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"Du bist enttarnt" - Wie das Leben eines V-Manns aus den Fugen geriet

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Ungelesen 06.01.19, 20:46   #1
30makk
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Standard "Du bist enttarnt" - Wie das Leben eines V-Manns aus den Fugen geriet

Zitat:
2016 erklärte sich ein Student bereit, für den Verfassungsschutz die linke Szene in Göttingen auszuspionieren. Er machte bei einer Hausbesetzung mit und reiste zum G-20-Gipfel nach Hamburg – bis er durch einen Fehler der Behörde aufflog und sein Leben aus den Fugen geriet.


Das Outing kam ohne Vorwarnung. An einem Sonntag Mitte November fuhr der Student Markus Möller (Name geändert) nach einer Party zum Aufräumen in den »Stilbruch«, einen linken Veranstaltungsklub an der Göttinger Uni. Alles war wie immer, leere Bierflaschen in Kisten räumen, Müll rausbringen, was halt so anfällt. Doch dann bat ihn jemand nach hinten, in den Bereich, den sie Backstage nennen, so schildern Augenzeugen übereinstimmend die Szene. Er musste sich auf ein Sofa setzen und saß einer Handvoll Aktivisten gegenüber. Ob er sich noch an die Autofahrt zum Aktionstraining in Halle erinnern könne, soll eine Studentin ihn gefragt haben. »War dir unterwegs übel, weil du nicht gern Auto fährst oder weil du für den Verfassungsschutz berichten musstest?« Man wisse inzwischen sicher, dass er auf die Basisdemokratische Linke in Göttingen als V-Mann angesetzt worden sei. Die Studentin: »Du bist enttarnt.« Etwa zwei Stunden dauerte das Verhör. Möller reagierte entsetzt, stritt wütend alles ab. Als es vorbei war, ging er auf die Straße. Dann griff er zum Handy und rief seinen V-Mann-Führer an. Keine 24 Stunden später war der Zuträger des niedersächsischen Verfassungsschutzes aus Göttingen abgereist. Vielleicht für immer.

Die Geschichte des Göttinger Studenten, der mehr als zwei Jahre lang die linke Szene ausspionierte, gewährt einen ungewöhnlichen Einblick in die Welt der Geheimdienste. Dem Verfassungsschutz unterliefen im Umgang mit seinem Informanten Pannen, die so gravierend waren, dass die Präsidentin, Maren Brandenburger, Ende November ihren Posten räumte. Gewinner gibt es in dieser Geschichte nicht. Nur Verlierer. Einer von ihnen: Markus Möller. Als er enttarnt wurde, enthüllten die Göttinger Aktivisten seine Identität im Internet, samt Foto, Lebenslauf, Adresse, Telefonnummer und Mailadresse. Sogar seine Bankverbindung ist nun öffentlich bekannt, versehen mit der Bemerkung, man habe »eines dieser Schweine erwischt«. Nun ist er abgetaucht. Versteckt in Mittelklassehotels einer deutschen Stadt. Mehrmals pro Woche trifft sich der V-Mann mit den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes. Für den Studenten geht es um existenzielle Fragen: Soll er seinen Namen ändern? Wo wird er leben? Und wovon? Sein Studium, so viel ist sicher, wird er nicht zu Ende bringen. Jedenfalls erst einmal nicht. Egal an welcher Uni. Die Gefahr erkannt zu werden ist zu groß. Linke gibt es überall. Der SPIEGEL sprach mit Zeugen und mit Aktivisten, sichtete interne Dokumente und Berichte, die der V-Mann angefertigt hatte. Das Ergebnis der Recherche ist die Geschichte eines gescheiterten jungen Mannes, der vielleicht eine falsche Entscheidung traf, als es im Frühsommer 2016 in der Einzimmerwohnung eines Göttinger Studentenheims klingelte. Der Mann an der Tür fragte, ob Möller sich nicht etwas Geld zum Studium hinzuverdienen wolle. So soll die klandestine Beziehung zwischen dem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und seinem zukünftigen Zuträger laut einer damit befassten Quelle begonnen haben. Schnell waren die beiden beim Du. Bei einem zweiten Treffen brachte der Verfassungsschützer einen Kollegen mit.

Eigentlich sollte Möller eine militantere Gruppe unterwandern. Doch dort fand er keinen Zugang. Darum ging er zum öffentlichen »Einstiegsabend« einer anderen Bewegung, der Basisdemokratischen Linken (BL). Das war einfach. Sie gehört zur Interventionistischen Linken, die der Verfassungsschutz als Beobachtungsobjekt eingestuft hat. Möller lieferte fortan ausführliche Berichte über die Aktivisten, die sich als »postautonom« bezeichnen und als linksradikal. Durch Gewalttaten oder irgendeine Form von Terror sind die BL-Leute bisher nicht in Erscheinung getreten. Möller schrieb auf, wer zu welchen Veranstaltungen kam und welche Rolle er innerhalb der BL spielte. Bei Treffen mit seinen V-Mann-Führern identifizierte er die Genossen auf Observationsfotos und erklärte die Zusammenhänge. Nach und nach stieg der Informant tiefer in die Autonomenszene ein. Er machte in Göttingen bei einer Hausbesetzung mit und reiste mit den Linksradikalen zu Demos nach Hannover, Köln und Halle. Meistens ging es gegen Neonazis oder die AfD. Im Sommer 2017 fuhr er für den Verfassungsschutz nach Hamburg, zum G-20Gipfel, der die halbe Stadt lahmlegte. Die Bilder von brennenden Autos und geplünderten Läden gingen um die Welt. Der V-Mann war mit einer »Bezugsgruppe« von sieben oder acht Aktivisten in der Elbmetropole. Sie trugen kleine Rucksäcke mit Kleidung zum Wechseln auf dem Rücken. Mal traten sie vermummt in Schwarz auf, mal in bunter Zivilkleidung zu Aktionen wie »Colour the Red Zone«. Der V-Mann blockierte Konvois von Regierungsvertretern, ließ sich wegtragen. Zweimal wurde er vorübergehend in Gewahrsam genommen. Seine Personalien nahm die Polizei aber nicht auf. Er durfte wieder gehen und schrieb seine Erlebnisse auf, wie in einem Blog, den nur seine V-Mann-Führer lesen durften.

In einer Göttinger Anwaltskanzlei treffen sich diejenigen, auf die der V-Mann angesetzt war: eine Studentin und zwei Studenten, zwischen 25 und 32 Jahre alt. Wie Staatsfeinde wirken sie nicht. Sie argumentieren freundlich und reflektiert. Einer hat einen sauber gezogenen Seitenscheitel. Optisch würde er auch zur Jungen Union passen. »Ich fühle mich betrogen«, sagt die Studentin, »verraten und verkauft.« In den V-Mann-Berichten tritt sie als eine der führenden Figuren der Basisdemokratischen Linken in Erscheinung. Sogar dass sie einen Freund hat, verriet Möller dem Verfassungsschutz. »Das ist eklig. Was soll das?«, fragt sie. Der Kommilitone ergänzt: »Er hat uns für Geld bespitzelt. Arschloch.« Seine Mandantin habe sich noch nie strafbar gemacht, sagt Rechtsanwalt Sven Adam und kritisiert den V-Mann-Einsatz als »einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Privatsphäre von politischen Aktivisten«. An der Uni zog Möller in zwei Kommissionen der akademischen Selbstverwaltung ein. »Warum lässt der Verfassungsschutz die Universität bespitzeln?«, fragt einer der Studenten. Ein V-Mann an der Universität ist heikel. Das weiß auch der niedersächsische Verfassungsschutz, dessen Leitung den Einsatz genehmigte. Auf Anfrage wollte sich die Behörde nicht zum Fall Möller äußern. Nur so viel: »Universitäten und deren Gremien sind nicht Ziel unserer Beobachtung.«

Dass die Basisdemokratische Linke von dem V-Mann in ihren Reihen überhaupt erfuhr, liegt an den Klagen, die Rechtsanwalt Adam einreichte. Für die Studentin verlangte er »vollständige Auskunft« über ihre Einträge beim niedersächsischen Verfassungsschutz. Außerdem beantragte er, diese zu löschen. Verfahren sind an Verwaltungsgerichten in Göttingen und Hannover anhängig. Wie in solchen Fällen üblich, schickte der Verfassungsschutz im Frühjahr eine in weiten Teilen geschwärzte Akte über die Aktivistin an das Gericht in Göttingen. Darin fand sich kein Hinweis auf einen V-Mann. Im Herbst wiederholte sich der Vorgang für das Verfahren in Hannover. Doch diesmal vergaß eine Mitarbeiterin, sechs gesperrte Seiten aus der geschwärzten Akte zu entfernen, nämlich die Blätter 9, 14 bis 17 und 20. Sie trugen Stempel der Geheimhaltungsstufe »VS-Vertraulich, amtlich geheim gehalten, Quellenschutz«. Um das Ausmaß dieser Panne zu verstehen, muss man wissen, dass der Schutz von Vertrauenspersonen bei Geheimdiensten die höchste Priorität besitzt. Das Absurde an den brisanten Seiten: Sie legen detailliert dar, warum der V-Mann im Zusammenhang mit bestimmten Informationen aus der Akte enttarnt werden könnte. Sie wurden aufgeschrieben, um Markus Möller zu schützen. Elf Stellen in den Akten des Verfassungsschutzes könnten Rückschlüsse auf den V-Mann zulassen, heißt es darin. Da ist die Rede von einem Trip der Studentin zusammen mit vier weiteren Aktivisten nach Halle an der Saale, wo im April 2017 eine Demo gegen Neonazis vorbereitet werden sollte. Möller war einer von ihnen. Auch über ein weiteres Aktionstraining, in Göttingen im Frühjahr 2017, zu dem etwa 60 Mitglieder mehrerer autonomer Gruppen über zwei geheime Schleusen gelangt seien, berichtete der V-Mann. Es fand auf einer Hundewiese statt, abgesperrt mit Flatterband, versehen mit Schildern und dem Hinweis, auf dem Gelände fänden Videoaufnahmen statt. Die Aktivisten übten, wie sie Flüchtlingsunterkünfte schützen und sich gegen Neonazis verteidigen könnten. Einige hatten Schilde gebastelt, wie römische Legionäre, zum Schutz vor Flaschenwürfen.


In den V-Mann-Berichten über die Autonomen geht es nicht etwa um Terror, geplante Gewalttaten oder Sabotage. Es waren oft Treffen, um Demos und Blockadeaktionen gegen Neonazis vorzubereiten. Wie schnell man als Aktivistin ins Visier von Agenten und Ermittlern geraten kann, erlebte die Studentin der Basisdemokratischen Linken bei einer Demo in Bautzen. Bei der Kontrolle eines Leihwagens, mit dem die Göttinger Autonomen unterwegs waren, fand die Polizei zwei Sprühdosen mit Reizgas. Die Folge: ein Verfahren gegen die Studentin wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Es ist eine Straftat, bewaffnet zu einer Demo zu fahren. Das Reizgas sei allerdings weder während einer Demonstration eingesetzt worden, noch konnte es jemandem aus der Gruppe zugeordnet werden. Das Verfahren wurde eingestellt. »Seitdem bemühen wir uns, dass alle Einträge über die Studentin in den Datenbanken der Behörden wieder gelöscht werden«, erklärt Rechtsanwalt Adam. Die geheimen Berichte von Markus Möller waren Grundlage für Einträge beim niedersächsischen Verfassungsschutz und in Nadis, einer nachrichtendienstlichen Datenbank von Bund und Ländern.

Möller bekam ein paar Hundert Euro im Monat, plus Spesen. Hauptsächlich lebte Möller von Bafög. Im niedersächsischen Innenministerium löste die Enttarnung des V-Manns eine schwere Krise aus. Ein Sonderermittler wurde beauftragt, den Verfassungsschutz zu durchleuchten und den Pannen auf den Grund zu gehen. Zunächst wusste niemand, welche Informationen überhaupt zur Enttarnung des Spitzels geführt hatten. Eine unerfahrene Mitarbeiterin hatte es versäumt, ein »Retent« anzulegen, so nennt man eine Akte, die dokumentiert, was genau ans Gericht geschickt wurde und was nicht. Im Computersystem des Verfassungsschutzes fand sich aber noch eine elektronisch geschwärzte Akte zu dem Fall, die aussah, als enthalte sie keine brisanten Inhalte. Die Mitarbeiterin hatte sie ausgedruckt und verschickt. Weder sie selbst noch Vorgesetzte, die den Versand abgezeichnet hatten, hatten sich die Akte noch einmal näher angesehen. Hätte sie jemand durchgeblättert, wären sofort die sechs gesperrten Seiten aufgefallen, die nicht geschwärzt waren und das Haus auf keinen Fall hätten verlassen dürfen. Der 18-seitige Bericht des Sonderprüfers kam zu einem vernichtenden Urteil. Die Mitarbeiterin habe in »mehrfacher Hinsicht pflichtwidrig« gehandelt. Und was noch schlimmer war: Die Vorschriften zum Umgang mit sensiblen Akten stammten aus einer Zeit, als Mitarbeiter heikle Stellen noch von Hand mit einem Eddingstift schwärzten. Das Sicherheitssystem war nicht mehr up to date. Das Fazit: »Die vorliegende Beschreibung des Verfahrensverlaufs wird weder der aktuellen Rechtslage noch der Vorbereitung von Schwärzungen durch die neue Software hinreichend gerecht.« Für diese Panne übernahm die Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, die Verantwortung und räumte ihren Posten.

Markus Möller ist inzwischen vom Hotel in eine kleine Wohnung gezogen, irgendwo an einem geheimen Ort. Zeugenschutz? Der kam für das Amt und für den V-Mann nicht infrage. Es gab eine Gefahrenanalyse des Landeskriminalamts. Auf einer Skala von eins bis sechs bekam Möller eine Sechs, die geringste Gefährdungsstufe. Die Basisdemokratische Linke gilt wohl nicht als besonders rachsüchtig oder gewalttätig. Da stellt sich die Frage, warum der V-Mann diese Gruppe überhaupt ausspionieren sollte.
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