ, mit der wir konservativen Studierenden entgegentreten sollten, und obwohl ich mir das Studium damit verdiente, die Artikel einer maoistischen Zeitschrift zu tippen.

Wir Fortschrittlichen waren unserer Zeit so weit voraus, hechelten in Richtung bessere Zukunft. Dass die Vergangenheit abscheulich gewesen war, darin bestand Einigkeit, und dass sie gar nicht vergangen war, stellte sich bald heraus.

Denn dann kam Kurt Waldheim. Der konservative Präsidentschaftskandidat hatte seine Aktivitäten als Nazi-Offizier verschwiegen, auf Nachfragen darüber sogar gelogen. Zwei Lager bildeten sich. Die einen verteidigten, die anderen kämpften gegen seine Wahl zum Staatsoberhaupt. Nun sollte jeder Farbe bekennen und von den Verstrickungen der eigenen Familie erzählen.

Ruth Beckermann hat diesen Aufruhr damals filmisch festgehalten und kürzlich in dem Dokumentarfilm Waldheims Walzer, der letztes Jahr auf der Berlinale einen Bären gewann, daran erinnert. In diesem Umfeld sollte auch ich bekennen. Doch ich begann mich zu winden. Was konnte ich im Kreise all der Aufgeklärten und mir rhetorisch überlegenen Intellektuellen von mir geben? Bislang hatten wir immer nur Texte analysiert und diskutiert, nie über unsere Herkunft geredet. Peinlich berührt, rückte ich mit meiner Aussage heraus, dass die Eltern Kinder gewesen waren. Das klang wie eine Ausrede und reichte nicht.

"Deine Großeltern", hieß es, "waren doch auf die eine oder andere Weise aktiv." Ich druckste herum, weil ich mich schämte, dass sie nur Landarbeiter und Bauern gewesen waren. Ich wollte, dass meine Herkunft verschleiert blieb, um mir die akademische Zukunft nicht zu verbauen, und machte mich verdächtig. Ich hatte weder eine hässliche noch eine heroische Geschichte zu erzählen, sondern bloß das schreckliche Gefühl, aufgeflogen zu sein, des Schwindels überführt. Ich gehörte nicht in diese Gesellschaft, konnte nicht mithalten. Wo ich herkam, klaffte ein tiefes Loch.

Der Bäcker, der Wirt, die Schneiderin, der Tischler

Der Freund, dessen Vater im Krieg in Norwegen gewesen war, erzählte mir bei unserem Treffen noch eine andere Geschichte. Seine Tante hatte in Wien im selben Haus wie Simon Wiesenthal gewohnt, zu der Zeit des Waldheim-Eklats einer seiner schärfsten Gegenspieler.

Da der als Nazi-Jäger bekannte Mann täglich unzählige Anrufe entgegennahm, wechselte er irgendwann seine Telefonnummer. Seine frühere wurde der Tante zugewiesen, die daraufhin telefonische Anlaufstelle für Hinweise und Hilfesuchende wurde, einen Dienst, den sie geduldig und höflich erledigte, wie der Freund betonte. Dass ich diese Anekdote erst jetzt erfuhr, erstaunte mich, weil wir damals keineswegs unpolitisch gewesen waren. Der Freund lebte in einer linken WG, in der Marx und Hegel tatsächlich gelesen und am Küchentisch diskutiert wurden. Was aber unmittelbar vor unseren Augen passierte, hatten wir nicht einbezogen. Im Gegenteil war es bislang nicht erwünscht gewesen, die eigene Geschichte mit der Historie in Zusammenhang zu bringen.

Wie im Fall des Palais Ephrussi sollte es noch lange dauern, bis ich Dokumente zur Geschichte des Bauernhauses, in dem ich aufgewachsen war, in die Hände bekam. Tatsächlich war es unter Mithilfe des Nazi-Bürgermeisters von den Großeltern mitten im Krieg erworben worden. Ich erfuhr, dass sich jener Bürgermeister sofort nach dem Einmarsch der Deutschen im März 1938 seinen Amtssitz erobert hatte. Ich erfuhr, dass sich in dem viel gepriesenen Kurort des Nachbarstädtchens, von dem wir in unserer Heimatmappe nur Gutes vermerkten, Nazi-Größen erholten und jüdische Gäste nicht mehr zugelassen waren. Der Bäcker, bei dem wir Schulkinder einzelne Bonbons kauften, der Wirt, bei dem wir an langen Schultagen mittags Nudelsuppe aßen, der Tischler, der verlassene Rehkitze in seinem Garten aufzog, sie alle waren Parteimitglieder gewesen. Die aus der Stadt gebürtige Schneiderin, welche sich als KZ-Wärterin ausbilden und anheuern ließ, kehrte nach dem Krieg zurück, schneiderte Kundinnen und Kindern weiter Kleider auf den Leib.

Heute weiß ich, dass ich bereits mehrere Male in Hitlers Hotel in Linz übernachtet hatte; ich feierte meinen Hochzeitstag im Restaurant des Schlosses, das Ribbentrop nach der Machtübernahme für sich requirierte; ich schwamm in dem See, an dessen Ufer Görings Villa stand, ohne davon zu wissen; die schöne Landschaft voll bereinigt, die Gästelisten der Hotels aus der Kriegszeit auf mysteriöse Weise verschwunden.

In den Körpern lagert sich das Verschwiegene ab und arbeitet weiter. Deshalb finden sich die Gespenster überall. Denkt man an die Rolle der großen deutschen Konzerne, die vom Aufstieg der Nationalsozialisten profitierten, wohnt ihr Geist tatsächlich bis heute in Tabletten, Waschmaschinen, Autos, Anzügen: "Sie heilen und bekleiden uns, fahren uns über die Straßen der Welt", schreibt Autor Eric Vuillard in Die Tagesordnung, einer Nacherzählung der Verwicklung namhafter deutscher Industrieller mit dem Nazi-Regime. Mittels der Produkte dieser Firmen, die wir konsumieren, reichen wir zurück in die Zeit der Grausamkeit. Und dass die Vergangenheit nicht vergangen ist, beweist der neuerliche Aufschwung nationalistischer Strömungen.

Soziologische Forschungen belegen, dass sich rechtes Denken über Generationen an immer denselben Orten erhält. Und die Gefahr besteht, dass nun die geistigen Nachkommen der Nazis als Wirte, Bäcker, Zahntechniker Städte und Landschaften besetzen. Auf das Pöbeln und Zündeln folgte auch damals die Übernahme von Institutionen.

Während meines Besuchs in Oslo begegnete ich einer älteren Dame, die sich munter als halb österreichisch, halb norwegisch bezeichnete und von Weinbergen schwärmte. Sie war Kriegskind, entstanden aus einer verbotenen Verbindung zwischen einem Soldaten und einer Norwegerin. Als sie 19 Jahre alt war, habe der Vater sie eingeladen und sie seinem österreichischen Nachwuchs vorgestellt. Stolz habe er das Mädchen in der Kleinstadt herumgezeigt. "Ich war eine Sensation", erinnerte sie sich. Wir prosteten uns zu. Mit Grünem Veltliner in Oslo.
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Ungelesen 29.03.19, 23:00   #2
Bluejeans4
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Was haben die Eltern und Großeltern während der Nazi-Zeit gemacht?
eltern waren noch nicht auf der welt, grosseltern sind tot (daher nicht befragbar).
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Terothe (30.03.19)
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