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Eine Nacht wie früher

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Ungelesen 11.04.21, 16:09   #1
Draalz
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Standard Eine Nacht wie früher

Zitat:
Nachtleben in Israel

Eine Nacht wie früher

Wie fühlt sich das Leben nach der Pandemie an? Unsere Autorin kann darauf eine Antwort geben. Bis zum Morgengrauen ist sie durch volle Clubs und Bars in Tel Aviv gezogen.

Von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], Tel Aviv

5. April 2021, 17:51 Uhr


Tel Aviv bei Nacht: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. © Alexander Popov/​unsplash.com

Und nun sitzen wir hier, als wäre nichts gewesen. Es ist tiefe Nacht, ich bin in einer Bar und rühre mit dem Strohhalm in meinem Drink. Körper drücken sich an mir vorbei, Stimmen schreien mir ins Ohr. Zwei Gin Tonic, bitte. Drei Bier, habt ihr Heineken? Kreditkarten werden über den Tresen geschoben, Gläser klirren. Menschen lachen, stoßen an, drücken sich, ehe sie im Nikotinnebel verschwinden. "Schau uns an", sagt Adi, der neben mir sitzt, und damit meine ich: direkt neben mir sitzt. "Wir sind alle komplett traumatisiert, wir verstehen noch gar nicht, was passiert ist."

Die Zukunft ist ein ferner Ort, nur nicht in dieser Nacht. In dieser Nacht haben wir die Pandemie überwunden. Zumindest sagen die Politiker und Virologinnen, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Restaurantbesitzer decken die Tische wieder mit Tellern statt mit Liefertüten ein. An den Litfaßsäulen klebt wieder Werbung für Events und Konzerte, keine Hygienevorschriften. "Das Ende der Distanz" steht auf einem Plakat. Es hängt überall in [url=https://www.zeit.de/thema/tel-aviv]Tel Aviv[/size], der Stadt, in der ich lebe. In der ich diese Nacht erlebe.

[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] hat seine Bevölkerung [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] als jede andere Nation, auch mich. Es ist das Land, von dem nun alle wissen wollen, wie es sich anfühlt, wenn die Normalität zurückkommt. Wenn sich die Theater wieder füllen, die Menschen wieder vor den Clubs dicht gedrängt in der Schlange stehen, um dann drinnen aus derselben Flasche Wasser zu trinken? In dieser Nacht werde ich es herausfinden.

Es ist kurz nach 22 Uhr, als ich das Haus verlasse. Ich weiß noch nicht, dass ich später Adi kennenlernen und erst in der Dämmerung heimkommen werde. Die Straße in meinem Viertel wirkt leer und ich zucke zusammen, als ich einen Polizeiwagen sehe. Alles gut, ich mache hier nichts Verbotenes. An der nächsten Kreuzung jagen Taxis an mir vorbei, leuchten die Rücklichter. Ich mustere die vielen Menschen, die ich unterwegs sehe. Wie schick sie aussehen. Die Frauen tragen Nylons statt Loungewear, die Männer Hemd statt Hoodie. Und auch wenn ich es im Licht der Laternen nur erahnen kann: Ich meine, sie lachen zu sehen.

Wie wird das Leben sein nach der [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]? Kürzlich las ich ein Umfrage: Mehr als 60 Prozent der Befragten gaben an weiterhin aufs Händeschütteln verzichten zu wollen. Vermutlich hätte ich das vor einigen Wochen auch gesagt. Aber seitdem ist so viel passiert, ich habe so vielen Menschen die Hand gegeben. Es war wie das erste Mal Sport machen nach einer langen Trainingspause. So wie sich dabei der Körper an Bewegung gewöhnen muss, so muss sich nun der Kopf wieder auf Berührung einstellen.

Vor ein paar Wochen war ich das erste Mal mit Freundinnen im Restaurant. Die Kellnerin stellte eine Karaffe Wasser auf den Tisch, Gläser dazu. Ich fragte mich: Soll ich für alle die Gläser mit Wasser auffüllen. Oder ist es unhygienisch, jedes Glas in die Hand zu nehmen? Ich schaute mich um. Wir drängten uns zu sechst um den kleinen Tisch, quatschten, scherzten, hatten uns Salat und gebackene Aubergine zum Teilen bestellt. Die Distanz war verschwunden, ich schenkte Wasser nach.

Im großzügigen Innenhof einer alten Fabrik nahe des Rotschild Boulevard liegt das Teder. Eine Mischung aus Bar, Restaurant und Open-Air-Club. Lichterketten spannen sich über den Hof, wilder Wein rankt die Säulen hoch. Die Luft riecht nach Pizza und Parfum. Ich hole mir ein Glas Wein, setze mich auf einen Lautsprecher. Die Leute wundern sich bestimmt schon, warum ich da sitze und die Menge wie ein Untersuchungsobjekt anstarrte. Also, jetzt: Wie fühlt sich das an, endlich wieder auszugehen?

Türsteher lassen sich Tickets und Impfzertifikate zeigen


Maske ab im Teder: In Tel Aviv dürfen Geimpfte und Genesene wieder feiern wie früher. © Steffi Hentschke für Zeit Online

In Tel Aviv waren die Bars, Restaurants und Cafés im Sommer geöffnet; wir dachten, wir hätten das geklärt mit der Pandemie. Vielleicht spüre ich nun deshalb relativ wenig. Der Anblick wirkt vertraut, die Gerüche auch. Aber, und diese Erkenntnis entwickelt sich so langsam wie das Set, das der DJ spielt: Die Angst ist weg. Diese Angst, dass es gleich wieder vorbei sein kann, dass die Infektionszahlen explodieren werden und das Virus unsere Unvernunft bestrafen wird. Dass Covid mir etwas Schlimmes anhaben kann.

"Hey, auch unterwegs?", fragt Omer und drückt mich. Omer ist ein Kollege, Mitte 30, schwarzes Shirt und Goldkette, er arbeitet für eine israelische Tageszeitung. Wir haben uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Ob er mir schon erzählt habe, dass er jetzt die Position gewechselt habe, fragt er und sagt, dass er seit einer Woche wieder vom Büro aus arbeite, dass er schon sieben, vielleicht auch acht Mal aus gewesen sei. "Ich bin heute mit Freunden hier, die eigentlich in Berlin leben und sich jetzt ihre Impfung holen. Man, Berlin sitzt ja richtig in der Scheiße. Da hast du Glück, dass du hier geblieben bist." Omer verabschiedet sich und auch ich will gerade weiterziehen, als mich ein Typ im Wollpullover und Trekkingsandalen anspricht. Er habe sich ja nicht impfen lassen, sagt der Mann ungefragt und grinst. "Ich habe keine Angst vor dem Virus", sagt er. "Schön für dich", denke ich, grinse zurück und lasse ihn stehen.

Ich kann der Diskussion ausweichen, die Bar- und Clubbesitzer nicht. Offiziell gilt in Israel: [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Die strenge Vorgabe beißt sich mit dem lockeren Habitus des [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Obwohl wieder getanzt werden darf und die Clubs grundsätzlich öffnen können, viele zögern noch. Sie fürchten, sich ihre Kredibilität zu verspielen. "Wir stehen für einen toleranten Lebensstil, jetzt müssen wir uns wie Kontrolleure in der Bahn benehmen", sagte mir kürzlich Jonathan Lipitz, der selbst geimpft ist. Lipitz betreibt den Kuli Alma, einen der bekanntesten Läden der Stadt. Vor Mai aber will er seinen Club nicht wieder aufmachen. Bis dahin setzt er weiter auf die kleinere Alternative: das Echad.

Später am Abend steige ich die Stufen hinab zu der Kellerbar, die Lipitz mitten im Lockdown und tief im Verborgenen der alten Fabrik eröffnet hat. Nur seine Freunde wussten vom Echad, kannten den Code für die von außen unscheinbare, von innen mit Dämmwolle verklebte Stahltür. Nach einem Impfausweis wurde hier nie gefragt. Jetzt dürfen Journalistinnen die illegalen Partys öffentlich machen. Jetzt fühle auch ich mich sicher genug, in die Welt des lange Verbotenen einzutauchen.

Ich kriege hier einen Ellbogen ab, trete dort jemanden auf den Fuß. An der Bar ergattere ich einen freien Hocker. Die Barkeeper schneiden Gurken und Zitronen, reihen die winzigen Schnapsgläser auf, füllen sie in einem Schwung. Körper drücken sich an mir vorbei, Stimmen schreien mir ins Ohr. "Und nun sitzen wir hier, als wäre nichts gewesen", tippe ich als Notiz in mein Telefon, als mich jemand unterbricht. Adi, schwarze Kappe, tätowierte Arme, sitzt neben mir und will wissen, was ich mir aufschreibe. Als ich mich erkläre, zeigt er auf den Bildschirm, der hinter der Bar, direkt dem der Spüle hängt. In schwarz-weiß sind die Menschen zusehen, die oben vor der Eingangstür anstehen. "Über die Kamera konnten wir sehen, wenn die Polizei kam", sagt Adi. Er erzählt, wie das war. Tauchten die Beamten auf dem Bildschirm auf, stellte jemand sofort die Musik aus, öffnete ein anderer die Hintertür, rannten alle schnell raus. Die geheimen Treffen hätten die harten Monate irgendwie erträglich gemacht, sagt Adi. Es war ein Versuch, der Einsamkeit der Pandemie zu entkommen.

"War schön, sich mal wieder mit einer fremden Person zu unterhalten", sagt Adi zum Abschied. Bei Instagram macht neuerdings ein Begriff Karriere, der meine Euphorie erklärt: Serendipity, er beschreibt das Gefühl die aus schönen Zufallsbegegnungen entsteht.

Ich mache mich auf dem Weg zum Gagarin, einem der wenigen Clubs, die geöffnet haben. Vor dem Einlass, ein mit Neonlampen ausgeleuchteter Parkplatz, kontrollieren die Türsteher die Telefone der Wartenden, lassen sich Tickets und Impfzertifikate zeigen. Anstrengend sei das, diese leidlichen Diskussionen, sagt Besitzer Michael Cordova, Dreadlocks und dichter Bart. Er schleust mich an der Schlange vorbei. Er habe bereits Freunde wegschicken müssen, aber was solle er machen? "Wir sind eng befreundet mit dem KitKat in Berlin. Ich habe gehört, dass die jetzt ein Testcenter sind. Die beneiden uns, dass wir überhaupt öffnen können."

Es ist zwei Uhr morgens, drinnen donnert der Bass. Das letzte Mal war ich solange wach, als ich bei Netflix Bridgerton in einem Rutsch geguckt habe. Die Tür öffnet sich, ich folge dem Lärm und stehe plötzlich in einem stockdunklen Raum. Die Wände vibrieren, bunte Lichter flackern. Schweißnasse Körper klatschen gegeneinander. Atemschutzmasken kleben in Bierlachen auf dem Boden.

Die Zukunft ist ein ferner Ort, nur nicht in dieser Nacht.
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