Ein paar Details hat die "Zeit" hier:
Zitat:
Rechts******* Morddrohungen: Hass 2.0
Seit Jahren versenden Rechts******* Morddrohungen. Die Polizei ermittelt erfolglos. Nun führen Spuren ins Darknet.
Der Angeklagte in Saal 501 des Landgerichts Berlin hockt gebeugt über seinem Laptop, ungelenk tippt er auf der Tastatur, seine Lippen lesen jedes Wort mit. Gekleidet ist er ganz in Schwarz, die Haare sind zu einem buschigen Zopf gebunden, das Gesicht ist blass. André M. wirkt verloren. Das soll ein Schreiber von Drohbriefen sein, die das Land in Atem halten?
Vorn sitzt ein Beamter des Landeskriminalamts Berlin und erzählt Details aus einer Zeit, als André M., 32, offenbar unter dem Pseudonym "Nationalsozialistische Offensive" Post durch die Republik schickte. Als er Sprengstoffanschläge in Gerichten und Bahnhöfen ankündigte, wirre, rechts******* Pamphlete versendete und Politikerinnen mit dem Tod bedrohte, so wirft es ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Auf Bildern, die bei M. gefunden wurden, posierte er vermummt mit Waffen, er ist ein glühender Neonazi. Ein psychiatrisches Gutachten attestiert ihm zudem eine schwere Persönlichkeitsstörung. Es gibt wenig Zweifel daran, dass M. für eine Reihe rechter Drohbriefe verantwortlich ist. Seit mehr als einem Jahr sitzt er in Haft. Wäre er ein Einzeltäter, dann wäre die Serie längst zu Ende.
Doch noch immer gehen bei Politikerinnen und Anwältinnen Drohungen ein, teils gespickt mit vertraulichen Daten der Polizei. Auch die Drohbriefserie des sogenannten "NSU 2.0", die vor zwei Jahren mit einem Fax an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız begann, geht weiter. Und noch immer ist nicht aufgeklärt, wer die Daten der Anwältin und weiterer Betroffener an Polizeicomputern abfragte. Die Drohungen sind zum Inbegriff der Diskussion über Verbindungen der deutschen Polizei nach rechts außen geworden. Ein hochrangiger Polizist in Hessen ist zurückgetreten, der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) hält es für möglich, dass es ein rechtes Netzwerk in der Polizei gibt. Wer sind die Täter? Und steht André M. mit ihnen in Verbindung?
Am Morgen des 21. April dieses Jahres, als der Prozess gegen André M. eröffnet wird, geht beim Landgericht Berlin per Fax eine Bombendrohung ein. "In wenigen Minuten beginnt der Hvt gegen André M.", heißt es dort. "Hvt", das ist in der Justiz die Abkürzung für "Hauptverhandlungstermin". Im Umfeld des Saals 220 seien "zahlreiche Sprengsätze" deponiert. Auch den Namen des Vorsitzenden Richters und das Aktenzeichen des Gerichts nennt der Autor. Gezeichnet ist die Drohung mit "NSU 2.0". Die Beamten, die den Saal durchsuchen, finden: nichts.
Drei Wochen später erreicht die zuständige Staatsanwältin eine Mail, verschickt wurde sie von einer E-Mail-Adresse des russischen Anbieters Yandex. Diesmal nennt der Schreiber auch das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft – und offenbart ein verblüffendes Fachwissen: die Staatsanwältin habe ja "Sitzungsvertretung bis zum 3.9.2020". Diese Informationen sind nicht geheim. Aber für Laien schwer zugänglich.
Schließlich schreibt derselbe Absender am 21. Mai eine Mail an die zuständige Ermittlerin des Berliner Landeskriminalamts, benennt präzise das Fachreferat des LKA und zitiert M.s Geburtsdatum. Alle drei Schreiben haben eines gemeinsam: Der Verfasser verfügt offenbar über detailliertes Wissen aus der Berliner Justiz und wahrscheinlich auch aus der Berliner Polizei. Womöglich existiert nicht nur in Hessen ein Leck im Sicherheitsapparat, sondern auch in Berlin. Gibt es einen Zusammenhang?
Hat der User "Wehrmacht" etwas mit den Bedrohungen zu tun?
Das erste bekannte Schreiben, das Polizeiwissen enthält, stammt aus dem Sommer 2018, es erreichte Seda Başay-Yıldız am 2. August 2018 um 14.51 Uhr.
Die Frankfurter Rechtsanwältin ist aus diversen Verfahren bekannt, unter anderem weil sie Angehörige eines Opfers des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) vertrat. "Dieses kostenlose Fax wurde Ihnen von Uwe Böhnhardt geschickt", stand im Briefkopf. Böhnhardt war bis zu seinem Suizid Teil des NSU, der zwischen 2000 und 2007 in einer rechtsextremistischen Mordserie zehn Menschen umgebracht hatte. Der unbekannte Absender beschimpft die Anwältin und endet mit "Gruß, NSU 2.0". Es war das erste Mal, dass selbst ernannte Wiedergänger der Nazi-Mordbande Menschen bedrohten. Aber es war erst der Anfang.
Nur eine gute halbe Stunde zuvor, zwischen 14 und 14.15 Uhr, hatte jemand im 1. Revier an der Frankfurter Zeil Başay-Yıldız’ Daten im Polizei-Computer abgefragt – darunter gesperrte, persönliche Informationen. Entweder, so weiß man heute, ist der Drohbriefschreiber selbst ein Polizeibeamter – oder aber er verfügt über sehr gute Verbindungen zu einem Beamten oder einer Beamtin.
André M. kann mit alldem nichts zu tun haben. Er wird erst Anfang Oktober 2018 aus der Haft entlassen, einige Wochen nach dem Fax an Başay-Yıldız.
Vier Jahre hatte M. in mehreren Gefängnissen verbracht, unter anderem wegen versuchter Brandstiftung. Es war seine zweite Haftstrafe, nachdem er als junger Erwachsener wegen gefährlicher Körperverletzung und Brandstiftung verurteilt und später lange Jahre in einer psychiatrischen Klinik untergebracht worden war.
Laut einem Gutachten leidet er an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit "paranoiden, dissozial und emotional instabilen Anteilen". Immer wieder fiel M. auch mit seiner rechts*******n Gesinnung auf. Fotos seines Zimmers zeigen Hakenkreuz-Flaggen und andere NS-Devotionalien.
Nach der Haftentlassung im Oktober 2018 flüchtet sich M. ins Darknet, einen weitgehend anonymen Teil des Internets. Dort ist er Mitglied in einem Forum namens "Deutschland im Deep Web 2". Der User-Name von André M. in diesem Forum: "Stahlgewitter".
Im Darknet tauscht sich M. über Waffen aus, über Drogen und Sprengstoff. Auszüge der Chats liegen der ZEIT vor. Im November 2018 schreibt M.: "In erster Linie such ich Munition im Kaliber 7,65mm Browning. Und ich suche Schusswaffen diverser Art, zwecks Sammeln." Die Mitglieder des Forums scheinen aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands zu kommen, in einer Sache aber gleichen sie sich: Sie stehen politisch weit rechts.
Als im Dezember 2018 die ersten Meldungen über die Drohnachrichten an die Anwältin Başay-Yıldız veröffentlicht werden, sind sie auch Thema in dem Forum. Unter einen Presse-Artikel, in dem eine weitere Drohmail mit Bezug zum "NSU 2.0" als "wirr" bezeichnet wird, schreibt ein User namens "Wehrmacht": "Wo bitteschön schreiben wir denn wirres Zeug?" Die Wehrmacht, "also wir", rufe zum Mord an "diesem anatolischen Abschaum auf".
Hat der User "Wehrmacht" etwas mit den Bedrohungen zu tun?
"Wehrmacht" und André M. nehmen im Forum Kontakt auf und nähern sich einander an. Die beiden beginnen, verschlüsselte Nachrichten auszutauschen. Im Januar 2019 schreibt "Wehrmacht" an André M. in einer privaten Nachricht: "Herzlichen Glückwunsch, du wurdest einverleibt." M. sei jetzt "Teil der Wehrmacht", zu der auch "NSU Zwei" zähle. Wenig später wird André M. in einer eigenen Drohnachricht von seinen "Partnern" "NSU 2.0" und "Wehrmacht" sprechen.
Wie konnte der Absender an geheime Informationen kommen?
Im Forum schreibt André M., er wisse, dass "Wehrmacht so einiges macht". Dieser habe ihm mehrfach geschrieben, "was er raushaut". Und danach habe es bundesweite Polizeieinsätze gegeben. "Wehrmacht" führe die Behörden seit "Ewigkeiten" an der Nase herum. In einer privaten Nachricht aus dem März 2019 schreibt mutmaßlich "Wehrmacht" an André M.: "Wir sind eine Übermacht, gegen die sie nicht ankommen werden, weil sie technisch nicht dazu in der Lage sind." Und: "Aber schön zu wissen, dass der Staatsschutz nun ermittelt, ich wünsche den Amateuren viel Spaß."
Kurze Zeit später nehmen Ermittler André M. fest. Er hatte einen Fehler begangen und in einer Mail an eine Politikerin den Namen einer Internetbekanntschaft genannt. Damit war er aufgeflogen.
Zu den Opfern der Drohnachrichten des "NSU 2.0" zählt auch Anne Helm, Fraktionsvorsitzende der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. Die erste Mail erreichte sie vor drei Wochen, in der Nacht zum 5. Juli. Danach habe sie in kurzen Abständen immer wieder Nachrichten erhalten, sagt Helm, meist mit frauenverachtendem, vulgärem, rechts*******m Inhalt. Die Nachrichten kamen von derselben russischen Yandex-Adresse, von der auch die Mails an die Staatsanwältin und die LKA-Ermittlerin versendet wurden. Als sie ihr erstes Schreiben erhielt, war es aber nicht nur die Sprache, die sie fassungslos machte. Wie in der Nachricht an die Anwältin Başay-Yıldız fand sich auch bei ihr eine persönliche Information, die nicht öffentlich ist. Helm möchte nicht darüber sprechen, worum es genau geht. Aber es handelte sich um ein Detail, das sie zur eigenen Sicherheit nirgendwo angegeben hatte. Bis heute fragt sich Helm: Wie konnte der Absender an die geheime Information kommen?
Schon die schiere Masse der Nachrichten, sagt Anne Helm, zerre an den Nerven. Der Absender reagiere auf vieles, was sie sage. Vor einigen Tagen etwa habe sie ein Radio-Interview gegeben, in dem sie über mögliche Verbindungen ihres Falls zum Fall der Polizisten in Hessen sprach. Noch in der Nacht, sagt sie, habe sie die nächste E-Mail mit der Androhung von Gewalt erhalten.
Analysiert man die Mailadressen, die Versandwege und die Sprache der Mails, zeigt sich: Die verschiedenen Drohserien hängen offenbar zusammen, die Täter nutzen Verschlüsselung und ausländische Mailanbieter, an die die deutschen Ermittler nicht herankommen. Es scheint sich um mindestens zwei, womöglich noch mehr Männer zu handeln, die sich im Darknet absprechen. Einer von ihnen war André M., mutmaßlich für alle Schreiben verantwortlich, die als "Nationalsozialistische Offensive" abgeschickt wurden. Ein anderer ist der Autor der Drohschreiben, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet sind. Seine Mails an Anne Helm und andere werden meistens über die gleiche Adresse verschickt.
In mehreren Fällen enthielten sie vertrauliche Daten aus Polizei und Justiz, in anderen nicht. Es wirkt, als könnte der "NSU 2.0" nur hin und wieder auf neue Informationen zugreifen. Der Autor ist offenbar entweder Polizist oder hat einen Helfer bei der Polizei – oder er hat einen Ort gefunden, etwa im Darknet, an dem er Informationen verschiedener Personen sammelt und mit anderen austauscht. Einiges spricht dafür, dass es sich dabei um jenen Nutzer handelt, der Ende 2018 als "Wehrmacht" auftrat.
"Wir sind ein lockerer Zusammenschluss heimattreuer Elitekämpfer, die sich nur im Netz unter Pseudonym treffen", heißt es in einer Antwort des selbst ernannten "NSU 2.0" auf Fragen, die die ZEIT an dessen Yandex-Mailadresse schickte. "Keiner kennt keinen persönlich." Wie viele Personen hinter den Mails stünden, wisse er "selbst nicht genau". Auf Nachfrage behauptet er, Listen mit Informationen über die Adressaten der Drohmails würden untereinander weitergereicht. Die Angaben lassen sich schwer überprüfen, passen aber zu den Chats aus dem Darknet.
Warum gibt es nicht längst eine zentrale Ermittlungstruppe?
Am vergangenen Montag vermeldete die Frankfurter Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsergebnis. Ein Ehepaar aus Landshut sei vorübergehend festgenommen worden. Der ehemalige Polizeibeamte und seine Frau sollen angeblich Nachrichten "mit beleidigenden, volksverhetzenden und drohenden Inhalten" verschickt haben. Als die ZEIT den Beschuldigten am Telefon erreicht, erklärt der 63-jährige Hermann S., er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Er sei noch nie im Deep Web gewesen, behauptet S. Seinen Computer hätten die Ermittler mitgenommen. Kurze Zeit nach der Durchsuchung bei S. wurden neue Nachrichten vom Yandex-Account aus versendet. Vermutlich steckt S. nicht hinter dem "NSU 2.0".
Für die Arbeit der Ermittler ist dieser Fall symptomatisch. Seit fast zwei Jahren werden die Drohungen des "NSU 2.0" verschickt, aber noch immer wirken die Fahnder planlos. Lange Zeit schien es, als nähmen sie das Problem nicht ernst. Als Seda Başay-Yıldız vermutete, ihre Daten stammten aus einem Polizei-Computer, hielten Beamte ihr entgegen, es könnten doch ihre Nachbarn gewesen sein. Auch die bedrohte Kabarettistin Idil Baydar berichtet, Ermittler hätten ihr zunächst lapidar geraten, sie solle doch ihre Handynummer wechseln.
Im Fall der hessischen Linken-Politikerin Janine Wissler und dem von Idil Baydar konnten die Ermittler zwar nachvollziehen, welcher Beamte sich zum Zeitpunkt des Abrufs ihrer Daten eingeloggt hatte – vollkommen unerklärlich ist aber, dass der Beamte im Fall Baydar offenbar erst ein halbes Jahr nach der Übernahme der Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft vernommen wurde. Im Innenausschuss des Hessischen Landtags begründete der leitende Staatsanwalt die Verzögerung mit der Corona-Krise.
"Zwei Jahre lang haben es die unterschiedlichen Landesbehörden nicht vermocht, erfolgreich gegen die Drohungen und deren Urheber vorzugehen", sagt die Bundestagsabgeordnete der Linken, Martina Renner, die ebenfalls bedroht wird. Erst durch den öffentlichen Druck scheine jetzt "Bewegung in die Sache zu kommen". Sie fordert, dass der Komplex vom Bundeskriminalamt unter der Führung des Generalbundesanwalts untersucht werde.
Merkwürdig ist, dass die Ermittlungen gegen André M., gegen "Wehrmacht" und gegen den "NSU 2.0" bis heute von drei unterschiedlichen Staatsanwälten und zwei Polizeieinheiten in Berlin und Hessen geführt werden. Warum gibt es nicht längst eine zentrale Ermittlungsgruppe, geführt von einem Staatsanwalt, wie es in ähnlichen Verfahren üblich ist? Wie schlecht die Koordination funktioniert, zeigt der Fall eines hessischen Polizisten, der im Verdacht steht, mit der Abfrage zu Başay-Yıldız etwas zu tun zu haben. Der Beamte wurde im Frühjahr 2019 von Frankfurt nach Berlin versetzt. Doch die Berliner Polizei erfuhr erst ein halbes Jahr später von den Ermittlungen gegen ihren neuen Kollegen – und suspendierte ihn.
Auch André M. scheint von den Ermittlern lange nicht ernst genommen worden zu sein. Die ihm zugerechneten Mails bezeichnete die Thüringer Polizei als "verbale Impulsabfuhren und Unmutsbekundungen". Als handele es sich um einen Teenager-Streich. Und das BKA, das seine Mails ebenfalls analysierte, kam zu dem Ergebnis, es werde "keine Ernsthaftigkeit angenommen".
Im Fall von André M., der nach Waffen suchte, der wegen Brandstiftung verurteilt wurde und sich für Bomben interessierte, klingt das nach einer schweren Fehleinschätzung. Vor seiner Festnahme träumte M. im Chat von einem Amoklauf oder einem Bombenattentat. Er schließe auch nicht aus, dass er "alleine losziehen würde, um zu töten".
Er sei eine "tickende Bombe".
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Quelle:
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Die Polizei in Berlin weiss nicht, was die Polizei in Frankfurt ermittelt?
Diese Angelegenheit ist viel zu brisant, um sich derartige Pannen zu leisten.
Hier fehlt immer noch der nötige Nachdruck.
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