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Martin Sonneborn „Aus Gründen der Demokratiepflege sollten wir auch die Grünen verbie

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Ungelesen 23.02.24, 12:36   #1
ziesell
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Standard Martin Sonneborn „Aus Gründen der Demokratiepflege sollten wir auch die Grünen verbie

Zitat:
Martin Sonneborn: „Aus Gründen der Demokratiepflege sollten wir auch die Grünen verbieten“

Hat Ursula von der Leyen die EU in ein autoritäres „Hybridsystem“ verwandelt? Martin Sonneborn, Abgeordneter für „Die Partei“ in Brüssel, zieht eine vernichtende Bilanz – und berichtet von Gangbangs konservativer Parlamentarier, Grünen in der Business Class und „Hassrede“-Gesetzen, die an Orwells „1984“ erinnern.



Martin Sonneborn sitzt im Café des Europaparlaments in Brüssel. Eine Delegation der Karlsruher Schülerzeitung „Ernschtle“ interviewt den Abgeordneten, der 2014 für die Satirepartei „Die Partei“ ins EU-Parlament einzog. Zum Ausklang erzählt Sonneborn, wie er 1997 mit der Zeitschrift „Titanic“ selbst einmal Schülerzeitung gespielt hat. Die erwachsenen „Titanic“-Redakteure verkleideten sich damals mit Kapuzenpullovern und Baseballkappen als Schüler und drangen so bis in die Chefredaktion des „Focus“ vor. Heute trägt Sonneborn Jeans und schwarzes Hemd. „Im Schnitt“, sagt er über Brüssel, „nehmen Abgeordnete hier pro Legislaturperiode fünf Kilo zu.“ Er selbst hat schon fast zwei Amtszeiten hinter sich, sieht aber mit 58 Jahren immer noch aus wie ein schlaksiger Lümmel von der letzten Bank.

WELT: Ihr neues Buch heißt „Herr Sonneborn bleibt in Brüssel“. Es ist ein Rechenschaftsbericht über die zu Ende gehende Legislaturperiode, die 2019 begann. Die Rolle der Antiheldin spielt in dem Buch Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin. Haben Sie Angst vor einer juristischen Auseinandersetzung?

Martin Sonneborn: Nein, eigentlich nicht. Sie hat bestimmt Berater, die ihr erklären, dass eine Klage nur noch mehr Aufmerksamkeit auf das Buch und ihre darin beschriebenen Verfehlungen lenken würde. Der britische „Spectator“ bescheinigte ihr schon 2021, sie hätte in ihrem politischen Leben nichts als eine Spur der Verwüstung („a trail of disaster“) hinterlassen. Das hat sich nicht geändert. Im Manuskript des Buchs stand ursprünglich ein Zitat meiner europapolitischen Beraterin, die gesagt hat, die EU werde, wenn sie von der Leyen überlebt, weitere sechzig Jahre brauchen, um wiederaufzubauen, „was diese Kuh zerstört hat“. Das Wort „Kuh“ haben wir dann auf Anraten des Lektors herausgenommen.

WELT: Was genau hat Ursula von der Leyen denn zerstört?

Sonneborn: Wo soll man da anfangen? Als wir zuletzt im EU-Wertekatalog geblättert haben, ist uns kaum eine Position begegnet, gegen die die Kommission von der Leyen noch nicht verstoßen hätte. Das beginnt mit ihrer blanken Arbeitsverweigerung auf dem Gebiet der Diplomatie, übrigens eine europäische Erfindung aus dem 13. Jahrhundert. Zum Verrat am europäischen Friedensgedanken gesellt sich jener an unserem gesellschaftlichen Grundgerüst – von Aufklärung und Liberalismus keine Spur, stattdessen zahllose Autoritarismen, Grundrechtseingriffe bis hin zu Chatkontrolle und biometrischer Massenüberwachung. Das zieht sich weiter über die in den Verträgen nicht vorgesehene Übernahme politischer Gestaltungsbereiche, die im Kompetenzbereich der EU-Mitgliedsstaaten (nicht der Kommission) liegen: Gesundheitspolitik, Militär und Rüstung, Medien- und Informationsregulierung, Datenhandel, angeschweißte Milchtütendeckel. Und es geht weiter mit den Versprechungen von der Leyens, Demokratisierung und Transparenz in der EU voranzutreiben, die sich als glatte Lüge erwiesen haben: nie war die EU intransparenter, undemokratischer, prinzipieninkonsistenter als sie es heute ist, nie hat sie den unbedingten Vorrang des Rechts und ihre eigenen Rechenschaftspflichten dreister missachtet als unter von der Leyen. Es endet schließlich mit einer bis über beide Ohren verschuldeten EU, die ihren siebenjährigen Haushalt nicht nur zur Halbzeit schon ausgegeben, verplant, verbraucht, verjuxt und verplempert hat, sondern ihren ebenfalls in der Kreide sitzenden Mitgliedstaaten nun eine Austeritätspolitik aufzwingt, die zum weiteren Verfall der Infrastrukturen und zur weiteren Verarmung der Mittel- und Unterschichten führen muss. Genügt das?

WELT: Gerade hat Ursula von der Leyen erklärt, dass sie nach den Neuwahlen zum EU-Parlament im Juni eine zweite Amtszeit anstrebt.

Sonneborn: Ja, die Frau macht einfach weiter. Sie war vorübergehend als Nato-Generalsekretärin im Gespräch, Biden soll ihr das vorgeschlagen haben. Ich würde es begrüßen, wenn sie ihre Spur der Verwüstung in die Nato weitertragen würde. Die Chancen auf einen friedlicheren Globus würden sich vervielfachen.

WELT: Im Jahr 2023 machte die EU Schlagzeilen: Ursula von der Leyen hatte die SMS-Nachrichten, mit denen sie die Milliardenverträge mit dem Impfstoffhersteller Pfizer ausgehandelt hatte, einfach gelöscht. Und im Zuge der „Qatargate“-Affäre tauchten zahlreiche Fälle von bestechlichen Parlamentariern und Funktionären mit engen Beziehungen zu Autokratien und Schurkenstaaten auf. Hat seitdem eine Aufarbeitung stattgefunden?

Sonneborn: Aufarbeitung? Nur rhetorisch. Die neugegründete Europäische Staatsanwaltschaft EPPO hat alle gegen Frau von der Leyen angestrengten Verfahren an sich gezogen und gedenkt offenbar nicht, vor den im Juni anstehenden Europawahlen noch einmal von sich hören zu lassen. Es gab lediglich ein paar pressetaugliche Erklärungen, dass jetzt alles transparenter werden müsse. Und Formalitäten wurden verschärft: Wenn wir Besuchergruppen einladen, ist es jetzt schwieriger, denen ein Kantinenessen auszugeben. Kurz: Es gibt in einigen Bereichen noch mehr Bürokratie. Aber all das ändert natürlich nichts an der strukturellen Korruption, etwa auch durch sogenannte „Drehtürwechsel“ zwischen Kommission und Wirtschaft, was nach wie vor völlig legal ist. Der neue polnische Außenminister Radoslaw Sikorski zum Beispiel, der von 2019 bis 2023 EU-Abgeordneter war, bekam neben seinen Diäten jährlich zwischen 588.000 und 804.000 Euro an „Nebenverdiensten“, 93.000 Euro davon als Berater der Vereinigten Arabischen Emirate. Als Abgeordneter hatte er versucht, kritische Resolutionen gegen seine Geldgeber in ihrem Sinne zu beeinflussen..

WELT:Persönlich beschäftigen Sie sich seit Jahren intensiv mit dem wachsenden Einfluss Aserbaidschans in Brüssel und Straßburg. Das Land liefert Gas nach Europa, seit im Zuge der EU-Sanktionen kein russisches Gas mehr bezogen wird, Aserbaidschan selbst importiert aber wiederum russisches Gas. Im September hat 2023 das Land einen Krieg gegen Bergkarabach gestartet.

Sonneborn: Wie oft propagieren wir unsere berühmten europäischen Werte! Im Falle Aserbaidschans haben sie uns nicht interessiert. Die Öldiktatur hat 120.000 Menschen in Bergkarabach ausgehungert, ein halbes Jahr lang. Und die EU hat zugeguckt. Rusif Huseynov, ein Vertreter des aserbaidschanischen Thinktanks TC, hat den EU-Ratspräsidenten sogar ausdrücklich dafür gelobt: „Die Rhetorik von Charles Michel kommt in Baku gut an“, so hat er es formuliert, und weiter: „Kritische Stimmen von Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind natürlich eine Quelle der Irritation in Baku, aber ich glaube nicht, dass sie Anlass zu übermäßiger Besorgnis geben, da Aserbaidschan gute Beziehungen auf der Ebene von Charles Michel und von der Leyen hat.“ Die Menschen in Bergkarabach wurden durch brutale Bombardements aus ihrer Heimat vertrieben, und die kleine christliche, demokratische Gelehrtenrepublik am 31. Dezember 2023 aufgelöst. Die Nähe der EU zu Diktator Alijew ist mit den europäischen Werten, wie ich sie verstehe, nicht zu vereinbaren.

Am Nebentisch erhebt sich eine Gruppe EU-Funktionäre, eine Dame im Kostüm spricht das Schlusswort, Sonneborn hört aufmerksam zu.

„Thank you for your time and your wisdom!“ Den Spruch muss ich mir merken.

WELT: Das Europaparlament ist aufgeteilt auf zwei Standorte, Straßburg und Brüssel. Worin unterscheiden sich beide?

Sonneborn: In Straßburg gibt es warmes Wasser, in Brüssel nicht. Das Brüsseler Parlament ist ein sehr hässliches, teures Gebäude aus den Neunzigern, das schon fünfzehn Jahre nach seiner Inbetriebnahme so kaputt war, dass seit 2012 über Renovierung oder Neubau diskutiert wird – die Kosten dafür lägen zwischen 200 und 500 Millionen Euro. Es gibt Löcher im Dach, und wegen Legionellen ist die Warmwasserversorgung seit Jahren abgestellt. David Sassoli, der ehemalige Präsident des Europaparlaments, ist übrigens 2022 mit 65 Jahren an den Folgen der Legionärskrankheit gestorben. Diese beiden Fakten hat aber nie jemand zusammengebracht. Der wichtigste Unterschied zwischen Brüssel und Straßburg ist, dass hier in eher kühler Atmosphäre gearbeitet wird, während in Straßburg die Abstimmungen stattfinden. Das ist immer wie ein Schulausflug, wenn ein paar tausend Leute rüberfahren und vier Tage lang dort tagen, essen, trinken und sich in irgendwelchen Bars die Nächte um die Ohren schlagen.

Frau von der Leyen ist auch schon geflogen zwischen Brüssel und Straßburg. Green Deal, LOL! Es gibt übrigens auch eine Bahnverbindung. Aber Zugfahren ist nicht ohne: Vor ein paar Monaten hatte ein französischer Bahnarbeiter eine Weiche falsch gestellt. Danach war ein ganzer Zug voller EU-Abgeordneter unterwegs in Richtung Euro-Disneyland bei Paris. Die Grünen haben mal ausgerechnet, dass die Umzüge rund 20.000 Tonnen CO? im Jahr verursachen. Ich selbst profitiere davon, weil es auf der Strecke 56 Cent Kilometergeld gibt, steuerfrei. Deswegen fahren mein Assistent und ich auch in getrennten Wagen, das bringt mehr. Er fährt in meinem Windschatten, das spart zusätzlich Benzin. Dass der Straßburger Sitz in absehbarer Zeit abgeschafft wird, glaube ich nicht. Die Franzosen werden dem niemals zustimmen.

WELT: Sie berichten in Ihrem Buch davon, dass die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ihre Zahlen nicht mehr transparent veröffentliche, man müsse sich das aus anderen Quellen ergoogeln. Demnach sei Deutschland mit über 25 Milliarden Euro im Jahr mit weitem Abstand der größte Nettozahler, Frankreich folge mit 12 Milliarden, dann kämen die Niederlande mit 7 Milliarden und „noch ein paar Kleingeldzahler“. Müsste nicht gerade in Deutschland ein stärkeres Interesse daran herrschen, was die EU mit dem überwiegend von deutschen Steuerzahlern stammenden Geld tut?

Sonneborn: Ja. Müsste.

WELT: Die Partei „Die Partei“, der sie angehören warb 2019 mit dem Wahlkampf-Slogan „Für Europa reicht‘s“. Gilt das heute immer noch, dass die Maßstäbe hier andere sind? Heute morgen im Air-Belgium-Flug von Berlin nach Brüssel saß in Reihe 2, Gangplatz, Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit aufgeklapptem Laptop. Sie kandidiert bei den Europawahlen im Juni für die FDP.

Sonneborn: Ich wundere mich, dass Frau Strack-Rheinmetall sich nicht von einem Kampfflugzeug abwerfen lässt. Wenigstens reist sie in der Business Class wie die Grünen. Ich habe das auch einmal getan, um zu sehen, wie das ist. Dabei wurde ich so oft mit Champagner in Plastikbechern behelligt, dass ich nicht zum Schreiben kam. Die FDP-Rüstungslobbyistin wird hier offene Türen einrennen, die EU ist schon seit Jahren auf einem Kurs der Militarisierung – obwohl der Vertrag von Lissabon das ausdrücklich untersagt. Atombombe und Austerität, also Milliarden in die Aufrüstung und Sparzwang bei Sozialem, Bildung, Infrastruktur – das ist übrigens für Gesellschaftsforscher ein todsicheres Rezept für soziale Unruhen.

WELT: Zersplitterung ist der große Trend in der Parteienlandschaft. Das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Werteunion haben sich neu gegründet, die traditionellen Parteien schrumpfen. War „Die Partei“, 2004 von Ihnen gegründet, ihrer Zeit voraus?

Sonneborn: Vermutlich. Waren wir oftmals. Zur vergangenen EU-Wahl standen wir mit illustren Namen auf dem Stimmzettel: Bombe, Krieg, Bormann, Eichmann, Keitel, Heß… Wir haben Krieg und Rechtsruck vorweggenommen. Und das AfD-Erfolgsrezept – mit Inhaltsleere, Populismus, Dagegensein Protestwähler abzufischen – stammt ja ebenfalls von uns. Ich bin allerdings irritiert darüber, dass die AfD damit locker über 20 Prozent kommt und wir in den Umfragen deutschlandweit bei 1,5 Prozent stehen. Zumal wir 1,6 Prozent brauchen für zwei Sitze. Wir wollen eine Million Stimmen, dann landen wir wahrscheinlich bei rund 2,5 Prozent. Die Linke liegt laut den letzten Umfragen ohne Wagenknecht auch nur noch bei 4,5 Prozent, die FDP bei 3 Prozent.

WELT: Zumindest der Wiedereinzug des Abgeordneten Martin Sonneborn ist aber gesichert?

Sonneborn: Sicher ist der nicht. Wenn ich drei Tage vor der Wahl einen schlechten Witz mache, verliere ich die Twittergemeinde.

WELT: Wie beurteilen Sie die Debatte um ein Verbot der AfD?

Sonneborn: Ich habe kürzlich im Parlament eine Rede dazu gehalten und gesagt: Natürlich bin ich für ein Verbot der dämlichen AfD. Aber aus Gründen der Demokratiepflege sollten wir anschließend auch die Grünen verbieten, die CDU, CSU, FDP und auch die letztmalig an Wahlen teilnehmende SPD. Ich habe in der Rede übrigens auch die Remigration von Ursula von der Leyen gefordert.

WELT: Das deutet darauf hin, dass Sie einen Ausschluss der AfD eher kritisch sehen.

Sonneborn: Ich bin kein Jurist, aber nach meinem Rechtsstaatsverständnis ist es nicht zulässig, eine populistische Partei zu verbieten, deren Wählerschaft sich zwar zu einem Teil aus national eingestellten Deppen, zu einem anderen aber aus Protestwählern zusammensetzt. Wir hätten da übrigens noch eine andere Partei im Angebot, die eigens als intelligente Protestpartei gegründet worden ist …

WELT: Kein Wahlkampf bitte, zurück zur AfD-Debatte!

Sonneborn: Ich glaube, dass diese Debatte von beiden Seiten unseriös geführt wird – und dass sie beiden Seiten nützt. Wir haben eine unfähige Regierungskoalition mit eklatantem Fachkräftemangel in den Spitzenpositionen, die gegen die Interessen von sechzig Prozent der Bürger Politik macht. Davon soll die Verbotsdiskussion offenbar ablenken. Die AfD wiederum profitiert von der Debatte, weil sie ihr Zustimmung verschafft. Wir nennen es den „Trump-Effekt“. Es wäre doch einmal an der Zeit, dass die Demokraten in der Bundesregierung sich mit den Ursachen des Zuspruchs, den die AfD erfährt, auseinandersetzten, anstatt über Möglichkeiten zur Parteiauflösung nachzudenken. Dadurch verschwinden ja die Wähler nicht, und die Probleme bleiben ungelöst.

WELT: In Reaktion auf die AfD schließen sich die Reihen in der deutschen Politik: Demokraten gegen Demokratiefeinde, so lautet die Parole.

Sonneborn: Ich halte das für Quatsch. In der EU interessiert die Abgrenzung nach rechts niemanden. Erst recht nicht die Kommissionspräsidentin, sie hat sich ihre Mehrheiten von Anfang an bei Rechtsradikalinskis aus Ungarn und Polen beschafft. Gerade hat sie Bilder verbreiten lassen, auf denen sie die italienische Neofaschistin Giorgia Meloni umarmt – und gegen die Fratelli d‘ Italia wirken die meisten AfDler wie Chorknaben.
Die Asyl- und Migrationspolitik, die von der EU und ihren Mitgliedstaaten betrieben wird, ist furchtbarer als alle feuchten Träume der AfD. Sie sorgt dafür, dass Asylbewerber nicht in die EU gelangen, sondern in der tunesischen Wüste enden.

WELT: Wie demokratisch ist die EU, die sich so gerne gegen Antidemokraten abgrenzt?

Sonneborn: Die von Haus aus eher semidemokratische EU mit einem Parlament ohne Initiativrecht und ihren undurchsichtigen Trilogverfahren sollte sich bei der Aufteilung der Welt in Demokratien und Autokratien etwas zurückhalten. In Wahrheit haben wir doch überall Hybridsysteme.

WELT: Zahlreiche Gesetzgebungsprojekte der EU, die dann auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen, betreffen die öffentliche Meinungsbildung – zuletzt der „Digital Services Act“, der am 17. Februar in Kraft trat und Internetplattformen zwingt, gegen „Hass“ und „Desinformation“ vorzugehen.

Sonneborn: Die Überwachungsmöglichkeiten, die wir gerade schaffen, sind nicht von Pappe: „Chatkontrolle“, „Digital Services Act“, „AI Act“. Es wird alles gescannt, auch wenn wir uns verschlüsselt mit Messenger-Diensten verständigen. Jede Datenspur wird aufgezeichnet, ist speicherbar, durchsuchbar und verknüpfbar geworden, und alles kann sowohl verkauft als auch zur Überwachung genutzt werden.

WELT: Die öffentliche Anteilnahme an diesen Gesetzesprojekten ist gering.

Sonneborn: Das ist ein Fehler. Patrick Breyer, der Piraten-Abgeordnete, kümmert sich mit seinen paar Leuten rund um die Uhr um diese Themen und versucht Öffentlichkeit herzustellen für den „AI Act“. Der soll scheinbar die künstliche Intelligenz regulieren, tatsächlich aber permanente und flächendeckende biometrische Massenüberwachung in der Öffentlichkeit per Echtzeit-Gesichtserkennung ermöglichen.
Das Gruselige ist, dass die Europäische Union diese Gesetzespläne selber kaum kommuniziert. Sie gibt zwar sehr viel Geld für Öffentlichkeitsarbeit aus, um Dinge zu bewerben, die für kaum jemanden relevant sind – aber Gesetze, die wirklich alle Bürgerinnen und Bürger betreffen, laufen fast komplett unter dem Radar.

WELT: In den letzten Jahren hat George Orwells Roman „1984“ eine Renaissance erlebt, das Szenario eines übergriffigen Kontrollstaats. Droht sich ausgerechnet die EU jetzt in diese Richtung zu entwickeln?

Sonneborn: Eigentlich war Orwells „1984“ ja als dystopischer Zukunftsentwurf gemeint, nicht als Gebrauchsanweisung. Das scheinen aber manche in der EU missverstanden zu haben: Informationsbeschneidung auf der einen Seite, Überwachung auf der anderen. „Desinformation“ ist dabei ein ganz wichtiges Stichwort. Das hat Ursula von der Leyen ja gerade in Davos auf die Tagesordnung gesetzt: Die größte Bedrohung seien gar nicht Kriege oder der Klimawandel, sondern Desinformation. Dabei ist schon der Begriff problematisch, der eigentlich dem Gedankenkosmos der Geheimdienste entstammt. Im Moment steuern wir auf eine Situation zu, in der alles, was nicht der Regierungssicht entspricht, als „Desinformation“ kategorisiert und unter Strafe gestellt werden kann. Den Bürgern sollte sich langsam die Frage stellen, wer hier eigentlich was gegen wen zu „schützen“ versucht.

WELT: Warum gibt es im Parlament keinen Widerstand gegen diese Tendenzen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit?

Sonneborn: Den gibt es, aber nur von den kleinen Parteien. Sie stehen der Querfront der großen Parteien gegenüber, die alle gewillt sind, sich die eigene Unterstützung antidemokratischster Maßnahmen noch schönzureden - jede natürlich aus ihren jeweils eigenen Gründen.

WELT: Auch viele Linke unterstützen heute eine weitreichende Einschränkung der Meinungsfreiheit – solange es offiziell um den Kampf gegen „Hass uns Hetze“ geht.

Sonneborn: Man kann diese Haltung, zumindest als alter Linker, eigentlich nicht als links bezeichnen. Aber der Begriff „links“ muss eh neu definiert werden. In Deutschland treiben SPD und Grüne die Einschränkungen sehr stark voran. In Irland ist vor kurzem ein Hate-Speech-Gesetz vom Unterhaus verabschiedet worden, in dem schon der bloße Besitz von „hassredetauglichem“ Material auf iPhone oder Computer strafbar ist. Außerdem wurde die Beweislast umgekehrt, der Staat geht von Ihrer Schuld aus, bis Sie Ihre Unschuld beweisen. Die Polizei kann auf bloßen Verdacht hin Hausdurchsuchungen vornehmen und die Herausgabe Ihrer Passwörter fordern. Ein lustiges Bildchen von Olaf Scholz auf dem Handy, ein Film von Außenministerin Baerbock, die von „gefanzerten Pahrzeugen“ oder einem „Bacon of hope“ schwärmt, und der Verdacht, dass man es ins Netz stellen möchte, reichen dann womöglich schon, um hinter Gittern zu landen.

WELT: Das EU-Gesetz zur „Chat-Kontrolle“ wird damit begründet, dem Kampf gegen Kinderpornografie zu dienen.

Sonneborn: Die Fachleute wissen, dass Kinderpornografie in geschlossenen Gruppen oder Foren ausgetauscht wird, die durch „Chat-Kontrolle“ gar nicht zu erreichen sind. Das ist eine Form von Kriminalität, die im Verdeckten stattfindet. Und die Überwachung dieser Szene ist schon recht hoch. Die Notwendigkeit flächendeckender Datensammlungen, die alle Bürger betreffen, ist oft ein Scheinargument. Im Fall des islamistischen Terrors zum Beispiel waren in fast hundert Prozent aller Fälle in Deutschland die Täter vorher schon verdächtig und polizeibekannt. Wir haben offenbar längst genug Daten, um die Gefährder zu identifizieren – aber dann nicht die Ressourcen, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Vielleicht sollte man eher daran schrauben, anstatt die Ermittler mit noch mehr Material zu überladen.

WELT: Im Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Desinformation spielen sogenannte „Faktenchecker“ eine immer wichtigere Rolle. In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie in der Zeit der Corona-Pandemie mit einem dieser Portale in Konflikt gerieten. Während in Deutschland noch so getan wurde, als könne nur die Impfpflicht eine Katastrophe verhindern, teilten Sie auf Twitter eine Nachricht darüber, dass die Omikron-Welle in Frankreich schon vorbei war.

Sonneborn: Daraufhin hat mich der „Volksverpetzer“ öffentlich angegriffen, ich würde Fake News verbreiten. Dabei basierten die Presseberichte auf Daten der französischen Gesundheitsbehörde und ich hatte die Quelle angehängt. Natürlich hat sich all das später bewahrheitet, Corona war vorbei, auch ohne Impfpflicht. Unsere Praktikantin hat damals recherchiert, dass der „Volksverpetzer“ im Umfeld grüner Bundestagsmandate arbeitet. Das stört ja kaum jemanden heutzutage, Regierungsparteien finanzieren aus Steuergeldern „Fact-Checker“. Wenn aber vermeintlich objektive Instanzen im Meinungswettbewerb eigentlich parteiisch agieren, überschreitet das die Grenze zu bewusster Täuschung und Manipulation.

WELT: Die verrückteste Geschichte des Buchs handelt von einem ungarischen Abgeordneten, den die Polizei nackt und mit einem Rucksack voller Kokain an einer Regenrinne hängend erwischte.

Sonneborn: Mein Kollege József Szájer hatte an einem Gangbang mit über dreißig Männern in einem kleinen Hinterzimmer über einer Bar teilgenommen. Belgien hatte einen strikten Corona-Lockdown zu der Zeit, Orgien waren verboten. Leider lag schräg gegenüber eine Polizeiwache. Als die Polizei einschritt und ihn bei der Flucht an der Regenrinne aufgriff, wollte er sich mit seinem Diplomatenpass aus der Affäre ziehen. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um den Vizepräsidenten der christlichen EVP handelte, der in Ungarn unter Viktor Orbán die neue Verfassung entworfen hatte – für Familie, Kirche und Vaterland, gegen LGBTQ-Werte. Ein Vordenker der konservativsten, nationalistischsten Ungarn. Ich habe später im Netz viel Kritik dafür bekommen, dass ich zu dieser Veranstaltung nicht eingeladen war.

WELT: Der französische Historiker Emmanuel Todd hat gerade einen Bestseller über den „Untergang des Westens“ geschrieben. Ihr Buch liest sich auch ein bisschen wie ein kulturpessimistisches Manifest.
Sonneborn: Das habe ich nicht gewollt! Ich schwöre aber, dass unser Bestseller doppelt so witzig ist wie der von Todd.

WELT: Treten Sie auch deshalb im Juni noch einmal zur Wahl an, weil Sie wie alle Politiker am Mandat kleben?

Sonneborn: Smiley! Die erste Kandidatur war ein Unfall, der Einzug ins Parlament kam absolut überraschend. Beim zweiten Mal war es Trotz, wir wollten uns nicht von SPD und CDU mit einer äußerst plumpen, grundgesetzwidrigen Wahlrechtsänderungen vor die Tür setzen lassen. Auch diesmal befinden wir uns wieder in einer prozessualen Auseinandersetzung und das Bundesverfassungsgericht hat den Bundespräsidenten gerade gebeten, das neue Gesetz zur Sperrklausel nicht auszufertigen.

WELT: Um in den kommenden vier Jahren was zu tun?

Sonneborn: Was wir in Brüssel tun können, ist: Transparenz herstellen. Wahrscheinlich ist das eine Missachtung des traditionellen Berufsbilds Mandatsträger. Aber da es nur wenige kritische Medien in Brüssel gibt und kaum Zugang zu Informationen über die dystopischen Entwicklungen, auf die wir uns zubewegen, würde ich hier gern weiter schlechte Witze machen. Auch wenn das die großen Parteien sehr stört.

WELT: Die Partei hat Sibylle Berg, eine Schriftstellerin und Journalistin, auf dem zweiten Listenplatz aufgestellt.

Sonneborn: Sie ist klug, kritisch und kennt die EU sehr gut aus ihren eigenen Büchern. Sie ist in der Lage, Kritik zu üben in Interviews, Theaterstücken, in Kolumnen und im Netz. Ich werde ihr meine Stimme geben. Wenn Sibylle Berg mit einzieht, glaube ich, dass wir hier noch viel mehr öffentlich machen können.

WELT: Haben Sie Angst, dass die Wagenknecht-Partei Sie Stimmen kostet?

Sonneborn: Im Prinzip machen wir etwas Vergleichbares, das stimmt schon. Nur: wir machen es unterhaltsamer. Und mit etwas größerer Außenwirkung, hoffe ich.
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