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Konservatismus - Flanke von Rechts

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pauli8
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Standard Konservatismus - Flanke von Rechts

Ein interessanter Artikel...

Zitat:
Konservatismus

Flanke von Rechts

Im Streit um den Umgang mit der AfD kramen manche in der CDU eine alte Erzählung hervor: das angeblich fehlende konservative Profil. Die Story ist auch historisch falsch.

Von Thomas Biebricher

15. Februar 2020, 10:03 Uhr



Wackelbild: Wohin soll es mit der CDU gehen? © OPTI 2000 für ZEIT ONLINE

Die Nach-Kramp-Karrenbauer-Ära der CDU begann mit einer Kuriosität. Die ARD strahlte am Tag, als die amtierende Parteivorsitzende ihren mehr oder weniger baldigen Rückzug von diesem Amt ankündigte, abends die Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst aus, die zwei Tage zuvor in Aachen aufgezeichnet worden war. Ausgezeichnet wurde dort Armin Laschet, der allem Vernehmen nach zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Kramp-Karrenbauers Entscheidung wusste. Und so bestand nach deren Rücktrittsankündigung die erste längere Wortmeldung eines potentiellen Kandidaten auf ihre Nachfolge zumindest für das überregionale Fernsehpublikum in einer launigen Karnevalsrede des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, der unter anderem den ebenfalls anwesenden Friedrich Merz, aber auch ironisch-indirekt Kramp-Karrenbauer aufs Korn nahm.

Als Laschet seine imaginäre Liste an möglichen CDU-Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten humoristisch durchgegangen war und sich unzufrieden mit der Auswahl zeigte, wurden kurzzeitig "Armin, Armin"-Rufe aus dem Publikum laut. Auch die Menschen im Saal wussten selbstverständlich nicht, dass Laschet sich wenige Stunden später mitten im Rennen um den Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur der CDU befinden würde.

Die Aachener Ordensverleihung war in gewisser Weise der passende Abschluss einer überaus turbulenten Woche, die geradezu dazu einlud, die Bühne der Karnevalssitzung zum einzig vernünftigen Ort der Republik oder gar der Welt zu erklären, wie Laschet es dann auch tat. Wenige Tage zuvor war der Fraktionsvorsitzende der FDP im thüringischen Landtag mit Stimmen der AfD, aber auch der CDU zum Ministerpräsidenten gewählt worden. In den folgenden Stunden und Tagen offenbarte sich einer erstaunten Öffentlichkeit eine Mischung aus Dilettantismus und Opportunismus, die man dem selbsterklärten "bürgerlichen" Lager aus CDU und FDP nicht zugetraut hätte – oder nur nicht zutrauen wollte.

Doch bei aller Fassungslosigkeit über das Agieren der thüringischen Protagonisten Thomas Kemmerich und Mike Mohring sowie den bisweilen jämmerlich wirkenden Schadensbegrenzungsversuchen der FDP-Spitze (Kemmerich sei von seiner Wahl "übermannt" worden, so Christian Lindner) stellt sich die Frage, ob sich in Thüringen nicht eine grundsätzlichere Problematik manifestiert, die über das zweifelhafte Verhalten der Akteure hinausweist.

Schließlich hat der Aufstieg der AfD eine Debatte in der CDU und der CSU mit neuer Schärfe entfacht hat, die die Schwesterparteien aber schon wesentlich länger beschäftigt: Wie konservativ kann, soll oder muss die Union sein beziehungsweise wieder werden?

Die angeblich "offene Flanke auf der rechten Seite"

Dass diese Frage vor allem in der CDU heute mit einer neuen Dringlichkeit gestellt wird, liegt an einem Narrativ, das in Teilen des Unionslagers, aber auch weit darüber hinaus als plausibel gilt: Die Stärke der AfD sei nicht zuletzt der konservativen Entkernung der Union unter der Kanzlerschaft Angela Merkels anzulasten. Schließlich waren es vor allem konservative Ex-CDU-Mitglieder aus dem Westen wie etwa Alexander Gauland und Konrad Adam, die die AfD im Jahr 2013 aus Ablehnung der Merkel-Politik mitgründeten, um dieser eine konservativ-liberale Alternative gegenüberzustellen.

Der Merkel-Kurs der vermeintlich schleichenden
Sozialdemokratisierung der CDU in Kombination mit einer auf Dauer gestellten Große-Koalition-Konstellation habe ein Vakuum am rechten Rand der Union entstehen lassen, so geht die These weiter. In diese "offene Flanke auf der rechten Seite", wie es Horst Seehofer einmal ausdrückte, sei die AfD gestoßen. Die Wendung vom "Fleisch aus unserem Fleische", die bei der CSU auch schon mal für die Freien Wähler in Bayern angewendet wurde, gilt manchen in der Union offenkundig auch für die AfD. Was bedeutet: Deren Anhängerschaft könne zurückgewonnen werden, würde man nur wieder Unionspolitik pur betreiben (können).

Die Übernahme dieses Narrativs, das ja keineswegs nur die am Rande der Lächerlichkeit irrlichternde CDU-Gruppierung der WerteUnion pflegt, sondern auch immer wieder von Friedrich Merz und anderen Unionsgrößen bedient wird, besteht in einer recht simplen, womöglich auch eindimensionalen Vorstellung der politischen Landschaft. Die bestätigt in gewisser Weise die Selbstdarstellung der AfD, zumindest wie Alexander Gauland sie öffentlich mit dem Beharren auf der eigenen "Bürgerlichkeit" erzählt: Die AfD, so die Vorstellung mancher CDU-Repräsentanten, sei schlicht eine konservativere Version der Union, die durch eine konservative Erneuerung von CDU und CSU wiederum obsolet werden würde. Schließlich würde die AfD von vielen nur aus Protest gewählt, um so einen Kurswechsel in ihrer angestammten politischen Heimat der Union herbeizuführen, in die sie dann auch wieder zurückkehren würden.

Es gilt nun also, drei miteinander verknüpfte Fragen zu klären: Wie stichhaltig ist eigentlich die Erzählung von der "Vermerkelung" der Union und dem damit verbundenen konservativen Substanzverlust? Könnte die Union gegebenenfalls konservatives Profil zurückgewinnen? Und schließlich: Wie konservativ sind die AfD und ihre Anhängerschaft?

In einem Diskursraum, der von der Neuen Rechten bis in die Mittelstands- und Wirtschaftsunion der Union und den konservativen Berliner Kreis innerhalb der CDU reicht, gehört die These von der Sozialdemokratisierung der Union unter Merkel zum Standardrepertoire – dies allein würde die These natürlich noch nicht als falsch ausweisen. Sie ist aber erstens insofern wenig aussagekräftig, als "Sozialdemokratisierung" seit dem Ende der Schröder-Ära der SPD in etwa alles und nichts bedeuten kann. Zweitens ist die These insofern unpräzise, als man eher von einer Liberalisierung und Modernisierung der Union sprechen müsste. In der Darstellung ihrer Kritiker erscheint es bisweilen so, als ob Angela Merkel in einer Art Putsch von oben diese Modernisierung der CDU handstreichartig der Partei aufoktroyiert habe und so einer bis dahin vital-konservativen Union den rechten Zahn gezogen habe.

Das trifft aber nicht zu. Die Reformen der Ära-Merkel wurden in allen Fällen von den Parteigremien mitgetragen, solange die politischen Erfolge stimmten. Schließlich ging es hier ja auch gerade um eine "strategische" Öffnung der CDU, die Demoskopen und Wahlforscher der Union schon anlässlich des Machtverlusts von 1998 dringend empfohlen hatten und mit der sie bis 2017 ja auch in den Wahlen auf der Bundesebene durchaus reüssieren konnte.

Wichtiger noch ist aber: Wer einen konservativen Profilverlust allein Merkel zur Last legt, übersieht (geflissentlich), dass die Klage darüber doch wesentlich weiter zurück in die christdemokratische Vergangenheit weist.

Schon die "geistig-moralische Wende" war enttäuschend

Die Rede von der Sozialdemokratisierung der Union findet sich auch schon in der Mehltau-Phase der Ära Kohl Mitte der Neunzigerjahre. Und weit davor: Selbst als Mitte der Achtzigerjahre noch der nationalkonservative Wehrmachtshauptmann a.D. Alfred Dregger Unionsfraktionschef war, Atomstrom eine CDU-Herzensangelegenheit darstellte und schwarze Sheriffs sich noch öffentlichkeitswirksam gegen die "Chaoten" von Brokdorf und Mutlangen profilierten, beschwerte sich bereits der rechte Rand der Union, die von Helmut Kohl annoncierte "geistig-moralische Wende" sei eine große Enttäuschung. Wütend bellte man gegen den vermeintlich zu moderaten Kurs der damaligen schwarz-gelben Koalition.

Mit anderen Worten: Die konservativen Konturen des Unionsprofils waren schon lange vor Merkels Kanzlerschaft verschwommen, wenn sie denn jemals klar erkennbar gewesen sein sollten. Es ist eben keine kurzfristig eskalierte Krise, die sich allein mit dem Namen Merkel verbindet, sondern eine sehr viel länger währende Entwicklung, die sich in unzähligen kleinen und unspektakulären Schritten vollzieht und eher als Auszehrung, Erosion oder Erschöpfung zu bezeichnen wäre.

Von Schwarz-Gelb träumt niemand mehr

Dies führt zur zweiten Frage, inwieweit eine konservative Erneuerung, sollte sie denn wirklich gewollt sein, Aussicht auf Erfolg haben könnte. Die Empirie stimmt einen hier skeptisch, denn im Lauf der vergangenen 40 Jahre sind entsprechenden Aufrufe unzählige Male formuliert worden – sie verhallten ebenso oft ohne nennenswerte Folgen. Und auch wenn ein genauerer Blick hier ein differenzierteres Bild zutage fördert, so gilt dies in der Gesamtschau bereits für das Projekt der bereits erwähnten "geistig-moralischen Wende", die sich im Rückblick ja auch als konservativer Erneuerungsversuch deuten lässt und zumindest im Urteil der damaligen Zeitgenossen krachend scheiterte.

Aktuell kommt erschwerend die strategische Konstellation ins Spiel, mit der sich die Union konfrontiert sieht: Betrachtet man die Wahl- und Umfrageergebnisse der letzten Monate und unterstellt, dass keine schweren innen- und/oder außenpolitischen Krisen die Verhältnisse noch einmal völlig auf den Kopf stellen, dann spricht vieles dafür, dass sich die Union am Bundestagswahlabend im Herbst 2021 – so es denn dabei bleibt und die große Koalition nicht vorher beendet wird – einer klaren Option für eine schwarz-grüne Bundesregierung gegenübersieht.

Zwar dürfte diese Koalition nicht im strengen Sinne alternativlos sein. Aber von einer kommenden schwarz-gelben Mehrheit träumt weder bei der Union noch der FDP irgendjemand ernsthaft; nach den Erfahrungen der letzten Jamaika-Verhandlungen auf Bundesebene wird sich auch niemand außer Christian Lindner in absehbarer Zeit wieder auf diese Konstellation einlassen.

Was, wenn Schwarz-Grün kommt?

Dies bedeutet, dass sich Union und Grüne zumindest auf die reale Möglichkeit eines gemeinsamen Regierens einstellen müssen. Auch wenn der ein oder andere Grüne den Konservativen in sich entdeckt haben mag, spielt der dezidiert ökologische Konservatismus eines Winfried Kretschmann doch in einer völlig anderen politischen Tonart als vieles von dem, was sich etwa die WerteUnion unter der Wiederentdeckung des vermeintlich konservativen Markenkerns der CDU vorstellt. Kurz: Die konservative Profilschärfung der CDU läuft Gefahr, dass ihr der einzig realistische Koalitionspartner auf Bundesebene dadurch schon vor der Wahl verloren gehen könnte.

Die andere Seite des strategischen Umfeldes repräsentiert die AfD. Die damit verbundene Problematik verweist auf die Abwege, auf die das Narrativ von der AfD als "Fleisch aus dem Fleische" der Union womöglich zwangsläufig führt, und die im bayrischen Landtagswahlkampf 2018 geradezu lehrbuchartig von der CSU beschritten wurden. Auch wenn dies heute von manchen geleugnet wird und man es sich angesichts der wundersamen Wandlung Markus Söders zum "König der Bienen" (wie Armin Laschet in seiner Karnevalsrede in Aachen spottete) kaum noch vorstellen kann: Die Strategie der CSU bestand eindeutig darin, der AfD das Wasser abzugraben, indem man dröhnend auf den eigenen vermeintlichen Konservatismus pochte – der aber unweigerlich in Form und Inhalt an den Rechtspopulismus erinnerte, mit dem man angeblich nichts zu tun haben wollte.

Alexander Dobrindts Anfang 2018 veröffentlichte Fantasie von einer "konservativen Revolution" und Söders Reden von "Asyltourismus" mögen hier neben dem Verweis auf den Streit zwischen Merkel und Seehofer über die Migrationspolitik als Stichworte genügen.

Abgesehen vom weitgehenden Scheitern der damaligen CSU-Strategie lautet die grundsätzlichere Lehre, die aus dieser Episode zu ziehen ist, dass es für die Union im aktuellen Umfeld schwierig ist, von Law and Order und dem "starken Staat" zu reden, ohne den Eindruck zu erwecken, von der AfD dazu angetrieben zu werden. Man würde annehmen, dass das selbst die WerteUnion nicht wollen kann.

Abgesehen davon stellt sich zuletzt auch die Frage, ob es denn überhaupt jemanden gäbe, der eine solche konservative Profilierung als zukünftiger Vorsitzender glaubhaft verkörpern könnte. Hier fallen immer wieder die Namen der im Wettstreit um den CDU-Vorsitz einst Annegret Kramp-Karrenbauer unterlegenen Friedrich Merz und Jens Spahn.

Nun wird niemand in Abrede stellen, dass es sich bei Spahn um einen hochdynamischen und begabten Politiker handelt, dessen Arbeit als Gesundheitsminister über die Parteigrenzen hinweg gelobt wird und der nicht zu Unrecht hochgesteckte Ambitionen hegt. Und niemand wird leugnen, dass Friedrich Merz einmal ein überaus kompetenter Finanzpolitiker und glänzender Rhetoriker war.

Doch wäre es diesen beiden Männern wirklich zuzutrauen, das konservative Profil der Union zu schärfen? Nur weil einer von ihnen sich früher gelegentlich recht lautstark migrations- und Merkel-kritisch geäußert hat (Spahn) und der andere vor 20 Jahren eine eher verunglückte Leitkultur-Debatte noch nicht einmal initiiert (die zweifelhafte Ehre gebührt nicht Merz, sondern dem verstorbenen Jörg Schönbohm), sondern wiederaufgewärmt hat? Mit anderen Worten und grundsätzlicher formuliert: Wo wären denn die parteiinternen Kräfte und Personen, die der Union ein konservativeres Profil verleihen könnten – wenn dies denn tatsächlich gewollt wäre, was keineswegs ausgemacht ist?

Das führt uns zur letzten Frage und damit noch einmal etwas näher an die spezifischen Gegebenheiten im Fall Thüringen zurück. Traf hier tatsächlich die CDU auf ihre konservativere Alternative in Form der AfD? Allgemein gesprochen lautet die Antwort: Nein. Wenn überhaupt, dann stehen sich mit Union und AfD die politischen Repräsentationsinstanzen zweier fundamental unterschiedlicher Traditionslinien des Konservatismus gegenüber.

Die zwei Traditionslinien des Konservatismus in Deutschland

Auf der einen Seite ist dies der christdemokratische Konservatismus, der in der Nachkriegszeit der BRD geprägt wurde. Diese Traditionslinie gab sich geläutert von den antiliberalen und antidemokratischen Tendenzen, die den deutschen Konservatismus von seinem Beginn im späten 18. Jahrhundert an gekennzeichnet hatten. Der gemäßigte Konservatismus der Union vollbrachte mit dieser Abkehrbewegung eine für ihn typisch werden sollende, mehr oder weniger schmerzhafte Anpassungsleistung. Man brach mit der eigenen Geschichte, die vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland eben auch dadurch gekennzeichnet war, dass Teile des deutschen Konservatismus die liberale Demokratie bekämpft hatten. Mit der Gründung der Unionsparteien nach dem Krieg stellte man die liberal eingehegte Demokratie ins Zentrum der eigenen Überzeugungen. In der Folge galt es, diese zu verteidigen, sei es gegen die Gefahren des real existierenden Sozialismus oder die "Kulturrevolution" der 68er.

Dieser Liberalkonservatismus hatte eine vage Vorstellung von einer guten, natürlichen Ordnung, in deren Mittelpunkt eine wie auch immer geartete Stabilität der (hierarchischen) Gesellschaftsstruktur stand, die oftmals garantiert wurde durch eine robuste Form der Staatlichkeit. Abgesehen davon ging es ihm aber vor allem auch um Geschwindigkeitsbegrenzungen in letztlich unvermeidlichen gesellschaftlichen Transformationsprozessen: Diese sollten sich maßvoll, inkrementell und auf der Grundlage des Bewährten vollziehen, womit wiederum allen schwärmerischen Vorstellungen von Revolution und Utopie eine klare Absage erteilt war.

Der neurechte Vordenker Armin Mohler sprach seit den Sechzigerjahren gehässig vom "Gärtner-Konservatismus", der sich nur noch um Hege und Pflege der gesellschaftlichen Vegetation kümmere und allen höhergesteckten Zielen in einem Akt der Selbstverzwergung abgeschworen habe.

Mohler wiederum fungierte als Scharnier, das das Milieu der Neuen Rechten, zu der letztlich auch die AfD zu zählen ist, an ihre spezifische Traditionslinie zurückbindet. Die geht auf den protofaschistischen Jungkonservatismus der Zwischenkriegszeit zurück, dem Mohler retrospektiv das Label der "Konservativen Revolution" anheftete. Ernst Jünger, Carl Schmitt und Arthur Moeller van den Bruck, die zu den Galionsfiguren jener Tradition gehören, hatten keineswegs die Verteidigung des Status quo im Sinn. Ihre Gegenwart, die die der Weimarer Republik war, erschien ihnen dermaßen dekadent und verrottet, dass es daran nichts zu verteidigen gab. Vielmehr müssten erst wieder Dinge geschaffen werden, die es zu bewahren lohnt, wie es in einem immer wieder zitierten Passus bei Moeller van den Bruck heißt.

Die einen wollen zerstören, die anderen erhalten

Daraus ergeben sich aber Schlussfolgerungen, die mit dem Liberalkonservatismus wenig gemeinsam haben beziehungsweise kaum zu vereinbaren sind. Während dieser im Zweifelsfall immer für die staatstragende Stabilität optiert, selbst wenn dies bedeutet, sich mit ungeliebten Neuerungen ins Benehmen setzen zu müssen, glaubt die jungkonservative Traditionslinie, erst das Bestehende zerstören zu müssen, um Neues aufbauen zu können; während der gemäßigt Konservative das Bewährte erhalten und darauf aufbauen will, glaubt sein neurechtes Pendant, dass es gerade das Überkommene ist, die auch von AfD-Vertretern immer wieder sogenannten System- und Altparteien, die abzuschaffen seien; und während der christdemokratische Konservatismus einen schrittweisen Wandel präferiert, sehnt sich die Neue Rechte nach dem radikalen Bruch mit Bestehenden.

Wie weit beide Traditionen letztlich voneinander entfernt sind, hielt Anfang der Neunzigerjahre der damalige Chef der hessischen Staatskanzlei in einem seinem Buch Was ist Konservatismus? fest: Alexander Gauland. Der Untertitel des Buches lautete Streitschrift gegen die falschen deutschen Traditionen, die der Autor bei der "Konservativen Revolution" verortete. Stattdessen verteidigte er einen gemäßigten Konservatismus im Geiste Edmund Burkes. Das hinderte Gauland aber nicht daran, ein Vierteljahrhundert später Vorsitzender einer Partei zu werden, die an genau jene "falschen deutschen Traditionen" anknüpft.

Abschließend stellt sich so die Frage, warum gerade in den Ost-Landesverbänden der CDU das Bekenntnis zum staatstragenden Konservatismus der Geschwindigkeitsbegrenzungen weniger eindeutig ausfällt, als es der Parteispitze im Bund lieb sein kann. Eine Antwort neben diversen anderen könnte lauten, dass die konservative Tradition im Osten Deutschlands eine andere Entwicklung durchlaufen hat als im Westen – und zwar dahingehend, dass der Konservatismus in der ehemaligen DDR aus offensichtlichen Gründen nicht in gleichem Maße eine grundsätzlich staatstragende Ausrichtung herausbilden konnte und stattdessen wesentlich stärker oppositionelle Konnotationen mit sich führt.

Die Hypothese würde dann lauten, dass sich dieser Grundhabitus erhalten hat, obwohl ja die CDU und das entsprechende konservative Milieu gerade in Thüringen und Sachsen nach der Wende aufs Engste mit dem Staat verbunden war. Der tendenziell widerständige Konservatismus bietet offenbar stärkere Anknüpfungspunkte – nicht mehr und nicht weniger – für die neurechte Traditionslinie der "Konservativen Revolution", deren heutige Hauptrepräsentanten im Übrigen alle aus dem Westen stammen.

Jedenfalls könnte das eine Erklärung dafür bieten, warum in Thüringen, aber auch in Sachsen-Anhalt, wo kommendes Jahr gewählt wird, auch aus der CDU Stimmen zu hören sind, die eine Zusammenarbeit mit der AfD weiterhin nicht grundsätzlich ausschließen wollen. Man fragt sich, ob diesen CDU-Vertretern bewusst ist, dass dies die Partei zerreißen würde. Mit unabsehbaren Folgen für das Parteiensystem und das politische System Deutschlands insgesamt.
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