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Die „Welt“ lobt, dass Kriegsverbrecher nicht „gecancelt“ wurden

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Ungelesen 24.08.20, 13:47   #1
BLACKY74
Chuck Norris sein Vater
 
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Standard Die „Welt“ lobt, dass Kriegsverbrecher nicht „gecancelt“ wurden

Zitat:
SS-General als Kinderheim-Leiter
Die „Welt“ lobt, dass Kriegsverbrecher nicht „gecancelt“ wurden

Es gibt Texte, bei denen fragt man sich auch nach mehrfachem Lesen, ob man seinen Augen wirklich trauen kann. Torsten Krauel, der Chefkommentator der „Welt“, hat wohl [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] des Jahres geschrieben.


Kommentar Annika Brockschmidt

„Sehr große helle Augen, sehr wasserblau, sehr abwesend und zugleich sehr, sehr traurig. Als Kleinkind hat man einen Instinkt dafür, wie ein Hund vielleicht.“ So gefühlig beginnt Krauel seine Beschreibung von Hugo Kraas, einen SS-General, den er 1958 als Zweijähriger traf, in einem Kinderheim, das Kraas damals leitete.

Kraas ist einer der Protagonisten in der Dokumentation „[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]“ von Ulrich Neumann und Philipp Reichert, die die ARD kürzlich ausstrahlte. Sie thematisiert die Misshandlungen und Demütigungen zahlreicher Kinder in Erholungsheimen verschiedener Träger in den 50er bis 80er Jahren, in einigen Fällen unter der Leitung von Nazi-Größen.


Screenshot: ARD

Krauel nimmt die Dokumentation jedoch nicht zum Anlass für eine Rezension oder gar eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Leid der „Verschickungskinder“ (als „Verschickung“ bezeichnete man den Kuraufenthalt zur gesundheitlichen Stärkung). Stattdessen argumentiert er, dass es zwar „unerträglich“, aber letztendlich „richtig“ gewesen sei, Nazis in unterschiedlichen Funktionen, also auch als Leiter von Kinderheimen, in die Gesellschaft zu integrieren. Denn alles andere sei „Cancel Culture“ und inhärent undemokratisch.

Eine NS-Karriere

Werfen wir zunächst einen genaueren Blick auf die Männer, die Krauel diffus als „ranghohe frühere SS-Mitglieder“ bezeichnet. Da ist Hugo Kraas, der SS-General. Unter seiner Leitung des Kinderheims „Seeschloss“ in St. Peter Ording kam es laut der ARD-Dokumentation zu zahlreichen Misshandlungen. Krauel, der ihm ein Jahrzehnt vorher begegnete, schreibt, die „sehr, sehr traurigen Augen“ Jahrzehnte später auf einem Foto von Hitlers Wolfsschanze wiedererkannt zu haben. „Hugo Kraas, mit Ritterkreuz und Eichenlaub.“ Bei dieser Beschreibung belässt es Krauel. Doch Hugo Kraas, der Heimleiter von St. Peter Ording, war nicht nur irgendein ranghoher SS-Mann, sondern Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS und ab November 1944 der letzte Kommandant der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“. Zu Kraas Hochzeit 1939 schickte Hitler persönlich Glückwünsche.


Hugo Kraas

Er war bereits 1934 der NSDAP beigetreten und bis 1935 SA-Mitglied. Im September 1935 wurde Kraas Rottenführer der SS-Standarte Germania. Kraas besuchte eine der Junkerschulen der SS, an der die Führungskader der SS ausgebildet wurden – nicht nur militärisch, sondern auch weltanschaulich. Im Zweiten Weltkrieg erhielt Kraas zahlreiche militärische Auszeichnungen, er war als SS-Untersturmbannführer der Leibstandarte Adolf Hitler mit einer Panzerjägerkompanie am Überfall auf Polen beteiligt, kämpfte auf dem Balkan und in der Sowjetunion und übernahm 1942 ein Panzergrenadier-Regiment, das er zum Angriff auf Charkow führte.

Die 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“, die er ab 1944 leitete, bestand, wie der Name vermuten lässt, aus fanatisch indoktrinierten Angehörigen der paramilitärischen Nazi-Jugendorganistaion – sie waren kaum volljährig und alsbald auf Grund ihrer Verbissenheit und Brutalität gefürchtet. Nach dem Krieg blieb Kraas seinen faschistischen Überzeugungen treu. Er gehörte der HIAG an, der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS, einer rechts*******n Vereinigung zur historischen Rehabilitierung von SS-Angehörigen, die zwischenzeitlich vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.

Statt die Leserinnen und Leser mit solchen Einzelheiten zu behelligen, beschränkt sich Krauel darauf, sie zu informieren, dass Kraas nicht viel, und wenn doch, leise sprach.

Ein Nazi der ersten Stunde

Krauel schreibt, dass Kraas bei der Beerdigung von SS-General Sepp Dietrich den Trauerzug anführte. Mehr wird dazu nicht gesagt. Josef „Sepp“ Dietrich war ein Nazi der ersten Stunde – seit 1925 Mitglied der NSDAP und ab 1928 der SS. Er wurde während des Röhm-Putschs mit der Ermordung der SA-Führungsriege im Gefängnis München-Stadelheim beauftragt – unter seinem Kommando wurden dort auf Hitlers Befehl die SA-Führer Wilhelm Schmid, Hans Hayn, Peter von Heydebreck, August Schneidhuber, Hans Erwin von Spreti-Weilbach und Edmund Heines erschossen. In der Sowjetunion wurde Dietrich wegen der Kriegsverbrechen seiner Panzerdivision in Charkow (1943) in Abwesenheit zum Tode verurteilt, 1946 verurteilte ihn ein amerikanisches Militärgericht in Dachau zu lebenslanger Haft wegen seiner Rolle bei der Erschießung von mehr als 70 amerikanischen Kriegsgefangenen beim Malmedy-Massaker. Trotzdem wurde Dietrich schon 1955 begnadigt. Auch er war bis zu seinem Tod in der HIAG aktiv.

Relativ schnell verlässt Krauel das Thema der Gewalt an Kindern in Erholungsheimen, die von Nazi-Größen geführt wurden, und wendet sich Altnazis zu, in deren Nachbarschaft er als Kind aufwuchs. Er nennt Richard Baer, den letzten Kommandanten der Konzentrationslager Auschwitz und Mittelbau Dora – ein Mann, der während seiner langen NS-Karriere unter anderem auch in Dachau, Oranienburg, Sachsenhausen und Neuengamme tätig gewesen war und den Holocaust mit ausgeführt hatte.

Nach der Erwähnung eines Klassenlehrers, der sich fälschlicherweise als ehemaliger SS-Offizier ausgab, taucht an dieser Stelle der vielleicht bizarrste Satz im ganzen Text auf: „Die hübscheste, klügste Mitschülerin war Jüdin, was damals niemand in der Klasse wusste.“ Was das mit der ARD-Doku, der Gewalt gegenüber den „Verschickungskindern“ oder der oft angesehenen gesellschaftlichen Stellung von Altnazis nach 1945 zu tun hat, bleibt Geheimnis des Autors.

Keine „Cancel Culture“


Krauel malt sein Bild der Nachkriegszeit: die Mutter einer Klassenkameradin, einst BDM-Führerin, und der Musiklehrer, der zur „Bekennenden Kirche“ gehörte, neben dem ehemaligen KZ-Leiter und dem vermeintlichen SS-Mann als Lehrer. Und irritierenderweise ist seine Schlussfolgerung aus dieser Realität der Nachkriegszeit, in der Nazis in Behörden, Justiz und Gesellschaft oft unbehelligt weiterleben konnten, ohne für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden, nicht etwa, dass das eine Schande der noch jungen Bundesrepublik gewesen sei. Nicht, dass es sich hierbei um das Versäumnis einer ganzen Gesellschaft handelte, die die Täter in den eigenen Reihen schützte, was langanhaltende Folgen für die Schulbildung und Kindererziehung ganzer Generationen hatte. Seine Schlussfolgerung ist nicht Unterstützung für die Opfer von Altnazis, die ihr faschistisches Weltbild nie aufgegeben hatten und ihre Menschenverachtung gegen die ihnen zum Schutz anvertrauten Kinder anwandten, nein, Krauel schlussfolgert: Es gab keine „Vertreibung der lebenden Vergangenheit aus dem Gesichtsfeld. Das war rückblickend so unerträglich wie richtig.“ Alles andere wäre „Cancel Culture“ und Rache.

Samira El Ouassil hat [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] aufgezeigt, dass „Cancel Culture“ ein Nicht-Begriff ist, ein hohler Terminus, der gern hervorgeholt wird, um Debatten zu delegitimieren, beispielsweise bei Themen wie rassistischer Sprache, Inklusion und Gender. Der Protestschrei, dass Meinungsfreiheit nicht mehr existiere und alles „gecancelled“ werde, ist in konservativen Kreisen en vogue, denn es lassen sich damit hervorragend Strohmann-Debatten führen.

Ernsthaft zu behaupten, eine Strafverfolgung der NS-Täter, eine Entfernung von Personen mit nationalsozialistischem Gedankengut aus sozialen und gesellschaftlichen Machtpositionen wäre „Cancel Culture“ gewesen, ist nichts als perfide.

Krauel scheint davon auszugehen, die Namen in seiner Liste von Altnazis und Kriegsverbrechern würden seine These bekräftigen. Vielleicht erwähnt er deswegen Albert Viethen nicht. Die Doku zeigt ihn im bayerischen Berchtesgarden als ärztlichen Leiter des Kinderkurheims „Schönsicht“, in dem Kinder misshandelt wurden. Er gehörte dem NS-Ärztebund, der SS und der NSDAP an. Er war an Euthanasie-Verbrechen beteiligt: Aus seiner Klinik wurden zur Nazi-Zeit 20 Kinder an eine Tötungsanstalt weiterverwiesen. Von sieben davon weiß man heute, dass sie dort getötet wurden.

Oder Dr. Werner Scheu. Der leitete auf Borkum das Kurheim „Möwennest“, in dem Kinder gequält wurden. Auch er ein NS-Kriegsverbrecher: Er war 1941 an der Erschießung von 220 litauischen Juden beteiligt und erschoss selbst mindestens vier Menschen. Dafür wurde er 1964 rechtskräftig verurteilt.

Der freundliche Kriegsverbrecher von nebenan


Krauel merkt zwar an, es habe „viel zu wenig“ NS-Prozesse gegeben. Aber das Gute war, dass es keine Rache gegeben habe: „Rache ist das zweifelhafte Privileg von Diktaturen.“

Die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechern und ihren gesellschaftlichen Ausschluss mit Rache gleichzusetzen, zeugt von einem wahrhaft beunruhigendem Geschichts- und Demokratieverständnis. Wenn die konsequente Verfolgung und Ächtung von Kriegsverbrechern der Entfernung der „lebenden Vergangenheit aus dem Gesichtsfeld“ gleich käme, wie Krauel formuliert, entspricht das der kruden Logik der amerikanischen Rechten, die argumentieren, ohne Statuen von Sklavenhaltern würde dieser Teil der Geschichte in Vergessenheit geraten.

Es ist sogar noch perfider, denn daraus folgt: Hätte man Alt-Nazis in den Anfangsjahrzehnten der Bundesrepublik aus Machtpositionen entfernt und sie strafrechtlich verfolgt, hätten wir unsere Geschichte vergessen.

Was bezweckt eine große deutsche Tageszeitung mit der Veröffentlichung dieses Textes? Geht es um Klicks, Empörung unter dem Schlagwort „Cancel Culture“ und Provokation? Sie macht damit ein verharmlosendes Narrativ vom freundlichen Kriegsverbrecher von nebenan salonfähig. Es war eben die gute alte Zeit, ohne „Cancel Culture“, als Alt-Nazis noch Kinderkurheime leiten und ihre Verrohung an Kindern auslassen durften. Man konnte sich ja, so Krauel, auch aus dem Weg gehen. Als „Verschickungskind“ dürfte das schwierig gewesen sein.
Quelle:[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
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Ungelesen 24.08.20, 15:13   #2
muavenet
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