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Die Leere nach den Schüssen

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Ungelesen 27.02.20, 18:40   #1
pauli8
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Standard Die Leere nach den Schüssen

Zitat:
Kiyaks Deutschstunde / Anschlag in Hanau

Die Leere nach den Schüssen

Eine Kolumne von Mely Kiyak



Trauer, Mahnwachen und Solidarität ersetzen keine politischen Handlungen. Die sollten jetzt aber folgen. Und warum war eigentlich die Kanzlerin nicht in Hanau?

26. Februar 2020, 10:53 Uhr

Leere. Vielleicht gibt es andere Menschen, die das auch so empfinden. Diese wahnsinnige Leere. Eine Leere, wie sie nur ein politisches Attentat hinterlassen kann. Diese Leere hat immer ein typisches Bild. Da ist diese Straße mit Blut, ein Auto steht quer, und ein Augenzeuge mit erweiterten Pupillen bemüht seine Erinnerung und spricht in ein Mikrofon.

Die Leere ist in einem drin. Draußen hingegen ist es laut. Wortbrei. Es ist nicht wichtig, dass man hinhört. Das Gesagte folgt einer inneren Ordnung. Jeder weiß, was gesagt werden muss. Also sagen es alle. Dafür, dass jetzt alle geschockt und entsetzt sind, wird ganz schön viel geschrieben und gesprochen. Es weiß ja auch immer jeder über alles Bescheid.

Aber ist es nicht eigentlich so, dass man Terror auch wie eine Art Schlusspunkt nach einer langen Debatte lesen kann? Das politische Attentat in Hanau mit zehn erschossenen Opfern aus niedrigen, menschenfeindlichen Motiven ist wie das Fazit eines Diskurses.

Es bildet das Ende einer Reihe von Meinungsäußerungen. Es ist, wenn man so will, die ultimative letzte politische Meinungsäußerung in einem aus dem Ruder gelaufenen gesellschaftspolitischen Gespräch. Alle Seiten haben gesprochen. Alle Seiten haben ihre Argumente ausgetauscht. Die Parteien, die Medien, die Stiftungen, die politischen Bewegungen, die Initiativen, die Gewerkschaften, die Aktivisten, alle haben alles gesagt. Und jetzt kommt einer, zieht seine Schlüsse und drückt ab.

So gesehen sind alle Ermutigungsparolen ("Zusammenhalten!", "Zusammenstehen!"), die nach einem Massaker gesprochen werden, vergebliche Versuche die Realität umzudeuten. Man kann gegen Terror nicht zusammenstehen, er ist ein Symptom der gesellschaftlichen Spaltung. Da ist doch bereits etwas auseinandergegangen. Und die, die zusammenstehen, stehen innerhalb ihres Lagers zusammen. Nach dem ersten Anschlag, vielleicht, rückt man für immer zusammen oder nie. Das in Hanau war aber der soundsovielte Vorfall.

Auf die Gewalt der Straße müsste man mit staatlicher Gewalt antworten. Sonst wird das nie aufhören. Es kann nur noch darum gehen, das zu beenden, zu ersticken. Und nicht daraus zu lernen oder – noch grotesker – eine Lehre daraus zu ziehen. Die Gewalt des Staates muss so massiv und angsteinflößend sein, dass alle Sympathisanten, die der Ideologie des Attentäters heimlich zustimmen, sich vor Angst in die Hose scheißen. Gewaltbereite, bewaffnete Nazis verstehen nur diese Sprache. Und ihre jämmerlichen Wähler ebenso. Man kann Terror nicht mit Beileidsbekundungen und Hashtags und Mahnwachen in Schach halten. Trauer und Solidarität ersetzen keine politischen Handlungen. Politik wird mit Politik gemacht.

Schade, dass die Kanzlerin nicht da ist. Dass sie nicht nach Hanau fährt und die Eltern in den Arm nimmt. So wie damals die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern in Christchurch. Die band sich ein Kopftuch um (obwohl das keiner der Hinterbliebenen erwartete), ging in die Al- Noor Moschee, dem Tatort und nahm die hinterbliebenen Frauen in den Arm. Keine 48 Stunden später änderte das neuseeländische Parlament die Waffengesetze.

Abwesenheit der Regierung

Warum geht die Kanzlerin nicht zu den Opfern? Warum konnte sie nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle am gleichen Abend in die Neue Synagoge in der Oranienburgerstraße gehen? Und jetzt nach Hanau geht sie nirgendwohin? Wieso ist niemand von der Regierung zu den Opfern gegangen?

Warum hat der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Hanau auf einem Marktplatz gesprochen und die Hinterbliebenen waren gezwungen ihm zu applaudieren? Warum ist er nicht zu den Hinterbliebenen nach Hause gegangen und hat ihre Hand gedrückt? Warum steht er auf dem Marktplatz und legt Blumen auf den Boden, wo doch die Eltern ein paar Hundert Meter weiter wohnen. Da geht man doch hin und klingelt. Und entschuldigt sich für das Fehlen der Kanzlerin, richtet Grüße aus, zieht die Schuhe aus, setzt sich ins Wohnzimmer und trinkt gemeinsam mit ihnen Tee. Und so macht man das bei allen Familien der Hanauer Bürger, die starben. Das waren nämlich, bis auf den Rumänen, der war dienstlich in Deutschland, alles Hanauer Bürger.

Wahnsinnige Leere. Da ist nichts, von dem man sagen könne, da strahlt doch etwas über den Schmerz und den Verlust, etwas über die Katastrophe, das bleibt. Etwas das scheint, das zeigt, dass, was auch immer geschieht, ein kurzer, gemeinsamer Moment entstehen kann. Stattdessen diese vielen Statements. Und der zutiefst sinnlose Streit in der Öffentlichkeit darüber, wer jetzt sprechen darf und soll und wer nicht. Ist das der Zeitpunkt, die Leute in den Talkshows nach kleinkarierten Kategorien durchzuzählen?

Wenn man nicht gemeinsam weinen kann, nicht gemeinsam schweigen, wenn man in seinen eigenen Reihen und Lagern nicht akzeptieren kann, dass ein jeder Tote, der aus politischen Gründen erschossen wurde, ein gemeinsamer Toter ist, mit einer gemeinsamen Fahne, einer gemeinsamen Religion, einer gemeinsamen Sprache, wenn nicht alle gemeinsam beten oder weinen oder schweigen können, dann ist das alles leer.
Stattdessen drückt jeder dem Geschehen sein Anliegen hinein. In jeden einzelnen Toten wird noch schnell eine politische Botschaft hineingedrückt, adressiert in alle möglichen Richtungen, getarnt als Kondolenz.

Warum musste dieser türkische Vater, vom Krebs gezeichnet, dieser traurige alte Mann in ein Mikrofon eines türkischen Senders sprechen?
Warum ist niemand von der deutschen Regierung bei diesen Leuten und schützt sie? Schützt sie vor der Vereinnahmung? Die Abwesenheit der Regierung degradiert die Trauer der Hinterbliebenen zu privatem Leid. Zu fremdem Leid. Zu einsamen Leid. Erst durch die Anwesenheit der Politiker wird die Situation wieder zu dem, was sie ist. Ein Leid, dessen Ursache gesamtgesellschaftlich geschaffen wurde. Nicht da zu sein bedeutet die Externalisierung von politischer Verantwortung. Nicht bei ihnen zu sein, heißt nicht mit ihnen zu sein.

Dieser Anschlag und der davor, und der davor, sind das Ende eines Desasters. Nicht sein Anfang. Alles, was seitdem gesprochen wird, leert einen komplett aus. Überall auf der Welt werden nach Terroranschlägen in spätestens vier Tagen von den nationalen Regierungen Gedenkfeiern und Zeremonien organisiert. In Paris bei Charlie Hebdo war das so (da lief die Kanzlerin in der ersten Reihe mit François Hollande und David Cameron), 3.7 Millionen Franzosen waren auf der Straße. In Neuseeland nach Christchurch, in Norwegen nach Utøya. Wirklich überall werden Trauerzeremonien national organisiert.

In Deutschland wird für einen Tag Fasching abgesagt.
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