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«Querdenker»: Ich mach mir die Welt so, wie sie mir gefällt.

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Ungelesen 24.01.21, 09:08   #1
MotherFocker
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Standard «Querdenker»: Ich mach mir die Welt so, wie sie mir gefällt.

Zitat:
«Querdenker»:
Ich mach mir die Welt so, wie sie mir gefällt. Und wenn sie sich nicht danach richtet, umso schlimmer für sie

«Die Pandemie ist vorbei, wenn die deutsche Bevölkerung entscheidet, dass sie vorbei ist», sagen die «Querdenker». Von Verschwörungstheorie zu sprechen, greift zu kurz. Leugnen von Tatsachen ist eine Form von magischem Denken.


Tilman Allert 56 Kommentare
14.01.2021, 05.30 Uhr




Man kann auf Bedrohungen reagieren, indem man sich weigert, sie zur Kenntnis zu nehmen:
Teilnehmer an einer Kundgebung des «Demokratischen Widerstands» in Berlin, Oktober 2020.


Zur Humanität des menschlichen Lebens zählt die Fähigkeit des Erinnerns und als Kehrseite dazu eine Fähigkeit des Vergessens. Auf ein bewundernswert geistiges Vermögen darf stolz sein, wem es gelingt, Erfahrenes und Erlebtes in einer Balance zwischen Erinnern und Vergessen verfügbar zu halten. Das Leugnen ist von anderer Qualität. Zweifellos handelt es sich um eine Form der Realitätsbewältigung. Zwar liegt es im geistigen Raum des Vergessens, meint allerdings einen kognitiv komplexeren und seelisch strapaziöseren Vorgang.

Leugnen setzt voraus, die Behauptung anzuerkennen, gegen dessen Evidenz sich die Anstrengung des Leugnens richtet. Linguistisch betrachtet, zählt das Leugnen als Sprechakt zu der Klasse von Äusserungen, die markieren, wie mit dem propositionalen Gehalt einer Behauptung zu verfahren ist. Leitet sich das Weltverständnis des Menschen von einer strukturellen Unvereinbarkeit von Glauben und Wissen her, folgt das Leugnen einer Logik der Suggestion, es sträubt sich gegen Ambivalenz.

Von Verschwörungstheorien zu sprechen, wie es derzeit beliebt ist, trifft die Sache nicht. Vielmehr handelt es sich um magisches Denken, dessen kognitiven Gehalt der französische Ethnologe Marcel Mauss vor mehr als hundert Jahren als ein «gigantisches Spiel mit Varianten der Kausalität» beschrieben hat. Magisches Denken setzt ein, wenn Menschen mit schicksalhaften Lebenssituationen konfrontiert sind und nach klaren Zurechnungen suchen.

Mit einem Vertrauten unterwegs


«Komm, liebe Sonne, scheine, lass uns nicht lang alleine, hell durch die Wolken sende deinen Strahl», singen wir mit den Kindern, wenn das Wetter mies ist und man draussen nicht spielen kann. «Daisy» oder «Micky» nennen Erwachsene ihre Autos, heften Aufkleber mit den Namen auf die Karosserie und suggerieren sich auf diese Weise, im Strassenverkehr mit einem Vertrauten unterwegs zu sein, vermeintlich geschützt in einer Situation, die sie von einem Moment auf den anderen mit dem Tod konfrontieren kann.

Leugnen erfolgt kognitiv als Rückbildung des Bewusstseins und imponiert affektiv durch das Versprechen hoher Konsistenz. Die Weltsicht wird ich-synton, wie die Psychoanalyse es nennt – mein Denken, Handeln und Empfinden sind eins mit mir und der Welt. Resonanzräume für das Leugnen kennt auch die moderne Gesellschaft zuhauf. Aus gegebenem Anlass seien drei Milieukonstellationen unterschieden.

Da wäre zum einen das gesinnungsethisch motivierte Leugnen. Dabei folgt man einer Deutung der Welt, für die die Maxime bestimmend ist, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. An die Stelle von Gott kann auch Allah rücken, entscheidend ist eine Wertepräferenz, eine Art lebenspraktische Immunitätsgarantie, die kontextblind spezifische Erfahrungssituationen filtert. Sozial gebündelt ist eine solche Sicht nicht selten in freikirchlichen Gemeinschaften, aber auch andere Milieus übertriebener Glaubensfestigkeit bieten Beispiele für das Sicherheitsversprechen eines geistigen Rigorismus, der skeptisch ist gegenüber allem, was von den Menschen kommt.

Nachträglicher Ungehorsam


Davon zu unterscheiden ist, zweitens, die historische Ignoranz. Sie meint ein Leugnen kraft Verallgemeinerung von Enttäuschungserfahrungen. Das Trauma, unter einer permanent erzwungenen Zwangskonformität gelebt zu haben, wie sie für die Diktatur des Nationalsozialismus sowie diejenige der DDR charakteristisch war, filtert das Verständnis der Gegenwart und verhindert eine angemessene Situationswahrnehmung.

Die Tatsache etwa, dass die wegen der Corona-Pandemie derzeit geltenden Einschränkungen des täglichen Lebens vorübergehend und als solche vom Parlament legitimiert sind, wird notorisch übersehen. Das setzt die Bereitschaft zu einer Art nachträglichem Ungehorsam frei, einer Geste, der sich auch und gerade die Generation anschliesst, die die DDR, die «Ungeheuerlichkeit eines historisch durch und durch kontaminierten Raumes» (Durs Grünbein) mittlerweile nur noch aus Erzählungen kennt – Sachsen wäre ein Beispiel, aber Sachsen gibt es anderswo auch.

Schliesslich tritt das Leugnen in der Ausdrucksform eines soziokulturell vermittelten Rückzugs auf, einer verbreiteten Zugewanderten-Ignoranz. Die Erfahrung einer umfassenden Solidaritätsstütze durch das eigene erweiterte Familien- und Verwandtschaftsgefüge nährt die Suggestion, man habe es bei dem, was im öffentlichen Raum geschieht, mit etwas Fremdem zu tun, allenfalls mit einer Bedrohung, gegen die der Schutzschirm des familialen Partikularismus bewusst oder unbewusst Halt verspricht. In keinem Ereignis bringt sich das Selbstverständnis derart eindringlich zum Ausdruck wie in Familienfesten, in einer Hochzeit. Sie bekräftigt die Exklusivität der eigenen gegenüber der fremden Welt.

«Diese Welt gefällt mir nicht»

In allen drei Fällen, die sich empirisch durchaus überschneiden können und nicht auf ein Land wie Deutschland beschränkt sein müssen, hat man es mit einem Differenzierungsverzicht zu tun, man kann salopp sagen: einer Form von Dummheit. Das ist folgenreich, weil Dummheit sich leichter organisieren lässt als Klugheit. Als ein Sonderfall des Leugnens kommt viertens das hinzu, was im Milieu der «Querdenker» gepflegt wird: eine moderne Form von Okkultismus.

Die Argumentation der «Querdenker» scheint die Bezugsereignisse zweier Diktaturen, die für die politische Moral Deutschlands bestimmend sind, hinter sich zu lassen. «Die Pandemie ist vorbei, wenn die deutsche Bevölkerung entscheidet, sie ist vorbei», so klingt die öffentliche Rede von Michael Ballweg, einem Mann Mitte vierzig, den, wie er selber sagt, die Sorge um die Grundprinzipien der demokratischen Ordnung umtreibt. Mittlerweile hat sich sein Engagement zu einer landesweiten und zunehmend bundesweiten politischen Bewegung ausgedehnt.

Ursprünglich hatte der seit einem Jahr ökonomisch abkömmliche Unternehmer, ein Tüftler aus der IT-Branche, zu einem Sabbatical aufbrechen wollen, einer Selbstreflexion nach einem anstrengenden Arbeitsleben. Die Überzeugung jedoch, «nicht mehr in einem Rechtsstaat zu leben», hat die Reisepläne des Beinahe-Aussteigers auf den Kopf gestellt. Stattdessen steht er nun auf Rednerbühnen; im Habitus und rhetorisch mit dem Charme eines frisch gewählten Schulsprechers, antwortet er auf die Interviewfrage, «ob sich für dein Leben etwas geändert» habe: «Die Welt, die von der Regierung vorgemacht wird, gefällt mir nicht.»

Der Redner auf der Kiste

Kognitiv haben wir es auch hier mit Magie zu tun, vorgetragen im bizarren Wohlgefühl von jemandem, der auf einer Holzkiste im «Speaker’s Corner» des Londoner Hyde Park steht und sich im Geheimen vielleicht sogar darüber wundert, dass die Leute ihm bereitwillig folgen. Seinem Genius vertrauend, bestaunt er den Kometen, der er selbst ist, und betreibt Politik als Form persönlicher Zerstreuung.

Mit der Forderung, «Abschaffung der geltenden Corona-Massnahmen», bedient der Redner zunächst die Bevölkerung in Baden-Württemberg, dem Land des altmittelständischen Musters eines Handwerkerfleisses, dessen grüblerische Klugheit seit eh und je das Selbstgefühl der Menschen dieser Region begründet hat. Hinzu kommt, dass ein «Reingeschmeckter», beruflich erfolgreich im Entwickeln von Apps, das Wort ergreift. Das lässt aufhorchen und findet Zustimmung.

Der Versuch, den sozialen Resonanzraum des «Querdenkens» typologisch zu erfassen, sollte nicht aus dem Blick geraten lassen, wie stark dergleichen Ideen verbreitet sind, würde man die Meinung der Bevölkerung ausschliesslich auf der Ebene von Umfrageergebnissen zu einem Kriterium machen. Seit Bestehen der Bundesrepublik würden um die 15 Prozent der Befragten Werten und Urteilen zustimmen, die weit entfernt sind vom offiziellen Selbstverständnis der Nation als eines demokratischen Verfassungsstaats.

Ein Aufdruck auf einem T-Shirt

Ressentimentgeladene Institutionenkritik ist jederzeit leicht abrufbar, im Echoraum der Social Media wird dergleichen täglich befeuert. Das Deutschland nach der Erfahrung zweier Diktaturen lebt hingegen politisch von der Klugheit seines Institutionengefüges, vom Zusammenspiel komplexer, aufeinander abgestimmter rechtsstaatlicher Verfahren. Ungewollt prägnant kommt dies in der bekannten Geste der Kanzlerin zum Ausdruck, der Raute – eine leise Mahnung an manche, die sich mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl nach «klarer Kante» sehnen.

Die bisherige Erfahrung mit der politischen Ordnung des Landes, zu welcher der notorisch als Flickenteppich gebrandmarkte Föderalismus wesentlich gehört, stützt die Erwartung, dass auch die gegenwärtige Belastungskrise zu bewältigen ist. Solange die Mehrheit der Bevölkerung ihre Fähigkeit zu denken zum Nachdenken verwendet, darf man die optimistische Prognose wagen, dass «Querdenken» dereinst vielleicht nur als Aufschrift auf T-Shirts in Erinnerung bleibt – ohne dass noch jemand wüsste, wofür der Begriff einmal stehen sollte.

Tilman Allert ist Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Im Frühling erscheint im Verlag zu Klampen sein Buch «Zum Greifen nah. Von den Anfängen des Denkens».
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