myGully.com Boerse.SH - BOERSE.AM - BOERSE.IO - BOERSE.IM Boerse.BZ .TO Nachfolger
Zurück   myGully.com > Talk > Politik, Umwelt & Gesellschaft
Seite neu laden

Die düstere Kindheit des Tigerenten-Autors Janosch

Willkommen

myGully

Links

Forum

 
Antwort
Themen-Optionen Ansicht
Ungelesen 11.03.16, 14:54   #1
TinyTimm
Legende
 
Benutzerbild von TinyTimm
 
Registriert seit: Aug 2011
Ort: in der Wildnis
Beiträge: 15.633
Bedankt: 34.760
TinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt PunkteTinyTimm leckt gerne myGully Deckel in der Kanalisation! | 2147483647 Respekt Punkte
Standard Die düstere Kindheit des Tigerenten-Autors Janosch

Zitat:
1.000 E-Mails, ein Leben

Er ist der Vater der friedlichen Tigerente, aber auch Triebfeder hinter Triebtieren wie Bonzo Schmittchen und dem Zottelbären. Wer Kindern Janosch serviert, bereitet sie mitunter auf die Brüche vor, die das Leben so zu bieten hat. Warum es in manchen Werken von Horst Eckert alias Janosch so abgründig zugeht, mag auch mit der Lebensgeschichte des nun 85-Jährigen zusammenhängen. Eine Biografie, die auf der Grundlage von gut 1.000 gewechselten E-Mails mit Janosch entstand, enthüllt die Brüche und Abgründe des Zeichners und Romanciers, von dem die Welt zwar einiges in Sachen Alkoholismus mitbekommen hat, aber wenig über seine frühen Lebensphasen.

Horst, Janosch, Wondrak

„Wer fast nichts braucht, hat alles“ - so lautet der Titel der ersten Biografie des deutschen Autors Janosch, der dieser Tage 85 Jahre alt wird. Der Titel gibt das Leitmotiv des Schöpfers von Bär und Tigerente wieder. Etwas zu brauchen, ob emotional oder materiell, hatte man Janosch in der Kindheit gründlich abtrainiert.

Janosch fühlt sich betrogen. Um die Rechte an seinen Figuren und Büchern. Die Janosch AG habe ihn mit wertlosen Aktien abgespeist, er verdiene dadurch nichts, trotz guter Verkaufszahlen. Und auch von Journalisten fühlt er sich betrogen. Immer wieder sei er zu vertrauensselig, gebe Interviews - und dann werde ihm das Wort im Mund umgedreht. Kein Wunder, dass er bisher keiner Biografie zugestimmt hatte. Aber irgendwie gelang es der Germanistin Angela Bajorek, sein Vertrauen zu gewinnen und jahrelang zu halten.

Mehr als 1.000 E-Mails wechselten die beiden, Bajorek besuchte Janosch auch in seiner Wahlheimat Teneriffa, wo mehrere Gespräche stattfanden. „Ich werde niemals mehr jemandem so viel über mich sagen“, so Janosch. Aus all den E-Mails und Gesprächen wurde nun das reich bebilderte Buch „Wer fast nichts braucht, hat alles“. Den Anhang nicht mitgerechnet hat es 283 Seiten. Und mehr als die Hälfte davon handeln von Janoschs Kindheit, wenn man seine späteren Besuche in seinem Geburtsort und sein Hadern mit der eigenen Vergangenheit mit einschließt.
Die Übermacht der Kindheit

Auch über sein Leben als alter Mann auf Teneriffa ist einiges zu lesen. Gerne wüsste man auch mehr über das Dazwischen, über seine Anfänge als Schriftsteller, die Münchner Szene, über die Hintergründe seines Hangs zum Aussteigertum, über seine ersten großen Erfolge und wie er damit umging, über seine Jahre des Reichtums und auch darüber, ob er nun wirklich über den Tisch gezogen und um seine Rechte betrogen wurde oder nicht. Doch all das wird nur kurz gestreift.


Horst als Kleinkind im schlesischen Hindenburg/Zabrze

Die Übermacht der Kindheit im Buch dürfte ein Indiz dafür sein, welche Übermacht diese Kindheit auch in Janoschs Denken hat. Die Biografie hält sich an die E-Mails und Gespräche. Nur selten werden andere Quellen zitiert - auch dann meist Interviews mit dem Autor. Die Biografie ist somit nicht zuletzt als Abhandlung darüber zu lesen, wie übermächtig eine grausame Kindheit auf das gesamte Leben eines Menschen einzuwirken vermag.
Benannt nach Horst Wessel

Horst Eckert kam 1931 im schlesischen Hindenburg zur Welt. Heute heißt der Ort Zabrze und liegt in Polen. Horst - dieser Name war bereits der erste Schlag des Vaters. Um sich bei den Nazis einzuschmeicheln, ganz besonders deutsch und ganz besonders wenig polnisch zu wirken, benannte Johann Eckert seinen Sohn nach dem ein Jahr zuvor verstorbenen SA-Sturmführer Horst Wessel, der bis heute aufgrund des Horst-Wessel-Liedes weithin ein Begriff ist. Als aus Horst Eckert später Janosch wurde, war das ein Befreiungsschlag im Sinne der Entnazifizierung.

Hindenburg galt damals als eine angesehene deutsche Kreisstadt, aber Horst wuchs in Hindenburg-Poremba auf, einer Siedlung für Grubenarbeiter. Ein Kinderleben zählte dort nicht viel, eine Kinderseele gar nichts. Janosch berichtet darüber, wie sich das rigide, bürgerlich-deutsche Erziehungssystem zu einem dämonischen Amalgam mit der Wut der unterdrückten polnischen Grubenarbeiter vermengt, mitunter sogar in ein und derselben Person.

Krieg gegen Horst an allen Fronten

Vom Priester wurden die Kinder so stark am Kinn gezogen, dass ihnen Blut über den Hals hinunterlief. Und auch in der Schule waren schwere Prügel von Lehrerseite an der Tagesordnung, vor allem für Horst, der schwächlich und nicht gut integriert war. Bei den anderen Kindern war Horst vor allem wegen der Ambitionen seiner Eltern unten durch, denn Vater Johannes hatte sich vom Grubenarbeiterleben ein Stück weit emporgearbeitet. Zunächst war er Vertreter, später besaß er ein Geschäft für Textilien und sogar ein Auto.


Die Grubenarbeitersiedlung, in der Janosch aufwuchs

Die Mutter verabscheute die proletarische Herkunft ihres Mannes und putzte den kleinen Horst besonders süß und puppenartig heraus. Man kann sich vorstellen, wie beliebt er in der Schule war, in die er geschnäuzt und gekämmt im Kostümchen mit einem Opel gebracht wurde. Ums Eck wartete dann schon eine Bande von Grubenarbeiternachwuchs und verdrosch ihn aufs Heftigste. Zerrissen dabei seine Hosen, gingen die Prügel zu Hause weiter - denn auch die Mutter schlug ihren Sohn regelmäßig und hart.

Angst und Alkoholismus

Die Mutter ist für die lebenslangen Gesundheitsprobleme des Sohnes mitverantwortlich. Bevor sie einkaufen ging, trichterte sie dem kleinen Horst ein, nur ja nicht in die Hose zu machen. Er zitterte vor Angst - und machte in die Hose, kaum dass sie die Türe geschlossen hatte. Im Buch heißt es: „Er saß also unter dem weißlackierten Küchentisch, heulte und zitterte vor Angst, obwohl er wusste, wie es enden würde. Die Mutter kam zurück und schlug ihn so lange, dass er kaum atmen konnte. ‚Dabei hatte sie ein Gesicht wie ein Teufel, sie hatte keine Zähne‘, berichtet Janosch später. Die Mutter brüllte, wenn er nicht aufhöre zu weinen, dann schlüge sie ihn tot. Sie schlug so lange auf das Kind ein, bis es keine Luft mehr bekam. Seit dieser Zeit hatte Horst Probleme mit dem Atmen.“


Janoschs Eltern bei der Eheschließung

Ähnlich schlimm waren für den kleinen Buben die regelmäßigen Dramen, die sich abspielten, wenn sein Vater, ein schwerer Alkoholiker, getrunken hatte. Bereits wenn Johann Eckert torkelnd in die Straße einbog, in der sich das Mehrparteienhaus befand, hörte ihn die Familie besoffen grölen. War er dann endlich in der Wohnung, attackierte er seine Familie, erbrach sich auf dem Boden und war nicht zu beruhigen, bis er endlich einschlief. Seine Anfälle waren aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel, ungeachtet seines kontinuierlichen gesellschaftlichen Aufstiegs.

Hitlerjugend und Jesuiten


Kein Erbarmen hatte man mit Horst bei der Hitlerjungend - und auch nicht in der Kirche, wo der Bub bei den Jesuiten eingebunden war. In den Gesprächen mit seiner Biografin sagt Janosch, dass er all das Leid, das ihm in dieser Zeit widerfahren ist, nicht ausschließlich als Hypothek, sondern auch als einen Antriebsmotor für sein späteres Schaffen sieht. Mit seinen Eltern hielt er trotz aller Gewalt bis ins hohe Alter Kontakt. Und am Katholizismus arbeitet er sich bis heute ab. Er lehnt alle Religionen (außer Buddhismus) strikt ab. Und dennoch bemerkt man als Leser der Biografie, dass Gott an sich ein großes Thema für ihn ist.

Die einzige liebevolle Bezugsperson für Janosch war in seiner Kindheit jedenfalls Pawel, sein Großvater mütterlicherseits. Der war zwar auch Quartalsäufer, widmete dem kleinen Buben aber als Einziger regelmäßig und kindgerecht Zeit. Janosch hält ihn deshalb bis heute in liebevoller Erinnerung. Außerdem war der Großvater ein Leidensgenosse, er wurde wie sein Enkel grün und blau geschlagen - von der Großmutter, seiner Gattin. Außer dem Großvater gab es noch eine Handvoll Figuren aus dem weiteren Umfeld, die Janoschs Glauben an die Menschheit retteten.

„Ich möchte kein Kind sein“

Ihnen ist wohl auch zu verdanken, dass der Autor Schlesien verbunden blieb. In Interviews und auch in seinem stark autobiografisch geprägten Roman „Cholonek oder Der liebe Gott aus Lehm“ stellt er die Schlesier seiner Kindheit als strohdumm und verschlagen da. Nur - so, wie Janosch das sagt, in seinen kurzen, verschmitzten Sätzen, lässt er den Leser eine unverdiente Sympathie für das als verkommen beschriebene Volk seiner Kindheit durchschimmern. Mehrmals besuchte Janosch als alter Mann die Orte seiner Kindheit - und nahm auch offizielle Ehrenbekundungen gerne entgegen. Für Zabrze ist Janosch ein Tourismusfaktor und der ganze Stolz.

Von einer Verklärung seiner Kindheit ist Janosch freilich weit entfernt. Er selbst hat keine Kinder und erklärte das gegenüber der „Welt“ so: „Ich möchte kein Kind sein. Ich kann niemandem zumuten, etwas zu sein, was ich nicht möchte.“ In anderen Interviews ging Janosch sogar noch weiter und ließ anklingen, dass er Kinder nicht unbedingt mag - noch öfter jedoch sagt er das Gegenteil. In der Biografie steht zu lesen, dass er von ihnen fasziniert ist und sie immerzu „am Kopf berühren“ möchte.

Durchbruch mit Bär und Tiger

Nach Kriegsende folgte Horst seiner Familie nach Deutschland. Dort arbeitete er als Textilzeichner und scheiterte mehrfach an der Aufnahmeprüfung der Akademie der Bildenden Künste, ihm wurde „mangelnde Begabung“ attestiert. Schließlich arbeitete er als freischaffender Künstler, Feuilletonautor und schrieb schließlich auf Anraten eines Verlegers ab 1960 Kinderbücher. Die Anerkennung stieg im Laufe der Jahre, der große Ruhm folgte 1978 durch den Erfolg von „Oh, wie schön ist Panama“. Auch seine Erwachsenenbücher wurden großteils wohlwollend besprochen - wenn sie auch bis heute zu Unrecht unterschätzt werden, neben dem „Cholonek“ (1970) etwa „Polski Blues“ (1991) und „Gastmahl auf Gomera“ (1997).


Kinder und Eltern lieben Janosch - der hier mit einem seiner Bücher posiert

Bei Eltern und Kindern ist Janosch ohnehin Dauerbrenner, wegen seiner Wesen von liebevoller Einfalt, für die Konventionen keine Rolle spielen. Die krakeligen Striche der Zeichnungen sollen übrigens von Janoschs Alkoholismus herrühren - ob das tatsächlich so ist oder nur eine weitere Koketterie aus einem Interview, bei dem der Autor den Fragesteller auf den Arm nahm, ist schwer zu sagen.

Seine Kindheit habe Janosch sich schon als junger Mann wegzusaufen versucht. Erst in den letzten Jahren darf er aus gesundheitlichen Gründen nur noch mäßig trinken. Yoga ist ihm ein Ersatz. Und Janosch arbeitet seit geraumer Zeit wieder, wenn er auch wegen des Zwists mit der Janosch AG keine Bücher mehr schreibt. Er zeichnet nun regelmäßig für die deutsche „Zeit“ - meist lässt er dort sein Alter Ego Wondrak Fragen der Redaktion beantworten.


Sitzen und warten

In einem der Beiträge erklärt er, was Bär und Tiger getan hätten, hätten sie Smartphones gehabt. „Sie hätten Panama einfach gegoogelt und wären im Übrigen am Tisch sitzen geblieben.“ Ein bisschen Kulturpessimismus muss offenbar sein, auch wenn der Grantler Janosch gerade durch Smartphones einen neuen Höhenflug erlebt. Denn kaum etwas wird auf Facebook so oft und gerne geteilt wie sein wöchentlicher Wondrak. Janosch kann seinen Ruhm jedenfalls in seinem Haus auf Teneriffa mit seiner Frau genießen. Und was macht Wondrak dort den ganzen Tag? „Man sitzt neben der Tür und wartet darauf, dass etwas sein wird.“

Buchhinweis

Angela Bajorek: Wer fast nichts braucht, hat alles. Janosch. Die Biographie. Ullstein, 316 Seiten, 22 Euro.
Quelle: [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Bekenntnisse eines Sünders und Ketzers (Zitate): [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
__________________
TinyTimm ist offline   Mit Zitat antworten
Die folgenden 3 Mitglieder haben sich bei TinyTimm bedankt:
karfingo (10.12.21), maxptal (10.12.21)
Antwort


Forumregeln
Du kannst keine neue Themen eröffnen
Du kannst keine Antworten verfassen
Du kannst keine Anhänge posten
Du kannst nicht deine Beiträge editieren

BB code is An
Smileys sind An.
[IMG] Code ist An.
HTML-Code ist Aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 14:12 Uhr.


Sitemap

().